13.12.2017 - Esther Werderinghaus -5 MinutenMitarbeiter finden
Die Liste der Vorurteile gegenüber behinderten Arbeitssuchenden ist lang: Sie seien schlecht integrierbar, unflexibel, nicht kündbar. Ein Trugschluss – denn wer sich die Bewerber genauer anschaut, entdeckt nicht selten ausgezeichnete Arbeitskräfte wie den Ingenieur Uwe Harhoff.
Uwe Harhoff, 56, Verkaufsleiter bei der Scholpp Gruppe in Oberhausen
„Beruflich bin ich im Maschinenbau zu Hause. Nach einem abgeschlossenen Diplomstudium habe ich mich im Bereich Schweißtechnik weiterqualifiziert, auch um den besonderen Anforderungen der Branche gerecht zu werden. Später absolvierte ich berufsbegleitend ein Abendstudium zum Diplom-Wirtschaftsingenieur. Durch einen Verkehrsunfall vor ein paar Jahren erlitt ich schwere Knochenbrüche und innere Verletzungen, vor allem im Kopfbereich. Heute bin ich nahezu vollständig regeneriert. Trotz des Schwerbehindertenstatus merkt man mir äußerlich keine Beeinträchtigungen mehr an.
Aufgrund einer Krise kündigte mir mein Arbeitgeber nach knapp zwölf Jahren Betriebszugehörigkeit. Besonders wegen meines Alters und der vorliegenden Schwerbehinderung waren meine Aussichten trotz Qualifikation eher schlecht. Ich habe etwa 125 Bewerbungen geschrieben, auf die meisten folgten sofortige Absagen. Das ist in einem Beruf mit sehr guten Prognosen für qualifizierte Fachkräfte natürlich frustrierend. Absagen wurden nie mit fehlenden Zusatzqualifikationen begründet, und auch in den persönlichen Gesprächen wurde meine Schwerbehinderung nicht thematisiert. Im Hinblick auf die Absagen kann und möchte ich keinen Zusammenhang konstruieren.
Vor einem Jahr hatte ich endlich ein erfolgreiches Gespräch: Die Scholpp Gruppe – ein Dienstleister für die Verlagerung und Montage von Industrieanlagen – suchte einen Verkaufsleiter für Pressentechnik mit Kenntnissen in der Hydraulik und Pneumatik. Ich bekam die Chance, mich vorzustellen, und meine fachlichen Qualifikationen und Fähigkeiten überzeugten. Heute kümmere ich mich um Projekte im Bereich Hydraulik und Pneumatik. Ich berate Kunden, arbeite Angebote aus und führe selbstständig Messungen durch.
Mein Rat an andere Bewerber mit Behinderung: bloß nicht den Kopf in den Sand stecken! Die Situation akzeptieren und das Beste draus machen! Ein Arbeitgeber, der sich wirklich für den Menschen interessiert, entscheidet vorurteilsfrei und weiß, dass Behinderungen nicht zwangsläufig Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit haben. Und er erkennt Motivation, Engagement und vor allem Potenzial. Auch hat sich die Arbeitsmarktsituation in den letzten 15 Jahren enorm verbessert. Unternehmen sind heute mehr denn je auf gut ausgebildete und motivierte Kräfte angewiesen, und der Markt kann bei finanzieller Unterstützung für die Eingliederung Schwerbehinderte integrieren.“
Das sagt der Arbeitgeber: Steffen Kühn, 50, Konzerngeschäftsführer bei Scholpp
„Herr Harhoff war uns vom ersten Augenblick an sympathisch. Im Bewerbungsgespräch wirkte er zuerst wie ein großer Junge: Beim Sitzen zog sich seine Hose hoch, in so eine lustige „Hochwasserposition“. Was uns dann aber absolut von ihm überzeugte, war sein tiefes Know-how in der Hydraulik. Es hat richtig Spaß gemacht, sich mit ihm über das Thema zu unterhalten. Zwar kam er aus der Holzverarbeitungsindustrie, und wir suchten jemanden für den Prozess der Blechbearbeitung, aber das war uns am Ende egal.
Herr Harhoff hatte nur leichte Einschränkungen durch den Unfall, mit denen können wir absolut gut leben. Von der Arbeitsagentur erhielten wir einen Zuschuss zu Harhoffs Gehalt und den Schulungen – aber das war nicht unsere Motivation. Ich halte behinderte Arbeitnehmer oft für dankbarer, treuer und fleißiger als so manch andere Bewerber, ich schließe diese Menschen nicht aus. Im Gegenteil, es macht oft mehr Spaß, mit denen zu arbeiten als mit Menschen ohne Behinderung. Im Gespräch damals sind wir dann recht schnell auf Herrn Harhoffs Behinderung zu sprechen gekommen. So wurde beiden Seiten schnell klar, ob das Einsatzgebiet passt oder nicht. Nette Menschen und dazu mit umfassenden Fachkenntnissen – das sind mir die liebsten Mitarbeiter, egal ob mit oder ohne Behinderung.“
Das sagt die Vermittlerin: Tanja Jasper, Vermittlerin beim Arbeitgeberservice für schwerbehinderte Akademiker
„Die erfolgreiche Vermittlung von Herrn Harhoff hat mich besonders beeindruckt, zumal er schon über ein Jahr lang nach einer passenden Position mit leitender Funktion suchte. Die Arbeitsuche für Menschen über 55 Jahre gestaltet sich im Allgemeinen schwieriger, und in Kombination mit seiner Behinderung war es für Herrn Harhoff ohnehin eine besondere Herausforderung. Man merkte ihm aber an, dass er sich nicht entmutigen ließ und unbedingt wieder arbeiten wollte.
Leider erfahren wir im Team bei unserer täglichen Vermittlungsarbeit immer wieder, dass bei vielen Arbeitgebern immer noch Vorbehalte bestehen, schwerbehinderte Menschen einzustellen. Nicht selten herrscht die Meinung vor, durch ihren Behindertenstatus seien die Mitarbeiter unkündbar. Dabei sind diese während der Probezeit den übrigen Arbeitnehmern gleichgestellt und somit auch ohne besondere Gründe kündbar. Bei Schwierigkeiten im Beschäftigungsverhältnis muss später zwar das Integrationsamt einer Kündigung zustimmen, aber auch da liegt die Quote entsprechend hoch. Oft sind es aber ebenso die Kosten, die Arbeitgeber scheuen, um den Arbeitsplatz behindertengerecht zu gestalten. Ihnen ist nicht klar, dass sie dabei Fördergelder in Anspruch nehmen und sogar eine Begutachtung und Beratung des technischen Beratungsdienstes der Bundesagentur für Arbeit dafür nutzen können.
Es gibt natürlich immer wieder Fälle, bei denen die Bewerberin oder der Bewerber nicht auf die ausgeschriebene Stelle passt. Das kann zum Beispiel an der fehlenden Mobilität oder der Art der Behinderung liegen. Aber dennoch gibt es genug Beispiele, die beweisen, dass es die Möglichkeit gibt, Arbeitsplätze entsprechend an die Bedürfnisse der Kandidaten anzupassen, wenn man ihnen die Chance dazu gibt und nach Möglichkeiten sucht.
Für Herrn Harhoff haben wir damals ein anonymisiertes Kandidatenprofil in Form eines Steckbriefes erstellt. Sein Name und die Art seines Handicaps wurden darin nicht genannt. Das Profil wurde als Serienbrief an Firmen versandt, die gegebenenfalls für eine Vermittlung infrage kamen – und das führte zum Erfolg. Die Scholpp GmbH wurde auf ihn aufmerksam, und es klappte! Mich hat das sehr gefreut, schließlich konnte Herr Harhoff dadurch wieder eine anspruchsvolle Tätigkeit ausüben, und die Firma profitierte für die Zeit der Einarbeitung von einem entsprechenden Eingliederungszuschuss.
Die größte Hürde für Schwerbehinderte auch mit akademischem Abschluss ist weiterhin, überhaupt zu einem Gespräch eingeladen zu werden. Doch wenn ein Unternehmen sich nicht nur auf dem Papier für die Teilhabe einsetzen möchte, wird es durchaus auf Bewerberinnen und Bewerber treffen, deren Fähigkeiten und Engagement beeindrucken. Aus meiner Erfahrung sind diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihrem Unternehmer oft besonders treu geblieben, und sie lassen sich nicht so schnell entmutigen.“