Gehörlos, langzeitarbeitslos – und trotzdem ein guter Mitarbeiter

Viele Firmen scheuen vor der Einstellung Langzeitarbeitsloser zurück. Der Grund: Vorurteile. Dabei gibt es viele positive Beispiele. Wie Lars Lehmann.


30.08.2017 - Birga Teske -7 MinutenMitarbeiter finden

Die Firma malerwerkstätten.com hat über das Projekt „AuVschwung“ der Agentur für Arbeit und des Jobcenters in Leipzig einen Langzeitarbeitslosen vermittelt bekommen. 14 Jahre hatte Lars Lehmann (54) keine feste Anstellung. Nun arbeitet der gehörlose gelernte Gartenbauhelfer als Lackierer. Und sein Chef ist hochzufrieden.

Das sagt der Chef: Thomas Herbrik

Ich habe schon häufiger Langzeitarbeitslose zu Bewerbungsgesprächen getroffen. Aber dass eine Gebärdendolmetscherin mit am Tisch sitzt und mir die Antworten ins Ohr spricht, war eine neue Erfahrung. Die Unterhaltung lief gut. Schnell war klar: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Obwohl Herr Lehmann gehörlos ist, haben wir ihn zu einem vierwöchigen Praktikum eingeladen. Da hat er sehr gute Arbeit geleistet. Auch die anschließende Probezeit lief sehr gut. Bei der täglichen Arbeit kommen wir ohne Übersetzer aus. Manchmal ist das nicht einfach, weil Herr Lehmann undeutlich redet und es schwer ist, ihn zu verstehen. Wenn er neue Aufgaben bekommt, erklären wir ihm das mit Händen und Füßen. Das dauert vielleicht etwas länger als bei anderen Arbeitnehmern, aber am Ende klappt es. Und das ist das Wichtigste.

Mit Spaß und Motivation bei der Arbeit

Thomas Herbrik, Farbe im Hintergrund
© Emil Levy Z. Schramm - Thomas Herbrik, Geschäftsleiter bei malerwerkstätten.com ist mit der Arbeit von Lars Lehmann mehr als zufrieden.

Wir haben die malerwerkstätten.com 2005 in Leipzig gegründet. Ich war von der ersten Minute an als Geschäftsleiter dabei. Unter anderem haben wir uns darauf spezialisiert, alte profilierte Holztüren und Holzelemente zu überarbeiten. Dadurch, dass Herr Lehmann in der Lackiererei arbeitet, wo das Arbeitsfeld eng abgesteckt ist, läuft die Zusammenarbeit gut.

Manchmal kommt er auch auf Baustellen mit. Man kann sich auf Herrn Lehmann verlassen, die Arbeit macht ihm Spaß, und er ist sehr motiviert. Wir beschäftigen noch zwei weitere Arbeitnehmer mit einer Behinderung: eine Sekretärin und einen Lackierer mit Lernschwäche. Man muss ihnen mehr erklären und auf sie eingehen, aber ich sage den anderen Kollegen immer, dass sie ganz normal mit ihnen umgehen sollen. Das zahlt sich für beide Seiten aus. Schon jetzt – nach wenigen Monaten bei uns – merkt man, dass Herr Lehmann selbstständiger geworden ist.

Das sagt der Arbeitnehmer: Lars Lehmann

Ich habe schon in vielen Firmen gearbeitet und dort verschiedene Aufgaben erledigt. Inhaltlich mag sich das unterscheiden, aber egal welche Tätigkeit es ist: Ich nehme jede Arbeit ernst. Nach meinem Hauptschulabschluss war ich zuerst in einem Fotolabor beschäftigt, anschließend in einem Transportunternehmen. Was direkt danach kam, weiß ich schon gar nicht mehr, das ist ja schon einige Jahre her. In den letzten Jahren habe ich abwechselnd als Maler und als Gärtner gearbeitet. Mein Vater war gelernter Maler, er hat mir vieles beigebracht. Anstreichen kann ich deshalb sehr gut. Jetzt arbeite ich in der Lackiererei der malerwerkstätten.com in Leipzig. Da gibt es für mich noch einiges zu lernen. Wenn man einen Fehler macht, laufen da schon einmal „Nasen“.

Meine Kollegen unterstützen mich. Sie helfen mir zum Beispiel beim Tragen schwerer Sachen. Umgekehrt würde ich auch helfen, wenn jemand nicht alleine klarkommt. Die Arbeit muss ja erledigt werden.

Diskriminierung hat viele Gesichter

Lars Lehmann lehnt an Malerleiter, Farbe im Hintergrund
© Emil Levy Z. Schramm - Viel hat Lars Lehmann von seinem Vater, einem Maler, gelernt. In der Lackiererei kommen aber auch manche neue Aufgaben auf ihn zu.

Die Kommunikation untereinander ist schon besser geworden. Den meisten Kollegen lese ich vom Mund ab, was sie sagen. Auch mit meinem Chef verstehe ich mich gut. Weil ich gehörlos bin, ist es wichtig, dass sich meine Gesprächspartner an bestimmte Kommunikationsregeln halten. Dazu gehört, dass sie beim Reden nicht den Kopf abwenden. Bei früheren Arbeitgebern habe ich es schon erlebt, dass Vorgesetzte weggeschaut oder mich ignoriert haben. Einmal habe ich nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses meinen ausstehenden Lohn nicht erhalten. Ein anderes Mal sollte ich unentgeltlich arbeiten. Das ist diskriminierend. Ich muss ja auch von irgendetwas leben. Mit 54 Jahren muss ich langsam an die Rente denken. Ich bin sehr froh, jetzt durch das Projekt „AuVschwung“ in Leipzig eine feste Anstellung gefunden zu haben. Nach einem vierwöchigen Praktikum und drei Monaten Probebeschäftigung bekomme ich ab September meinen unbefristeten Arbeitsvertrag. 

 

Gebäude Malerwerkstätten in Leipzig
© Emil Levy Z. Schramm - 2005 wurde malerwerkstätten.com in Leipzig gegründet.

Vom Frachtschiffer zum Ausflugsboot-Mitarbeiter

Auf der „MS Brombachsee“ dreht sich alles um das Wohl der Gäste, und das sieben Tage pro Woche. Der gelernte Binnenschiffer Martin Mangelsdorf (43) hat auf dem Ausflugsschiff umgeschult – vom selbstständigen Frachtschiffer zum Teammitglied. Sein Chef ist froh über die Unterstützung.

Das sagt der Chef: Marcus Wilken

Als sich Herr Mangelsdorf zum ersten Mal bei uns bewarb, mussten wir ihm absagen. Wir hatten zwar einen neuen Mitarbeiter gesucht – aber vor allem für unsere Gastronomie. An einem zusätzlichen gelernten Binnenschiffer hatten wir keinen Bedarf. Dann kam der Winter, und wir haben an unserem Angebot für die nächste Saison gearbeitet. In dieser Situation sprach uns die Arbeitsagentur auf Herrn Mangelsdorf an. Wir haben dann noch einmal überlegt, ob wir ihn nicht doch einstellen können. Eigentlich hatten wir unsere Belegschaft bereits zusammen. Wir beschäftigen insgesamt 30 Leute, die Hälfte davon in Vollzeit. Unseren Betrieb auf dem Großen Brombachsee haben wir 2001 gestartet. Aber man weiß im Vorhinein nie, wie sich das Geschäft in den Sommermonaten entwickelt. Statt abzuwarten, haben wir uns kurzerhand entschlossen, Herrn Mangelsdorf als zusätzliche Kraft einzustellen.

Rücksicht nehmen gehört dazu

Das Geschäft hat sich dann anders entwickelt als gedacht, wir haben sehr viel zu tun. Auch Herrn Mangelsdorf setzen wir deshalb stärker ein, als zunächst geplant. Das ist sicher eine Herausforderung für ihn, denn bei uns richtet sich die Schlagzahl der Arbeit immer nach den Gästen. Das alles zu organisieren, die vielen Absprachen – das bedeutet Stress. Da muss man Rücksicht nehmen und Hilfestellung geben. Gerade die Kollegen, die schon länger dabei sind, verstehen das manchmal nicht. In unserer Gesellschaft wird ja allgemein zu wenig gelobt und immer nur kritisiert. Herr Mangelsdorf stößt gelegentlich auf Sachen, die er noch nicht kann. Aber wir sagen ihm, dass das in Ordnung ist. Herr Mangelsdorf ist ein angenehmer Mensch, er ist teamfähig und freundlich. Er unterstützt uns gut. Und er ist selbstbewusst genug, zu sagen, wenn ihm etwas zu viel wird.

Das sagt der Arbeitnehmer: Martin Mangelsdorf

Ich komme ursprünglich aus Nürnberg, habe aber 16 Jahre in Duisburg gewohnt. Bis 2008 war ich dort als selbstständiger Binnenschiffer tätig. Am Ende wurde es immer schwieriger, Ladung und faire Bankkredite zu bekommen. Außerdem wollte ich zurück in meine Heimat. Ich habe Arbeit an Land gesucht, aber mit meinem Beruf konnte kein Arbeitgeber etwas anfangen. Ich habe weit über 100 Bewerbungen geschrieben, vielleicht auch 200. Aber Binnenschiffer sind in Franken nicht gesucht. Und wenn ich mich auf andere Stellen beworben habe, haben die Personalchefs gleich gesehen, dass ich nicht vom Fach bin, und lieber jemand anderen genommen. Von 2011 bis 2012 war ich als Möbelpacker beschäftigt. Zuletzt bin ich in ein ESF-Programm zur Eingliederung Langzeitarbeitsloser aufgenommen worden.

Arbeiten mit Herzklopfen

Ich bin froh, dass ich jetzt auf der „MS Brombachsee“ arbeiten kann. Im April bin ich zusätzlich zur bestehenden Belegschaft als Bootsmann eingestellt worden. Seit Juli darf ich gelegentlich auch als Schiffsführer arbeiten. Darauf bin ich stolz. Ich habe jetzt einen Schiffsführerschein für alle Binnengewässer in Bayern. Nur für den Bodensee benötigt man noch ein anderes Papier. Früher habe ich Fracht auf dem Rhein transportiert. Das ist etwas ganz anderes als das Gastrogewerbe auf einem Partyschiff. Manchmal bekomme ich Herzklopfen, wenn hier mehrere Busgruppen gleichzeitig ankommen und alle etwas von mir wollen. Aber es ist meine Aufgabe als Bootsmann, die Gäste zu begrüßen. Wenn ich möchte, kann ich dann aber mit meinen Chefs reden und mit dem Schiffsführer tauschen. Ich habe schon viel Neues dazugelernt. Meine Chefs sagen, dass sie mit meiner Arbeit zufrieden sind. Die Motivation ist auf jeden Fall da bei mir.


Titelfoto: © Emil Levy Z. Schramm