Arbeitslosigkeit als Chance begreifen

Stefan Detzel hilft, wenn der Job wegfällt: Die Mission des Outplacement-Beraters ist, die Phase der Erwerbslosigkeit für entlassene Arbeitnehmer so kurz wie möglich zu halten. Welche Strategien helfen gegen Langzeitarbeitslosigkeit?


09.08.2017 - Text: Birga Teske -7 MinutenMitarbeiter finden

Stefan Detzel hilft, wenn der Job wegfällt: Die Mission des Outplacement-Beraters ist, die Phase der Erwerbslosigkeit für entlassene Arbeitnehmer so kurz wie möglich zu halten. Damit ist er kein Arbeitsvermittler, sondern ein berufsbezogener Coach und kennt Strategien gegen Langzeitarbeitslosigkeit.

Faktor A: Herr Detzel, Sie beraten Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben. Was ist Ihre erste Frage an die Jobsuchenden?

Stefan Detzel: Zuerst geht es darum, herauszufinden, wie derjenige mit seiner aktuellen Situation zurechtkommt. Das ist völlig unterschiedlich. Einigen geht es psychisch sehr schlecht. Manche haben gesundheitliche Probleme. Andere dagegen freuen sich über eine hohe Abfindung oder sind froh, dass der Leidensdruck am früheren Arbeitsplatz ein Ende hat.

Wie entscheidet sich, wie lange jemand für die Arbeitssuche braucht?

Das hängt davon ab, ob sich jemand beruflich völlig neu orientiert oder nicht. Wenn zum Beispiel eine Assistentin erneut eine solche Stelle sucht, wird sie schnell etwas finden. Soll das Tätigkeitsfeld gewechselt werden, dauert es länger. Entscheidend ist auch die Frage: Hat der Betroffene den Verlust seines Arbeitsplatzes schon verwunden und zeigt Eigeninitiative, oder muss man ihm erst einmal Mut machen und herausfinden, wohin die Reise gehen soll?

Oft wird Arbeitslosen geraten, sich weiterzuqualifizieren. Wann ist das sinnvoll?

Nur wenn jemand überhaupt in die Aufgabe vermittelbar ist, für die er qualifiziert wird. Das hängt von seinen Fähigkeiten und seiner Verfassung ab. Letztlich muss er für Arbeitgeber zu einem attraktiven Bewerber werden. Stattdessen kommt es oft zu „Verlegenheitsqualifikationen“. Im Outplacement setzen wir darauf, die Persönlichkeit des Kandidaten zu stärken. Dazu gehören das richtige Auftreten, ein positives Erscheinungsbild und das nötige Selbstbewusstsein. Aber manchmal ist eine Qualifizierung natürlich existenziell. Etwa wenn Basisqualifikationen für ein neues Berufsziel fehlen.

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Was ist Outplacement?

Wenn Unternehmen Mitarbeiter entlassen, finanzieren sie ihnen manchmal eine Outplacement-Beratung. Das ist keine Arbeitsvermittlung, sondern ein berufsbezogenes Coaching. Es kann Interviewtrainings, das Erstellen von Bewerbungsunterlagen oder eine grundsätzliche Analyse von Stärken und Schwächen beinhalten. Je nach vereinbartem Umfang begleitet der Berater die Arbeitssuchenden entweder einige Monate lang bis zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags oder bis zum Ende der Probezeit in einem neuen Betrieb.

Ist es nach einem Jobverlust wichtig, sich möglichst schnell wieder zu bewerben?

Jein. Entscheidend für eine erfolgreiche Jobsuche ist, dass man die angestrebte Aufgabe auch wirklich erfüllen kann. Manchmal wartet man mit der Bewerbung besser erst einmal einige Zeit ab. Wenn zum Beispiel der Schock über den Arbeitsplatzverlust noch nicht verwunden ist, sollte man sich Zeit nehmen für die Neuorientierung, in Ruhe die Bewerbungsunterlagen zusammenstellen und für das Einstellungsgespräch trainieren. Meist ist es zielführender, sich auf zwei bis drei realistische Szenarien zu beschränken, als sich massenhaft auf Stellen zu bewerben, wo die Chancen sehr unspezifisch sind.

Wenn ein Bewerber über längere Zeit arbeitslos war, ist die Stellensuche oft besonders schwierig. Worauf müssen Langzeitarbeitslose achten?

Es ist wichtig, dass sie die Dauer ihrer Arbeitslosigkeit gut begründen. Arbeitgeber setzen Langzeitarbeitslosigkeit häufig mit Passivität gleich. Dabei lässt sich eine berufliche Auszeit oft mit einer aktiven Tätigkeit begründen – etwa mit einer Weltreise, dem Umbau des Eigenheims, der Pflege der Eltern oder einer ehrenamtlichen Tätigkeit. Viele Unternehmen bewerten es heutzutage positiv, wenn jemand Freiräume in seinem Leben nutzt. Gemäß dem Motto: Eine Erwerbsbiografie braucht auch mal eine Pause.

Wieso scheuen viele Arbeitgeber dann davor, Langzeitarbeitslose einzustellen?

Mit dem Begriff „Langzeitarbeitslosigkeit“ sind viele Stigmata verbunden, zum Beispiel prekäre finanzielle Verhältnisse, geringe Belastbarkeit oder gesundheitliche Einschränkungen. Firmen suchen Mitarbeiter, die zügig eingearbeitet werden können und sofort selbstständig tätig werden. Das wird Langzeitarbeitslosen meist nicht zugetraut. In Berufsgruppen wie dem Handwerk, in der Gastronomie, im Pflegebereich oder bei Berufskraftfahrern, wo es einen großen Bewerbermangel gibt, finden auch Langzeitarbeitslose sofort eine Stelle. Da probieren es die Arbeitgeber einfach aus. Derzeit sorgt die demografische Entwicklung dafür, dass sich immer mehr Berufsgruppen für die Einstellung von Langzeitarbeitslosen öffnen.

Zitat:

„Eine Erwerbsbiographie braucht auch mal eine Pause.“

Sie selbst haben schon vielen Langzeitarbeitslosen zu einer Anstellung verholfen. Wie haben Sie das gemacht?

Von 1995 bis 2000 habe ich eine gemeinnützige Zeitarbeitsfirma aufgebaut und geführt. Wir haben Kandidaten eingestellt, die länger als ein Jahr arbeitslos waren. Viele waren schwer vermittelbar, darunter Suchtkranke, Haftentlassene und Krankheitsfälle. Zu 70 Prozent wurden diese anschließend fest eingestellt. Die Besonderheit war, dass wir entsprechende Stellenanzeigen geschaltet und die Leute selbst ausgesucht haben. Sie wurden dann zu den Auswahlgesprächen begleitet, manchmal haben wir sogar Familienangehörige zu den Gesprächen mit eingeladen. Es ging nicht um einfache Aushilfstätigkeiten, sondern überwiegend um Fachkräfte für den Maschinenbau, die Chemie oder die Mechatronik, um Buchhalter und Kaufleute.

Zur Person

Stefan Detzel

Stefan Detzel Portrait
© Privat - Stefan Detzel

ist Geschäftsführer der EL-NET Group und engagiert sich im Vorstand des Fachverbands Outplacement im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU). Seit mehr als 20 Jahren berät er Menschen und Organisationen in Phasen der Veränderung.

 

 

Viele Arbeitgeber scheinen Outplacement-Berater anzuheuern, um sich leichter von Beschäftigten trennen zu können. Wie sehen Sie diese Strategie?

Wenn es so eine Strategie gäbe, würde sie wohl nicht funktionieren. Fakt ist aber: Mit Outplacement läuft alles professioneller ab. Der Kandidat weiß, dass er in einer kritischen Phase des Übergangs Unterstützung erhält. Das kann eine Eskalation zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verhindern helfen.

Manche Outplacement-Programme laufen nur drei Monate lang. Was kann man in dieser Zeit für entlassene Arbeitnehmer erreichen?

So kurze Programme sind kein wirkliches Outplacement. Da kann man nur eine Standortbestimmung und Orientierung machen, eine Strategie entwickeln, an den Bewerbungsunterlagen arbeiten und feststellen, welche Qualifikationen fehlen. Deshalb ist eine intensivere Zusammenarbeit ratsam. Immerhin sind sechs Monate nach dem Start eines Outplacement-Programms mehr als 70 Prozent der Kandidaten in einen neuen Job vermittelt. Zwölf Monate nach Beratungsbeginn sind es mehr als 90 Prozent.

Hat sich der Umgang mit Arbeitslosigkeit in unserer Gesellschaft in den letzten Jahren gewandelt?

Ja. Früher drohte nach einer Entlassung viel eher ein negatives Ende. Heute führt Arbeitslosigkeit wesentlich öfter zu etwas Besserem als zuvor. Schade ist nur, dass Arbeitslosigkeit von den meisten Menschen viel zu wenig als Chance begriffen wird, das eigene Leben und die eigene Zukunft neu zu gestalten.

Fallbeispiele: Arbeitslos, und nun?

Ein 55-jähriger Lagerist hat seinen Arbeitsplatz durch Automatisierung verloren.

Detzel: So jemand sollte zunächst überlegen, wo es Bereiche gibt, die noch nicht automatisiert wurden. Vielleicht ist eine temporäre Beschäftigung eine Möglichkeit. Oder derjenige liefert als Fahrer Bestellungen für Unternehmen aus. Gerade in solchen Berufen sind persönliche Netzwerke für die Stellensuche extrem wichtig. Man sollte sie aktiv nutzen. Meist hat man mehr Kontakte, als man zunächst denkt: Familie, Kollegen, Hausgemeinschaft, Sportkumpel – selbst Bekannte aus der Stammkneipe können von offenen Stellen wissen.

Eine 43 Jahre alte ehemalige Versicherungskauffrau ist nach zwölf Jahren Kindererziehungspause arbeitssuchend.

Detzel: So eine Frau zu vermitteln ist meist kein Problem. Sie hat eine solide Ausbildung und ist im leistungsfähigsten Alter. Sie bringt soziale Erfahrung mit und ist wahrscheinlich Kundenkontakte gewohnt, zumindest wenn sie früher im Außendienst tätig war. Wenn sie ein gutes Auftreten sowie Umgangsformen hat und mental fit ist, könnte sie zum Beispiel in einem Unternehmen als Assistentin der Geschäftsführung oder im Vertrieb arbeiten. Vielleicht findet sie nicht sofort einen Topjob, aber arbeitslos bleibt sie sehr wahrscheinlich nicht.

Ein 26 Jahre alter Philosophie-Student mit Bachelor-Abschluss findet keine Anstellung.

Detzel: Wenn bereits etliche Bewerbungsversuche gescheitert sind, würde ich zunächst einmal die Bewerbungsstrategie und das Profil hinterfragen. Wofür begeistert er sich? Was kann er richtig gut? Warum sollte ihn jemand einstellen? Anschließend müssten wirklich passende Unternehmen identifiziert und eine jeweils individuelle Ansprache gefunden werden. Letztlich ist der Arbeitsmarkt für so ein Profil unendlich groß. Infrage kommen zum Beispiel Trainee-Programme oder ein Einstieg im Beraterumfeld. Im gesamten Bereich der Start-ups kann man auch schnell eine Zukunft finden. Es geht also zunächst um die Fokussierung auf zwei bis drei Erfolg versprechende Handlungsfelder, die in der Folge konzentriert und zügig angegangen werden.


Titelfoto: © Plainpicture/Sebastian Schöneberg