31.10.2018 - Matthias Thiele -4 MinutenMitarbeiter finden
Fahrradhändler Hamidreza Ameli ist Opfer des Fachkräftemangels: Weil er kaum noch Leute gefunden hat, die sich zum Fahrradmechaniker ausbilden lassen wollen, hat er gemeinsam mit der Arbeitsagentur Dresden und einem Bildungsträger ein Konzept entwickelt, das Flüchtlinge und Langzeitarbeitslose weiterqualifiziert, sodass sie in seinen Werkstätten aushelfen können.
Das Hinterrad hat noch immer einen leichten Ausschlag nach links und eiert. Mohammed Abdenur schaut konzentriert, dreht ein wenig am Speichenschlüssel, umfasst den Reifen, versetzt das Rad in Schwung. Jetzt läuft es rund. Der 29-Jährige stammt aus Somalia, war als Flüchtling nach Dresden gekommen und dort zunächst zum Nichtstun verdammt.
„Ich finde, Flüchtlinge sollen in Deutschland nicht rumhängen und dabei dem Staat auf der Tasche liegen“, sagt sein Chef Hamidreza Ameli. Er kam selbst 1984 aus dem Iran in die Bundesrepublik. 1996 zieht er nach Dresden, wo sein Onkel aus Heidelberg 1990 nach der Wende das Fahrrad-Produktionswerk des VEB Kombinats in Neukirch/Lausitz übernommen hatte. Als der um die Jahrtausendwende das Unternehmen wieder verkauft, bleibt Ameli in seiner neuen Wahlheimat und baut einen Fahrradhandel mit dazugehörigen Werkstätten auf. Heute gehören seine vier Fahrradläden als eigenständige Gesellschaft zur Fahrrad-XXL-Gruppe.
Die Geschäfte laufen gut. Ameli investiert in ein neues Lager und in die Werkstätten. Doch junge Menschen zu finden, die eine Ausbildung zum Fahrradmechaniker oder zum Fahrradmonteur machen wollen, wird für den Unternehmer zunehmend schwierig. Also kommt er im Frühjahr 2015 auf die Idee mit den Schnupperkursen: Könnte man nicht Langzeitarbeitslose und ältere Menschen in einem Kompaktkurs qualifizieren, ihnen so eine Arbeit verschaffen und gleichzeitig den eigenen Fachkräftemangel beseitigen?
Arbeitgeberservice hilft unbürokratisch
Als dann im Sommer 2015 Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Nordafrika zu Tausenden in Deutschland Schutz finden vor Krieg und Verfolgung, möchte Ameli Verantwortung übernehmen. Wer von den Neuankömmlingen eine Ausbildung möchte, soll bei ihm einen Platz im Schnupperprogramm bekommen und zumindest tagsüber raus aus den tristen Flüchtlingsheimen. Doch unternehmerisch steht Ameli vor einem Problem: Das Anlernen von Hilfskräften ist mühsam und teuer – und das Bleiberecht vieler Flüchtlinge vorläufig. „Wenn ich drei Monate in die neue Arbeitskraft investiere und mein Mitarbeiter dann nach einem Jahr das Land verlassen muss, rechnet sich das für mich betriebswirtschaftlich nicht.“
Ameli ruft bei der Arbeitsagentur an, Arbeitgeberservice. Sein Angebot: Wir qualifizieren Arbeitssuchende und Flüchtlinge ein halbes Jahr lang, damit sie die Arbeit als Fahrradmechaniker oder -monteur kennenlernen, die Arbeitsagentur finanziert das Programm – denn Kosten für die arbeitslosen Flüchtlinge fallen ohnehin an. Wer von den Schülern geeignet ist, wem die Arbeit gefällt und wer ein Bleiberecht bekommt, hat nach dem halben Jahr eine gute Aussicht auf einen Ausbildungsplatz, denn Fahrrad XXL sucht nicht nur in Dresden, sondern auch in Chemnitz und Halle nach Azubis.
„Meine Idee war, dass die Leute erst einmal schauen, ob ihnen die Arbeit in einer Fahrradwerkstatt gefällt und ob sie geeignet sind für eine komplette Ausbildung“, sagt Ameli. Doch zunächst wird seine praktische Idee durch komplizierte Bürokratie ausgebremst: Flüchtlinge dürfen nur von anerkannten Bildungsträgern fortgebildet werden, nicht innerbetrieblich.
Deutsch lernen und schrauben
Doch Katja Jentsch und Cindy Großmann von der Arbeitsagentur Dresden stellen für Ameli einen Kontakt her zum Sächsischen Umschulungs- und Fortbildungswerk Dresden (SUFW), das als Bildungsträger die Rahmenausbildung organisieren und die praktische Ausbildung den Betrieben überlassen könnte. Die Gespräche über die Finanzierung und das Konzept gehen schnell voran, die Arbeitsagentur arbeitet Ameli und SUFW zu, sodass das Konzept schon nach zwei Monaten DEKRA-zertifiziert ist und 15 Plätze finanziert sind.
Im Januar 2018 beginnen zehn Flüchtlinge ihre Qualifikation, die sechs Monate dauert. Drei Tage sind sie im Betrieb, an zwei Tagen werden sie theoretisch geschult und bekommen Deutschunterricht. Sie lernen bei Ameli, wie man fabrikneue Räder fahrbereit macht und den Kundenwünschen anpasst. Wer sich gut anstellt und Erfahrung gesammelt hat, darf sich unter Anleitung an der Reparatur gebrauchter Fahrräder versuchen.
Projekt wächst bundesweit
Im April unterschreiben die ersten Nachwuchs-Fahrradmonteure aus dem Qualifikationsprogramm bei Ameli einen Arbeitsvertrag als Hilfsarbeiter, drei seiner Lehrlinge sind Flüchtlinge. „Die Arbeitsagentur hat uns in jeder Phase des Projekts kritisch begleitet und unterstützt“, sagt Ameli. „Einige unserer neuen Mitarbeiter hatten noch kein Girokonto und brauchten noch eine deutsche Steuernummer. Bei der Arbeitsagentur hatten sie geduldige Gesprächspartner, die ihnen auch bei diesen Alltagsfragen geholfen haben.“
Im Frühjahr 2018 stellt Ameli sein neues Ausbildungsprojekt innerhalb der Fahrrad- XXL-Gruppe vor. „Das Konzept hat sich bewährt“, sagt er: „Für die gesamte XXL-Gruppe haben wir mittlerweile an vier Standorten Bildungsträger gefunden und ihnen unseren Ausbildungsplan als Arbeitsgrundlage zur Verfügung gestellt.“ In Ludwigshafen, Gelsenkirchen, Koblenz und Griesheim werden bei Fahrrad XXL mittlerweile ebenfalls Flüchtlinge zu Hilfskräften weitergebildet.
Von den elf Flüchtlingen aus dem Qualifizierungsprojekt mit der SUFW sind bislang vier übernommen und unbefristet eingestellt worden, einer befindet sich noch in dem Qualifizierungsprojekt. Inzwischen beschäftigt Fahrrad XXL in Dresden fünf Flüchtlinge als Auszubildende Fahrradmonteur Einzelhandelskaufmann, sieben sind im Unternehmen fest angestellt.