12.12.2018 - Gunthild Kupitz -7 MinutenMitarbeiter finden
Bei den Stadtwerken Hameln arbeiten 138 Mitarbeiter, darunter zwölf schwerbehinderte Menschen und ihnen gleichgestellte*. Seit 2016 gehört auch Alexander Baum zum Team. Der heute 22-Jährige leidet an Muskeldystrophie nach Duchenne, einer seltenen Erbkrankheit, die die Muskeln lähmt und mit der Zeit schwinden lässt. Baum absolviert derzeit in der IT-Abteilung der Stadtwerke eine Ausbildung zum Fachinformatiker für Systemintegration.
Alexander Baum, auszubildender Fachinformatiker für Systemintegration bei den Stadtwerken Hameln: „Ich hatte in der örtlichen Zeitung eine Anzeige der Stadtwerke gesehen. Ausgeschrieben war eine Stelle für ein Duales BWL-Studium. Das fand ich interessant, weil ich auf dem Beruflichen Gymnasium Wirtschaft mein Abitur gemacht habe. Dann habe ich mich einfach beworben. Ob sie explizit auch für Schwerbehinderte ausgeschrieben war, erinnere ich nicht mehr. So etwas war für mich nicht wichtig; obwohl ich im Rollstuhl sitze und ständig Betreuung durch einen FSJler habe, bin ich relativ normal aufgewachsen. Während des Vorstellungsgesprächs hat sich dann allerdings herausgestellt, dass ich für das BWL-Studium durch alle Abteilungen hätte gehen müssen, was jedoch aufgrund meines Elektrorollstuhls schwierig geworden wäre. Weil ich aber auch in Informatik gute Noten hatte, machte man mir den Vorschlag, fest in die IT-Abteilung zu gehen und das Duale Studium in Wirtschaftsinformatik zu machen. Um Weihnachten herum habe ich dann ein Kurzpraktikum gemacht. Das hat mir sehr gut gefallen. Vor allem die Stimmung in der Abteilung. Danach wusste ich: Das passt. Insgesamt habe ich sechs Bewerbungen geschrieben, und beim Finanzamt hatte ich noch ein weiteres Vorstellungsgespräch. Aber da habe ich schnell gemerkt, dass es nicht so meins ist.
Das Duale Studium habe ich trotzdem nach dem zweiten Semester abgebrochen. Mir wurde alles ein bisschen zu viel. Auch körperlich. Bei den Stadtwerken hat man mir dann einen Ausbildungsplatz als Fachinformatiker angeboten. In der IT-Abteilung sind wir zu fünft: drei Festangestellte und zwei Auszubildende. Wir kümmern uns darum, dass im Haus computermäßig alles läuft. Mich unterstützt dabei ein FSJler. Der übernimmt für mich dann so kleinere Sachen wie das Tippen auf der Tastatur; die Sprachsteuerungstechnik ist einfach noch nicht so ausgereift. Und er begleitet mich zur Toilette, weil ich da Hilfe brauche. Mit meinen Kollegen komme ich gut zurecht. Sie akzeptieren mich so, wie ich bin, und das ist mir schon sehr wichtig. Das war eigentlich vom ersten Tag an so.
Ich kenne einige Jungs, die die gleiche Krankheit haben wie ich und ebenfalls im Rollstuhl sitzen. Die haben wirklich Schwierigkeiten, eine passende Stelle zu finden. Einer ist schon seit Jahren auf der Suche und bekommt nichts. Er sitzt zu Hause bei seinen Eltern und langweilt sich. Ein anderer hatte einen ziemlich guten Job in der Buchhaltung eines Pflegeheims. Als ein Kollege kündigte, sollte er seine Arbeit mitmachen, was nicht ging. Ich habe wirklich Glück gehabt, einen so guten Ausbildungsplatz zu finden.“
Fünf Fragen an Nina Rose, 37, Personalreferentin bei den Stadtwerken Hameln
Faktor A: Hatten die Stadtwerke eigentlich bereits vor der Einstellung von Alexander Baum Erfahrung mit Schwerstbehinderten?
Nina Rose: Nein. Bei uns haben zwar schon immer Schwerbehinderte gearbeitet, sowohl in kaufmännischen wie technischen Bereichen. Doch viele Kollegen haben keine körperlichen Einschränkungen, denen merkt man die Behinderung gar nicht an. Mit Alexander Baum beschäftigen wir jetzt den ersten Rollstuhlfahrer.
Warum haben sich die Stadtwerke entschieden, Alexander Baum einen Ausbildungsplatz anzubieten – und das, obwohl ihn seine Krankheit stark beeinträchtigt?
Zunächst mal ist er uns durch sein sehr gutes Abiturzeugnis aufgefallen. Deshalb haben wir ihn auch zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Aus der Bewerbung ging zwar hervor, dass er behindert ist, aber das Ausmaß war uns nicht bekannt. Wir haben ihn dann zu einem dreitägigen Kurzpraktikum in die IT-Abteilung eingeladen, damit er und wir testen konnten, ob es funktionieren würde. Und es funktionierte. Außerdem haben sich die Kollegen für ihn stark gemacht und gesagt: „Wir kümmern uns um ihn.“
Einen Schwerstbehinderten zu beschäftigen, ist ja auch tatsächlich eine Herausforderung …
Uns hat vor allem sein Willen beeindruckt und das, was er bis dahin geschafft hatte. Alternativ wäre für ihn vermutlich nur eine Behindertenwerkstatt infrage gekommen, und da gehört er von seinen geistigen Fähigkeiten definitiv nicht hin. Dass er sein Leben gestalten und eine sinnvolle Aufgabe haben will, hat uns gefallen. Darin wollten wir ihn unterstützen und fördern. Als regionaler Energieversorger sind wir auch der Ansicht, dass wir eine gesellschaftliche Verpflichtung haben. Wenn nicht wir, wer dann? Aber natürlich müssen auch die Rahmenbedingungen und Qualifikationen passen. Und bei Alexander Baum hat beides gepasst.
Trotzdem musste doch sicher einiges umgestaltet werden. Ein ziemlicher Aufwand, oder?
Es hielt sich in Grenzen. Einen Aufzug hatten wir sowieso schon im Gebäude – und höhenverstellbare Schreibtische in den Büros ebenfalls. Und für den Umbau einer Toilette bekamen wir Fördermittel. Alles andere, wie Headset, Joystick oder den Escape Chair für den Brandfall, hat Alexander Baum selbst beantragt und auch bewilligt bekommen.
Seit zwei Jahren ist er jetzt bei ihnen. Wie klappt es denn?
Natürlich ist er nicht so einsetzbar und belastbar, wie ein anderer Auszubildender, das ist klar. Ansonsten läuft es gut. Er hat ja immer einen Betreuer an seiner Seite, der ihn unterstützt, sei es, um ihn mit Getränken zu versorgen oder zur Toilette zu begleiten. Das ist alles organisiert, denn von uns könnte das keiner leisten. Neulich hatten wir allerdings einen Feueralarm. Trotz vorheriger Übungen haben wir gemerkt, dass wir im Ernstfall Herrn Baum schneller in den Escape Chair setzen und raustragen können müssen. Zum Glück war es nur ein Fehlalarm. Für uns jedoch eine gute Übung.