Ausbildung in Teilzeit: Geringe Ausfallquote
Die ING-Diba hat in den vergangenen Jahren fast alle Ü50-Azubis übernommen, weil die Vorauswahl stimmte. „Wenn es von der Eignung her nicht so passt, ist es für alle kein Spaß“, formuliert Doetsch diplomatisch. Deshalb gibt es für Bewerber eine Art Assessment Center, bei dem mehr als die Hälfte der Kandidaten herausgefiltert werden. „Viele haben einfach falsche Vorstellungen“, sagt Doetsch. „Kundendialog“ heißt bei einer Bank, die kaum Filialen unterhält, eben: den Dialog mit dem Kunden am Telefon zu führen.
Die ING-Diba hat nicht nur 46 Langzeitarbeitslose eingestellt, sondern bietet neuerdings auch zwei alleinerziehenden Müttern eine Ausbildung in Teilzeit. „Für die ist es unglaublich schwer, eine Stelle zu finden“, sagt Doetsch. Arbeitgeber haben Angst, dass die Betreuung der Kinder nicht gesichert ist und die Mutter zudem bei jeder Kinderkrankheit tagelang ausfällt. Grundlose Ängste, sagt Doetsch: „Die Ausfallzeiten bisher sind gering.“ Was auch daran liegt, dass die Lehre von vornherein als Teilzeit-Ausbildung angelegt ist: sechs statt acht Stunden.
Eine Frage des Wollens
Um Müttern eine Teilzeitausbildung anzubieten, muss man keine international agierende Bank sein: Der Remscheider Systemlieferant Dönges, der etwa Feuerwehr und Polizei mit spezieller Technik und Werkzeugen ausrüstet, bildet die alleinerziehende Mutter Bianca-Tatjana Gaida in Teilzeit zur Fachlageristin aus. „Die Erfahrungen sind gut“, sagt Dönges-Einkaufsleiter Jörg Dietsch.
Es ist eben eine Frage des Wollens – auf beiden Seiten. Realschulabsolvent Christian Kutscher wollte Biolaborant werden, obwohl er eine starke Sehbehinderung hat. Die Personaler im Paul-Ehrlich-Institut (PEI) waren skeptisch, sagten sich aber: Versuchen wir’s. Das PEI hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten viele Erfahrungen mit Mitarbeitern mit Behinderung gesammelt. „Jeder Mensch kann gute Arbeit leisten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen“, ist das Credo des Instituts, das sich etwa um die Zulassung von Impfstoffen kümmert. Von 800 Mitarbeitern haben 90 eine Behinderung, mehr als doppelt so viele wie früher. „Für junge Menschen ist es oft schwierig, ihre Behinderung öffentlich zu machen“, sagt Annetraud Grote, beim PEI zuständig für Inklusion. Für sie war es anfangs gar nicht so leicht, Auszubildende mit Handicap zu finden. Wer kann, verstecke es lieber.
Die meisten werden übernommen
Dass Heimlichkeiten beim PEI nicht nötig sind, sprach sich schnell herum, plötzlich kamen die Bewerbungen aus allen Ecken der Republik. Manche Bewerber mussten sie enttäuschen: „Wir machen in der Qualifikation keine Abstriche, nur weil jemand eine Behinderung hat“, sagt Grote.
Bis jetzt hat das PEI die meisten Azubis übernommen. Auch deshalb steigt die Zahl der Bewerbungen. „Davon sollen auch andere Unternehmen profitieren“, sagt Grote. Im Verbund INKA engagieren sich etwa Boehringer Ingelheim und BASF, aber auch Mittelständler wie F. H. Papenmeier für Auszubildende mit Behinderung. Denn entscheidend ist, wie Grote es ausdrückt: „Die Leute machen einen guten Job.“
Auf den Leistungswillen kommt es an, bestätigt Grit Baldowski, und auf
die Persönlichkeit. Und dafür lohnt es sich, jeden einzelnen Menschen erst einmal unvoreingenommen anzuschauen, selbst wenn er aus dem Gefängnis kommt. „Jeder hat eine zweite Chance verdient“, sagt die Ausbildungskoordinatorin der Charité Facility Management. „Wir erbringen alle nicht-medizinischen Dienstleistungen im Auftrag der Charité Universitätsmedizin Berlin.“ 14 Ausbildungsberufe bietet sie an, allein zehn Stellen für angehende Gebäudereiniger. „Es gilt, den jungen Menschen Perspektiven aufzuzeigen“, sagt Baldowski. „Nur wenn sie selbst wollen, können wir gemeinsam viel erreichen. Wenn die Jugendlichen spüren, dass sie verstanden, gefordert und gefördert werden, gelingt eine erfolgreiche Zusammenarbeit.“ Nicht nur während der Ausbildung, sondern auch hinterher – und zwar lange.
Wer einen guten Schulabschluss hat, will nach der Lehre oft noch studieren oder zumindest rasch Karriere machen. So oder so sind sie oft schnell weg. Jugendliche mit schlechteren Schulnoten überzeugen häufig in der Ausbildung mit ihrem Potenzial. „Das erleben wir oft genug“, sagt Dieter Mießen von Frisch & Faust: „In der Schule durchhängen, auf der Baustelle reinhängen.“ BIBB-Forschungsdirektor Weiß ist nicht überrascht: „Leistungsbereitschaft und Teamfähigkeit haben ja nichts mit Schulnoten zu tun.“ Wenn diese Auszubildenden ihre Chance erhielten und gefördert würden, entwickelten sie sich häufig zu Leistungsträgern – zu solchen, die bleiben.
Darauf baut auch Frisch & Faust. Nicht nur wegen Khaled Abou-Khasne, der bei einer Firmenfeier für seine Leistungen mit dem Azubi-Award überrascht wurde. Für das kommende Lehrjahr hat Dieter Mießen bereits mehr als ein Dutzend Bewerbungen auf seinem Schreibtisch liegen. Auf den Neid der Konkurrenz würde er gern verzichten. „Ich sage denen immer: Wir haben kein Copyright darauf – bitte nachmachen!“