01.09.2020 - Antonia Kemper -5 MinutenMitarbeiter finden
Zuletzt aktualisiert: 18.04.2024
Was Unternehmer und Personaler über die Azubis von heute aus der Erfahrung einer Berufsberaterin wissen müssen.
Petra Cämmerer, 51, berät seit mehr als 25 Jahren junge Menschen bei der Wahl eines geeigneten Studiums oder Berufs. Lange Zeit tat sie dies in Berlin, wo sie schwerpunktmäßig Haupt- und Realschüler über Ausbildungsmöglichkeiten informierte, ab 2007 auch Abiturienten und Hochschüler. Heute arbeitet sie in Hamburg.
Faktor A: Nach einer Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung vom vergangenen Jahr spielen Status und Ansehen bei der Berufswahl eine große Rolle. Ist das auch Ihre Erfahrung?
Petra Cämmerer: Ja. Wenn ich Abiturienten frage, warum sie keine Ausbildung machen wollen, bekomme ich häufig zur Antwort: „Das hört sich cooler an, wenn ich sage: ‚Ich geh’ zur Uni.‘“ Und natürlich erhoffen sie sich durch einen akademischen Abschluss auch höhere Verdienstmöglichkeiten – ein Argument, das man allerdings oft schnell entkräften kann. Trotzdem merke ich, dass ich die Schüler ganz schwer davon wegkriege. Das gilt auch für Jugendliche, die nur mit Ach und Krach ihr Abitur geschafft haben. Wenn ich denen die Anforderungen eines Studiums aufzeige und die Vorteile einer Ausbildung erkläre, höre ich oft: „Dafür habe ich nicht Abitur gemacht.“
Was erwarten junge Menschen von einem Beruf?
Die beiden Stichworte, die meist als Erstes genannt werden, sind Spaß und Abwechslung. Wichtig ist ihnen heute auch eine ausgewogene Work-Life-Balance. Sie wollen keine 60-, 70- oder gar 80-Stunden-Woche, sondern irgendwann vielleicht eine Familie gründen oder ihren Hobbys nachgehen. Auch die Sinnhaftigkeit einer Arbeit ist für sie ganz zentral. Und immer häufiger fällt der Begriff Nachhaltigkeit: „Ich will etwas für die Umwelt tun“, heißt es dann. Und: „Ich möchte etwas mit Menschen oder für Menschen machen.“
Wenn sich Jugendliche für eine Ausbildung entscheiden, bewerben sich 60 Prozent von ihnen für die immer gleichen Top 25. Dabei gibt es etwa 380 verschiedene Ausbildungsberufe plus 130 schulische.
Das hat natürlich viel mit der Bekanntheit dieser Berufe zu tun. Medizinische Fachangestellte, Kraftfahrzeugmechatroniker, Kaufmann oder -frau im Groß- und Einzelhandel – die kennt jeder. Exotischere wie Segelmacher oder Bootsbauer eher nicht. Da ist es dann meine Aufgabe, auf Berufe aufmerksam zu machen, die unterhalb der Hitliste stehen.
Was können Unternehmen selbst tun, um Absolventen jenseits von Werbung oder Auftritten in sozialen Medien für sich zu gewinnen?
Es ist immer gut, wenn Betriebe sich mit Schulen zusammenschließen und sich dort an sogenannten Ausbildungs- oder Studientagen beteiligen. Auch meine Kollegen und ich freuen uns immer, wenn wir einen ungewöhnlicheren Beruf kennenlernen.
Wenn junge Menschen ihre Ausbildung beginnen – mit welcher Einstellung tun sie das dann?
In der Regel mit großer Motivation und Freude. Aber auch mit einer gewissen Unsicherheit. In der Schule war ja alles geregelt. Doch im Betrieb ist erst einmal alles neu: das Team, die Abläufe, die Konventionen. Da ist es schön, wenn die Unternehmen Hilfestellung geben und ihre Auszubildenden ein bisschen an die Hand nehmen.
Und machen die das?
Das ist unterschiedlich. Gerade bei kleineren Handwerksbetrieben, wo ein fast familiäres Umfeld herrscht, wird nachmittags auch mal gemeinsam eine Tasse Kaffee getrunken oder mal Nachhilfe für die Berufsschule gegeben. In großen Betrieben läuft es natürlich standardisierter ab. Da trifft man sich dann beispielsweise immer dienstags in einer Arbeitsgruppe. Das eine ist aber nicht besser oder schlechter als das andere.
Was erwarten denn Arbeitgeber von den Schulabgängern?
Zuverlässigkeit. Vor allem die. Leider funktioniert das oft nicht richtig. Wenn sich die Mitarbeiter um halb sieben treffen, um zur Baustelle zu fahren, muss der Jugendliche auch um halb sieben da stehen. Ansonsten höre ich immer häufiger, dass sich Betriebe in bestimmten Branchen gegenüber Bewerbern mit schlechten Zeugnissen durchaus kompromissbereit zeigen. Da heißt es dann: „Wenn der will, kriegen wir das hier alles hin. Aber er muss wollen.“
Vermutlich betrifft das vor allem die Gewerbe, die für viele Jugendliche nicht so attraktiv sind. Allein im Maurerhandwerk können derzeit 17 Prozent der Ausbildungsplätze nicht besetzt werden, in Industrie und Handel sind es acht Prozent. Woran liegt das?
Das Handwerk ist bei Abiturienten nach wie vor eher unbeliebt: Man will sich nicht schmutzig machen. Und körperliche Arbeit mögen viele auch nicht. Fälschlicherweise werden gerade im Handwerk die Karrieremöglichkeiten übersehen, ganz besonders die Chancen, die in einer Selbstständigkeit liegen.
Obwohl zwischen 30 und 40 Prozent der Studenten die Uni ohne Abschluss verlassen, scheint eine Ausbildung aus Sicht nur für jeden vierten Abiturienten eine Alternative zu sein. Warum?
Mit der Aufnahme eines Studiums wollen manche die Entscheidung für einen Beruf noch ein bisschen aufschieben. Und die Vorstellung, jeden Tag von 8 bis 17 Uhr irgendwo zu sein und nur 25 Tage Urlaub im Jahr zu haben, mögen viele auch nicht. Manche kommen allerdings erst zu mir, wenn sie an der Uni gescheitert sind und sie einen, manchmal auch zwei Studiengänge abgebrochen haben. Die sind dann erst mal down, und man muss Aufbauarbeit leisten. Doch für Unternehmen sind sie deshalb noch lange keine schwachen Kandidaten. Mit Mitte 20 eine Ausbildung zu beginnen, ist aber nicht ganz einfach. Denn in der Berufsschule ist man mit 16- bis 18-Jährigen zusammen, und das Niveau ist ehrlicherweise auch ein anderes.
Wie können Unternehmen sie dabei unterstützen?
Indem sie aufgeschlossen sind. So jemand kann ein Schatz für den Betrieb sein. Deshalb sollte man dafür sorgen, dass die Kollegen das auch sehen.
Auch jede zweite Ausbildung wird mittlerweile abgebrochen, oft schon in der Probezeit. Was läuft da falsch?
Es ist immer wieder erstaunlich, wie blauäugig viele Jugendliche in einen Beruf rutschen – sei es über Vitamin B oder sei es, dass sie ihn nur vom Hörensagen kennen, aber sich nie genauer mit den Anforderungen des Berufes auseinandergesetzt haben. Deswegen sage ich immer: „Geht in die Praxis, und möglichst nicht nur in einen Betrieb, sondern in mehrere. Und sprecht dort mit verschiedenen Mitarbeitern.“ Denn es kann sein, dass man dort sonst den einen erwischt, der entweder alles schlecht macht oder alles ganz toll beschreibt. Eine wichtige Erkenntnis kann übrigens dann auch sein, dass ein Beruf nicht der richtige ist. Das bewahrt den Jugendlichen vor der Erfahrung des Scheiterns – und den Arbeitgeber vor dem Ausfall einer Arbeitskraft, von Zeit und Geld. Deshalb sollten auch Unternehmen potenzielle Kandidaten zu sich einladen.
Immer wieder erzählen Arbeitgeber, dass ihre Azubis nicht rechnen könnten, nie ihre Baseballkappen abnähmen und Probleme mit Pünktlichkeit hätten. Und: Es gäbe immer mehr junge Männer, die nur mit viel gutem Willen und noch mehr Mühe in ein Berufsleben zu integrieren seien. Was antworten Sie denen?
Unternehmer werden aufgrund des Nachwuchsmangels in den nächsten Jahren Menschen vermehrt eine Chance geben müssen, die sie bisher ignoriert haben. Einige tun das schon jetzt und verzichten etwa auf Bewerbungsanschreiben – mit dem Effekt, dass sich die Zahl der Bewerber deutlich erhöht hat. Und wer Jugendliche mit Förderbedarf integriert, dem steht die Arbeitsagentur mit zahlreichen Programmen immer unterstützend zur Seite.