Eine zweite Chance

Benachteiligte Jugendliche gelten oft als "nicht ausbildungsreif". Doch durch richtige Förderung können sie richtig in ihrer Ausbildung aufblühen.


01.08.2012 - Marike Frick -12 MinutenMitarbeiter finden

Ihre Umgangsformen sind mangelhaft, ihr Auftreten lässt zu wünschen übrig, die Schulnoten sind schlecht – viele Jugendliche gelten als „nicht ausbildungsreif“. Dabei können gerade sie aufblühen, wenn sie richtig gefördert werden. Nur: Wer macht das eigentlich?

Noten? Auf Noten guckt Corinna Krefft-Ebner (Bild oben) längst nicht mehr. „Unsere Berufsbilder gehören nicht unbedingt zu den Top Ten der Traumberufe vieler Jugendlicher“, sagt sie. „Deshalb bewerben sich bei uns auch viele, die anderswo keine Aussicht auf Erfolg haben.“ Die Ausbilderin der Bäckerei-Kette K & U erzählt von Drogenproblemen, von schwierigen Persönlichkeiten und fehlenden Umgangsformen. Von angehenden Bäckereiverkäuferinnen, die jeden Morgen in einen Farbtopf zu fallen scheinen und denen man erst mal dezentes Schminken beibringen müsse. Und auch von einer jungen Auszubildenden, die eines Tages grün und blau geschlagen zur Arbeit kam. Krefft-Ebner stockt einen Moment, horcht ihren eigenen Worten nach. „Wenn ich das alles so höre, klingt es extrem. Aber das ist unser Alltag“, sagt sie nüchtern.

135 Kilometer davon entfernt, bei Siemens in Karlsruhe, beschreibt Dieter Wolf seinen Alltag mit folgenden Worten: „Viele Bewerber müssen wir nicht nur ausbilden, sondern auch erziehen. Ihnen etwa beibringen: So kannst du in der Arbeitswelt nicht reden!“ Und noch einmal 540 Kilometer gen Nordosten drückt sich der Geschäftsführer einer Bitterfelder Fahrzeugbau-Firma so aus: „Das schulische Niveau ist in den letzten zehn, fünfzehn Jahren extrem abgeflacht. Der Ehrgeiz hat abgenommen.“ Auch der Fokus der Eltern auf die schulische Leistung habe abgenommen.

Corinna Krefft-Ebner, Dieter Wolf und Fahrzeugbauer Björn Ruhe kennen einander nicht. Trotzdem haben sie eines gemeinsam: das Wissen darum, wie schwierig es mit Auszubildenden zugehen kann.Quer durch die Republik hört man bei großen wie bei kleinen Firmen die gleichen Stoßseufzer. Aber auch die gleiche Einsicht: Es wird nicht besser – es sei denn, man kümmert sich.

Zitat:

"Viele Bewerber müssen wir nicht nur ausbilden, sondern auch erziehen." 

Corinna Krefft-Ebner, Ausbilderin bei K & U

Sich kümmern, das sieht bei der Bäckerei K & U so aus: Die Ausbilder hören bei privaten Problemen zu, suchen auch mal das Gespräch mit den Eltern. Im Fall der grün und blau geschlagenen Auszubildenden gingen sie sogar mit zum Jugendamt. Benimmkurse sind längst Standard. Und wer Nachhilfe braucht, kann an einer Maßnahme der ausbildungsbegleitenden Hilfen teilnehmen. „Wir wissen ja, dass es für schlechte Noten oft handfeste Gründe gibt“, sagt Krefft-Ebner. „Immer mehr Jugendliche wachsen in schwierigen Verhältnissen auf. Viele haben in ihrem Leben wenig Gutes und kaum Zuwendung erfahren. Da fehlt es oft an Selbstachtung.“

Jugendliche als Schlüssel für das Fachkräfteproblem

Vor Jahrzehnten hat man solchen jungen Menschen mit Schwierigkeiten beim Start ins Berufsleben einen Namen gegeben: „benachteiligte Jugendliche“. Mittlerweile sind sie für viele Unternehmen zum Alltag geworden. Denn der Fachkräftebedarf macht sich in vielen Branchen bemerkbar. Weil es weniger Schulabgänger gibt, nehmen überall die Zahl der Bewerber ab und oft auch die Qualität der Bewerbungen. So stehen manche Unternehmen bereits vor der Wahl: Azubi, der die Voraussetzungen nicht erfüllt – oder gar kein Azubi. Wer also den Fachkräftenachwuchs für die eigene Firma sichern will, muss sich auch Zielgruppen zuwenden, die er bisher noch nicht im Blick hatte. Und für die muss die Ausbildung teilweise umgemodelt werden. „Böse Überraschungen erleben wir auch bei Leuten mit guten Zensuren“, formuliert die Ausbilderin Corinna Krefft-Ebner ihre Sicht. „Dagegen sind wir gar nicht mehr überrascht, wenn sich ein Azubi mit schlechtem Hauptschulzeugnis als toller Mitarbeiter herausstellt.“

So einer ist Mahmoud Fadel. Mahmoud, 23 Jahre alt, die Eltern aus dem Libanon, das Hauptschulzeugnis „eher nicht so gut“, bewarb sich vor einigen Jahren bei K & U. Dabei wollte er gar nicht in einer Bäckerei arbeiten, eigentlich. Darauf gebracht hatten ihn Mitarbeiter des baden-württembergischen Projektes „Carpo“; sie helfen Jugendlichen beim Übergang von der Schule in den Beruf. Weil Mahmoud schon so viele Bewerbungen geschrieben und so viele Absagen bekommen hatte, versuchte er es nun also bei der Bäckerei. Dort musste er wie alle anderen einen Persönlichkeitstest absolvieren, den die Bäckerei seit einigen Jahren vom Dienstleister „Azubi Diagnosezentrum“ bezieht und für den sie pro Bewerber 30 Euro zahlt. Das Ergebnis soll zeigen, welches die Stärken des Bewerbers sind und wie sie im Unternehmen eingesetzt werden könnten.

Nach Mahmoud Fadels Test war klar: Wegen seiner Schwierigkeiten im Deutschen hatte er einige Fragen gar nicht verstanden, etwa, wenn Worte wie „Loyalität“ oder „Identität“ vorkamen. „Deshalb hätten wir ihn eigentlich ablehnen müssen“, sagt Krefft-Ebner. „Aber wir hatten im Gespräch einen guten Eindruck und luden ihn deshalb zu einem Praktikum ein.“ Was danach kam, davon schwärmt die Ausbilderin regelrecht: „Herr Fadel ist respekt- und rücksichtsvoll, handelt sehr überlegt – er ist einfach ein angenehmer Mensch.“ Und so hatte Fadel bald einen Ausbildungsvertrag in der Tasche. Keines seiner fünf älteren Geschwister hat das bisher geschafft. Mittlerweile hat er seine Ausbildung beendet und wurde übernommen. Laut seiner Ausbilderin ist er sogar „auf dem besten Weg zum stellvertretenden Filialleiter“.

Anmerkung der Redaktion: Ein Jahr, nachdem wir Corinna Krefft-Ebner und Mahmoud Fadel kennen gelernt haben, haben wir sie noch einmal besucht und nachgefragt, wie es beiden geht.

 

Warum brechen junge Erwachsene ihre Ausbildung ab?

40 Prozent von ihnen geben Konflikte mit Ausbildern oder Chefs an, genauso viele führen aber auch eine mangelnde Vermittlung der Ausbildungsinhalte im Betrieb an. Für 35 Prozent sind unbezahlte Überstunden das Problem, für 27 Prozent zu viele ausbildungsfremde Tätigkeiten. 19 Prozent geben Überforderung an, genauso viele nennen Unterforderung als Grund.

Viele Jugendliche benötigen eine Starthilfe

Monika Kramer
© PR - Monika Kramer, Leiterin der Projektes "Carpo" in Freiburg, sagt: "Zuverlässigkeit hat nichts mit dem kulturellen Hintergrund eines Menschen zu tun."

Gerade Jugendliche mit Migrationshintergrund haben es oft schwer, einen Ausbildungsplatz zu finden. Selbst wenn sie ähnlich gute Noten haben wie ihre Mitschüler, finden sie seltener eine Lehrstelle. Von den Hauptschülern ohne Migrationshintergrund, die eine Ausbildung anstreben, finden im Laufe von drei Jahren 86 Prozent eine Stelle – bei denen mit Migrationshintergrund sind es nur 68 Prozent. „Viele Betriebe halten sie für wenig zuverlässig“, sagt Monika Kramer vom Freiburger Carpo-Projekt. „Dabei hat Zuverlässigkeit meiner Erfahrung nach nichts mit dem kulturellen Hintergrund zu tun.“

Das Problem der Verlässlichkeit scheint stattdessen ein generelles zu sein. „Viele Jugendliche verhalten sich nach dem Muster: Wenn es Schwierigkeiten gibt im Praktikum, dann gehe ich eben nicht mehr hin“, erzählt Christina Gillessen. Sie arbeitet für die Stiftung Deutsche Wirtschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, benachteiligte Jugendliche und Unternehmen schrittweise zusammenzubringen – etwa über Betriebsführungen, Gesprächsabende und Praktika. Zunächst fallen jedoch einige grundlegende Schritte an: Erstens suchen Pädagogen gemeinsam mit den Jugendlichen nach deren Stärken. Zweitens begleiten sie sie bis zum Schulabschluss, den sie andernfalls vielleicht nie geschafft hätten. Drittens bringen sie ihnen bei, wie man bei einer Bewerbung auftritt, sich präsentiert. Viertens zeigen sie, dass man bei Problemen nicht wegrennen, sondern sie ansprechen sollte. „Am Anfang fehlt denen völlig der Glaube an sich selbst“, sagt Christina Gillessen. „Und ohne unsere Trainings würden sie es in Bewerbungsverfahren gar nicht schaffen.“

Das ist also die Quintessenz: Jugendliche, wie sie Gillessen täglich begegnen, brauchen Starthilfe, und danach brauchen sie durchgängige Betreuung. Eine Herkulesaufgabe – aber auch eine gesellschaftliche Notwendigkeit, findet Kerstin Moldenhauer. Sie leitet am Klinikum Osnabrück die Akademie für Gesundheitsfachberufe und hat über die Stiftung einige Jugendliche kennengelernt. „Die waren sehr interessiert, haben viele Fragen zu unseren Gesundheitsberufen gestellt“, sagt Moldenhauer. Zwei hätten bei einer Führung „besonders viel Feuer“ in den Augen gehabt – eine von ihnen ist mittlerweile in Ausbildung. „Ich sehe es als gesellschaftlichen Auftrag, Menschen nicht einfach abzustempeln“, sagt die Akademie-Leiterin. „Jedes Unternehmen sollte sich der Aufgabe stellen, Menschen mit ungleichen Chancen zu fördern.“

Eingang Klinikum Osnabrück
© Iris Friedrich - Am Klinikum Osnabrück können sich Jugendliche an der Akademie für Gesundheitsfachberufe ausbilden lassen.

Klare Regeln für Azubis bei Siemens

Ein hehrer Anspruch, den aber wohl nicht jeder Arbeitgeber so für sich formuliert. Doch zumindest bei Siemens in Karlsruhe sieht man das ähnlich. Dort erzählt Dieter Wolf die Geschichte von einem Azubi, der neulich Möbel in sein Büro lieferte. Die beiden kamen ins Gespräch und Wolf erfuhr: Der junge Mann hatte in der Schule nur Party im Kopf gehabt, war grottenschlecht gewesen – und jetzt in der Berufsschule ein Einser-Kandidat. Solche Beispiele begeistern Dieter Wolf, trotzdem sind sie eher eine Ausnahme. Wolf weiß das, er ist Ausbildungsleiter bei Siemens in Karlsruhe. 250 Ausbildungsstellen bietet das Unternehmen jährlich für benachteiligte Jugendliche an. „Für die muss man klare Regeln aufstellen“, sagt Wolf. „Und jeder muss wissen, welcher Verstoß welche Konsequenzen hat.“

Seit einiger Zeit hängt in Karlsruhe deshalb ein Regelkatalog aus. Darin steht, dass private Handygespräche nur in den Pausen erlaubt sind. Oder dass Azubis sich abzumelden haben, wenn sie den Arbeitsplatz verlassen. Seitdem, und seit man auch kein Auge mehr zudrückt, fehlen die Jugendlichen deutlich seltener: Bis zu 24 Tage waren es noch im ersten Lehrgang, jetzt sind es im Schnitt acht Fehltage pro Jahr.

Neben strengen Regeln hat man sich bei Siemens einiges mehr einfallen lassen: Die Jugendlichen dürfen sich bei asiatischem Kampfsport austoben. „So lassen sie Dampf ab und trainieren gleichzeitig Konzentration und Ausdauer“, sagt Dieter Wolf. Gleich zu Beginn absolvieren alle Azubis außerdem einen Trainingstag. Da geht es um Themen wie Respekt, Verantwortung, Disziplin. Gleichzeitig versuchen Sozialpädagogen, sich alle Kandidaten genau anzuschauen und mögliche Probleme zu identifizieren. Mit Einzelnen machen sie Termine aus, um Probleme anzugehen: vorbeugen statt reagieren. Außerdem bekommen manche bei extra gebuchten Trainern Nachhilfe in Mathe. In die Ausbildung selbst werden mehr Übungen integriert. Für die Ausbilder falle ein Mehraufwand von wöchentlich vier Stunden an, sagt Wolf: „Die Leute kommen ja auch mit ihren familiären Sorgen.“ Weil die Ausbilder damit umgehen lernen müssen, können sie sich von externen Pädagogen beraten lassen. „All das kostet natürlich“, sagt Wolf. Wie viel Siemens dafür aufbringt, könne er nicht sagen; weil es schwierig sei, eine Grenze zu ziehen und den Extra-Aufwand zu beziffern. Der Erfolg gebe ihm aber recht: 90 Prozent der Benachteiligten haben ihre Ausbildung bei Siemens bisher erfolgreich abgeschlossen, 80 Prozent wurden übernommen. Zudem weiß Dieter Wolf, was immer offensichtlicher wird: Den perfekten Bewerber gibt es nicht. Also arbeitet man mit dem vorhandenen Potenzial der Jugendlichen.

Benachteiligte Jugendliche als Zugewinn für das Unternehmen

Einer, der sich mit zweiten Chancen auskennt, ist Benjamin Vogt. Auch er wird zu der Gruppe „benachteiligter Jugendlicher“ gezählt – dabei war er zunächst ein ganz normaler Realschulabgänger. Bei der Fahrzeugbaufirma Faka Zerbst in Bitterfeld machte er eine Ausbildung, später wollte er eine Weiterbildung zum Techniker draufsatteln. Dann aber kam der Tag, ab dem er auch zur Gruppe benachteiligter Jugendlicher gehörte. Er war mit dem Auto unterwegs, wollte überholen, scherte aus – und wurde dann regelrecht von der Straße geschoben. Als er nach zehn Tagen aus dem Koma erwachte, war er von der Brust abwärts gelähmt. Monatelang konnte er nur liegen, hatte das Leben schon abgeschrieben. Aber irgendwie ging es doch aufwärts. Und dann bot ihm sein alter Arbeitgeber sogar eine neue Lehre an: als Bürokaufmann. „Dabei hatte ich früher immer gesagt: Hauptsache nicht Büro“, sagt er. „Aber mit 23 Jahren zu Hause rumzusitzen ist ja auch keine Alternative.“

Mit Fördermitteln der Agentur für Arbeit wurden die Büroräume der Firma rollstuhlfreundlich umgebaut. Das habe zwar etwas administrativen Aufwand bedeutet, sagt der Geschäftsführer Björn Ruhe. „Aber wir mussten einfach helfen. Benjamin hat zwar wie alle Jungen ein paar Flausen im Kopf, aber er ist zuverlässig.“ Und was noch viel wichtiger ist: „Er bringt technisches Verständnis mit, das ist ein Zugewinn für unser Büro“, sagt Ruhe. Mit Jugendlichen ohne Handicap hat er schon ganz anderes erlebt. Und am Ende sind sie dann doch weg: „Die Leute mit den guten Noten werden von großen Firmen umworben. Da haben wir als kleiner Mittelständler oft das Nachsehen.“

Die zweite Chance – Benjamin möchte sie nutzen. Der Lebenswille ist wieder da. Seit drei Tagen fährt er mit seinem neuen, umgebauten Auto selbst zur Arbeit. Und außerdem sei er gerade dabei zu bauen. Ein eigenes Haus, für sich und seine Freundin.

Interview

„Bei jedem Einzelnen schauen: Welche Unterstützung braucht er?“

Petra Lippegaus
© PR - Petra Lippegaus, Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)

Petra Lippegaus ist Expertin für die Förderung von Benachteiligten in der Berufsbildung beim Bundesinstitut für Berufsbildung.

Faktor A: Frau Lippegaus, was können Unternehmen tun, die benachteiligten Jugendlichen eine Chance geben möchten?
Petra Lipegaus: Glücklicherweise gibt es bereits eine ganze Reihe von Betrieben, die nicht mehr so sehr auf Noten und Erfolge  gucken, sondern auf das, was in jemandem steckt. Vertrauen und Mut machen bewirkt schon viel. Wenn Jugendliche Nachhilfe brauchen oder Beratung und Begleitung bei Konflikten, dann sollten sich Betriebe einen Bildungsträger als Partner suchen, die kennen sich am besten aus. Das können Wohlfahrtsverbände sein oder aber Kammern. Auch andere Bildungsträger, die man über die Agentur für Arbeit findet, kommen in Betracht.

In welche Maßnahmen sollte man in der Ausbildung Benachteiligter investieren?

Wer heute den Nachwuchs von morgen sichern will, für den lohnt es sich früh zu schauen: Wo gibt es eine Schule, mit der ich kooperieren kann, etwa durch Betriebserkundungen oder verschiedene Formen von Praktika? Da sieht man dann schnell: Welcher Praktikant kommt in Frage? Und welche Unterstützung brauchen Einzelne gegebenenfalls? An den Schulen bekommt man auch Kontakt zu Berufseinstiegsbegleitern oder Paten, die die Jugendlichen bis zum Schulabschluss und in der schwierigen Anfangszeit der Ausbildung begleiten.

Die Ausbildung Benachteiligter kann zusätzliche Kosten bedeuten. Wie hoch schätzen Sie diese ein?

Das kann man nicht in Zahlen benennen. Wenn man mit Schulen kooperiert, dann bedeutet das einen gewissen Aufwand – aber weniger einen finanziellen. Maßnahmen wie ausbildungsbegleitende Hilfen finanziert die Agentur für Arbeit. Wer sich darüber hinaus besondere Angebote für seine Auszubildenden einfallen lässt, hat Kosten, die von Fall zu Fall verschieden ausfallen.

Haben sich bei der Vielzahl an Projekten in den vergangenen Jahren bestimmte Herangehensweisen als besonders wirksam heraus gestellt?

Im Good Practice Center des Bundesinstituts für Berufsbildung sammeln wir viele gute Lösungen und bereiten sie auf. Ein tolles Projekt ist zum Beispiel die „assistierte Ausbildung“. Da wird geschaut: Wie sind die Voraussetzungen der Jugendlichen, wie die der Betriebe? Und wie können Bedingungen hergestellt werden, damit die Ausbildung gelingt? Externe Dienstleister, etwa Projektträger, ergänzen dann die Ausbildung um die notwendigen Bausteine. Das halte ich für ein Zukunftsmodell. Denn eines ist ganz wichtig: Den benachteiligten Jugendlichen gibt es nicht. Man muss bei jedem Einzelnen schauen: Braucht er persönliche Begleitung? Nachhilfe? Oder vielleicht nur ein Wohnungsangebot?

Welche Branchen sind bereits sehr aktiv und öffnen sich Benachteiligten?

Laut einer aktuellen Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer würden 70 Prozent der Betriebe grundsätzlich lernschwächere Schüler einstellen. Viel getan hat sich z. B. in der Baubranche: Verbände und auch Betriebe gehen jetzt gezielt auf Jugendliche zu, die sie bis vor ein paar Jahren nicht in Betracht gezogen hätten. Das liegt natürlich daran, dass hier schon jetzt der Nachwuchs fehlt. Auch in Regionen, in denen Jugendliche wegziehen, muss man sich bemühen. Ob es Berührungsängste gibt, hängt nach meiner Erfahrung aber eher von Personen als von Branchen ab. Es gibt viele, die sagen: In meiner Familie ist auch nicht immer alles glatt gelaufen. Die können damit umgehen, dass junge Leute Brüche in ihrem Lebensweg haben.


Titelfoto: © Anja Koehler