12.08.2020 - Antonia Kemper -6 MinutenMitarbeiter finden
Eine Leipziger Anwaltskanzlei hat mit Mandy Berger eine schwerbehinderte Frau eingestellt. Warum? Weil sie beide Anwälte von sich überzeugt hat. Und weil ein Inklusionsprojekt der Agentur für Arbeit ihre Anstellung fachlich und finanziell begleitet.
Stefan Schübel, 49, Fachanwalt für Arbeits- und Versicherungsrecht in der Kanzlei Bergk & Schübel in Leipzig, über die Gründe, einer Schwerbehinderten einen Arbeitsplatz anzubieten, über Förderhilfen und warum er anderen Unternehmern gerne von seinen positiven Erfahrungen berichtet.
Faktor A: Sie haben mit Mandy Berger eine schwerbehinderte Mitarbeiterin eingestellt. Rein rechtlich wären Sie dazu nicht verpflichtet gewesen, da Sie keine 20 Angestellten haben. Warum haben Sie es trotzdem getan?
Stefan Schübel: Wir hatten mehrere Bewerber, und bei ihr hat es gut gepasst – auch weil das Inklusionsprojekt „AuVschwung“ der Leipziger Agentur für Arbeit ihre Eingliederung gefördert hat, unter anderem durch die Möglichkeit eines dreimonatigen Praktikums. Wir haben uns deshalb entschieden, es mit ihr zu probieren. Im März 2018 fing Mandy dann bei uns an, ab Juni haben wir ihr einen festen Arbeitsvertrag angeboten.
Gab es etwas, was Sie in dieser Zeit besonders von ihr überzeugt hat?
Sie war sehr motiviert; sie wollte diese Chance, unbedingt. Das war für uns tatsächlich ein Argument. Es war zwar klar, dass sie als Bürokraft fachlich noch sehr viel würde lernen müssen, da sie keine Ausbildung als Rechtsanwaltsfachangestellte hat, aber das haben wir in Kauf genommen. Außerdem hat uns der für sie zuständige Berater von „AuVschwung“ schon im ersten Gespräch auf Fördermöglichkeiten hingewiesen, wie beispielsweise auf die Tatsache, dass die Agentur für Arbeit ihre Anstellung für drei Jahre unterstützt. Das hat uns ehrlicherweise die Entscheidung leichter gemacht, auch weil bei ihr jenseits der fehlenden fachlichen Qualifikation Defizite vorhanden sind, die man kompensieren muss.
Welche denn?
Zum Beispiel ihr langsameres Arbeitstempo. Außerdem ermüdet sie relativ schnell, denn der Job ist schon ziemlich stressig und anspruchsvoll. Weil ihre körperliche Konstitution krankheitsbedingt nicht optimal ist, braucht sie immer mal wieder eine längere Pause. Aber das ist in Ordnung; ihre beiden Kolleginnen tragen das mit. Es passt also gut. Wir hoffen, dass sie bis zum Ablauf der Förderzeit so viel gelernt hat, dass wir sie wie eine vollwertige Arbeitskraft weiterbeschäftigen können.
Was hat Ihre Entscheidung mehr beeinflusst: das Geld oder die Betreuung durch den Berater?
Ohne die Begleitung durch den Projektmitarbeiter hätten wir Mandy wahrscheinlich nicht genommen, das muss man ganz klar sagen. Doch seine Kenntnisse, wie man einen schwerbehinderten Menschen ins Arbeitsleben integriert, haben sehr geholfen – und uns die Entscheidung leicht gemacht. Aber natürlich ist es auch ein großer Vorteil für uns als Unternehmer, jemanden mit einem geringeren finanziellen Risiko einzuarbeiten.
Was ist mit den Nachteilen, die Sie haben, wenn Sie einen schwerbehinderten Mitarbeiter einstellen? Schließlich hat er oder sie Anrecht auf mehr Urlaubstage, darf Mehrarbeit verweigern, und ein besonderer Kündigungsschutz besteht auch.
Klar, das sind rechtliche Nachteile für Arbeitgeber, keine Frage. Aber es hängt ja auch immer mit dem Arbeitnehmer zusammen. Und wir sind mit Mandy sehr zufrieden; sie ist sehr motiviert, fleißig und zuverlässig. Diese Eigenschaften wiegen für uns alles andere auf.
Empfehlen Sie auch anderen Unternehmern, Schwerbehinderte einzustellen? Ihren Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel?
Natürlich gebe ich meine Erfahrung weiter. Ich erzähle dann auch, wie extrem hilfreich es war, dass Mandy in der Anfangsphase so gut begleitet wurde. Das ist ein ganz gewichtiges Argument. Ebenso, dass uns Arbeitgebern die Möglichkeiten der Integration aufgezeigt werden. Es ist ja nicht nur das Geld. Mandy wurde auch ein ihrer Behinderung entsprechend angepasster Arbeitsplatz eingerichtet. Deshalb finde ich Projekte wie „AuVschwung“ sehr sinnvoll. Denn wer nicht weiß, dass und wie sich bestimmte Defizite kompensieren lassen, ist sicher häufig abgeschreckt und verzichtet darauf, einen schwerbehinderten Menschen einzustellen, auch wenn der sich in den einzelnen Jobs sehr gut gemacht hätte. Aber dadurch hat keiner von beiden die Chance, das festzustellen.