Job-Turbo meets Pflege: Integration made in Germany

Schnelle Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten aus der Ukraine. Lesen Sie jetzt unser Best-Practice-Beispiel "Pflege-Fachkraft, verzweifelt gesucht!"


03.09.2024 - Katja Feuerstein -8 MinutenMitarbeiter finden

Olena aus der Ukraine hat es geschafft: Die erfahrene Krankenschwester arbeitet in Deutschland erfolgreich in der ambulanten Pflege. Wie sie, ihr Arbeitgeber und die Arbeitsvermittlung dafür gemeinsam an einem Strang zogen, zeigt Faktor A.

Deutschland braucht dringend Fach- und Arbeitskräfte. Viele Geflüchtete haben aktuell den Integrationskurs absolviert, verfügen über Basiskenntnisse in Deutsch und sind bereit, ihre Berufserfahrung und Kenntnisse auf dem deutschen Arbeitsmarkt einzubringen. Olena ist eine von ihnen. Nach ihrer Flucht aus der Ukraine fand sie schnell einen Job, der gut zu ihrer Qualifikation passt. Möglich macht das der Job-Turbo: Damit erhalten Geflüchtete einen Sofort-Arbeitsmarktzugang und intensive Integrationskurse zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit. Ihre Deutschkenntnisse wendet Olena dabei schnellstmöglich im Job an, um sie stetig weiterzuentwickeln: 15 Stunden Sprachkurs und 20 Stunden Arbeit pro Woche, dazu eine passgenaue Förderung. Ihre Erfolgsstory haben wir uns genauer angeschaut!

Am Arbeitsmarkt werden besonders Fachkräfte mit guten Deutschkenntnissen gesucht. Die Integration Geflüchteter ist daher eine echte Herausforderung. Denn für eine nachhaltige Erwerbsperspektive müssen die Menschen vielfach erst sprachlich und fachlich fit gemacht werden. Der „Turbo“ für Geflüchtete und die Arbeit des Sonderbeauftragten der Bundesregierung beschleunigen diesen Integrationsprozess. Sie setzen nach dem Erwerb erster Sprachgrundlagen auf den schnellen Arbeitsmarktzugang und parallel dazu auf den Ausbau sprachlicher und fachlicher Kompetenzen. Denn wer schnell im Job ist, lernt schneller Deutsch, sammelt Erfahrung und verliert vorhandenes Job-Wissen nicht. So können sich Geflüchtete im Job zügiger zur Fachkraft weiterentwickeln.

Turboschnell in den deutschen Arbeitsmarkt

Wenn Olena frühmorgens in ihren roten Dienstflitzer steigt und zu ihren Kundinnen und Kunden in Lindau am malerischen Bodensee fährt, ist der Krieg in ihrer Heimat ganz weit weg. Pro Tag warten acht bis zehn Pflegebedürftige sehnsüchtig auf sie, freuen sich über ihren Besuch und ihre Hilfe. Sie ist der Anker in einem Alltag allein zuhause. Olena unterstützt sie bei der Körperpflege, verabreicht Medikamente, hilft ihnen beim Ankleiden. Damals, vor über zwei Jahren, hätte sie sich das nicht träumen lassen: Arbeiten und Leben in Deutschland?

Die Altenpflegehelferin Olena steht vor ihrem ambulanten Dienstauto
Foto: Olena auf Tour - ganz in rot, passend zum Dienstauto, @Sozialstation Lindau GmbH/Sascha Luzecki

Olenas Diensttablet blinkt. Darauf hat sie alle Informationen zu ihrer täglichen Tour in der ambulanten Pflege. Ihr Arbeitgeber, die Sozialstation Lindau GmbH, hat es ihr bereitgestellt. So sieht sie den individuellen Pflegeverlauf ihrer Schützlinge und weiß, was anliegt. Hierüber ist sie auch permanent mit der Einsatzleitung verbunden, erhält aktuelle Updates. „Damit kann ich jederzeit die Einsatzleitung oder meine Kolleginnen und Kollegen auf den anderen Touren anrufen und bei Bedarf um Rat und Unterstützung bitten. So komme ich gut zurecht.“

Eine schicksalhafte Begegnung

Als Olena nach Kriegsausbruch im März 2022 aus der Ukraine flüchtete und in Oberstaufen im Allgäu ankam, war das noch undenkbar. Ein totaler Neustart, noch dazu in einem fremden Land! Inzwischen ist sie auf zwei ambulanten Touren eingearbeitet und flexibel einsetzbar. Einmal pro Woche geht es in die Dienststelle: „Dort treffen wir uns zum Austausch und für Fallbesprechungen mit der Pflegedienstleitung.“ Dabei war das alles so gar nicht geplant.

Zitat:

„Ich bin seit über 20 Jahren Krankenschwester und liebe meinen Beruf!“

Denn eigentlich ist Olena gelernte Krankenschwester. Doch die mangelnde Anerkennung ihrer Ausbildung in Deutschland zwang sie, nach Alternativen zu suchen. Durch ihre 20-jährige Erfahrung in der Krankenpflege konnte sie in Deutschland jedoch sehr schnell in der Altenpflege anknüpfen. Schon im Juni 2022 fand sie in der stationären Pflege eigenständig einen Job als Pflegehelferin, war so nicht auf Geld vom Jobcenter angewiesen. Hierbei half es sehr, dass sie nach einer Weiterbildung zur Masseurin bis Kriegsbeginn einige Jahre in Polen als ukrainische Grenzgängerin in einem Rehabilitationshotel gearbeitet hatte, in dem viele deutsche Gäste verkehrten. So konnte sie schon ein paar Brocken Deutsch. Ihre Wohnsituation zwang Olena allerdings, Anfang 2023 von Kempten nach Lindau umzuziehen, wo sie ihrem Sohn und pflegebedürftigen Vater besser gerecht zu werden hoffte.

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„Es war purer Zufall.“

Außenaufnahme der Sozialstation Lindau GmbH
Foto: Olenas Schicksalsort, hier sollte sich alles entscheiden, @Sozialstation Lindau GmbH/Sascha Luzecki (Anmerkung der Redaktion: Bewohnende aus Datenschutzgründen verpixelt)

„Weil ich privat Rat und Hilfe wegen der Pflegebedürftigkeit meines Vaters brauchte, ging ich zur Sozialstation Lindau GmbH. Dort wurden alle Anträge für die Pflegeversicherung, Hilfsmittelversorgung etc. in die Wege geleitet. Dabei kam zufällig meine Ausbildung zur Sprache.“ Dort bot man ihr sofort einen Schnuppertag beim ambulanten Pflegedienst an und stellte ihr einen Job in Aussicht. Einziges Problem: Olenas große Angst vor dem Autofahren, in der ambulanten Pflege leider unerlässlich! Da kam Frau Baumann ins Spiel.

Ein Anfang mit Hürden

Denn durch den Zusammenzug mit Vater und Sohn gelangte Olena zwischenzeitlich in die Betreuung des Jobcenters Landkreis Lindau – und damit in die Arbeitsvermittlung von Vivien Baumann. Wegen der langen Pendelzeiten von Lindau zur bisherigen Arbeitsstelle und zum Integrationskurs in Kempten per ÖPNV sowie der körperlichen Belastung durch die Pflege ihres Vaters drohten erste gesundheitliche Probleme. Das ging so nicht weiter, eine Lösung musste her! Es brauchte eine gemeinsame Strategie, mit der sich Deutschlernen, nachhaltige Arbeitsmarktintegration und Olenas persönliche Situation vereinbaren ließen.

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„Es gab Stolpersteine, die wir auf dem Weg zur Integration lösen mussten.“

Frau Baumann fand schnell einen Integrationskurs vor Ort in Lindau, den Olena dank ihres großen Ehrgeizes im Herbst 2023 planmäßig mit Sprachniveau B1 abschloss. Ohne anerkannte Berufsausbildung konnte sie aber weiter nur einer nicht reglementierten Tätigkeit als Pflegehelferin nachgehen. Um Jobsuche, Spracherwerb und berufliche Anerkennung parallel voranzutreiben, entschieden sich beide für die Maßnahme „Perspektivwerkstatt“ beim Bildungsträger bfz gGmbH Lindau. Dort festigte Olena von Mai bis August 2023 ihr Deutsch im täglichen Kontakt mit den anderen Teilnehmenden. Coaches betreuten sie engmaschig bei der Jobsuche und Vorbereitung ihres Anerkennungsverfahrens. Auch gab es Probetage bei Unternehmen. Und so schloss sich der Kreis.

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„Es hat sofort gematcht!“

Schnell war sich Sascha Luzecki, Geschäftsführer der Sozialstation Lindau GmbH, sicher, Olena muss ins Team! Als sie über die Perspektivwerkstatt  bei ihm Probearbeiten wollte, sagte er gleich ja. Dabei erhielt sie Schützenhilfe vom Bildungsträger bfz und der Maßnahmebetreuerin vom Jobcenter, Julia Skaya. Der Vorteil: Beide Seiten konnten sich vorab in Ruhe kennenlernen. 

Sascha Luzecki: „Dabei half es sehr, dass eine Kollegin ihre Sprache spricht und Olena ein hohes Maß an Selbständigkeit mitbringt. Zudem hospitierte sie gleich bei erfahrenen Pflegekräften, sodass wir ihr schnell unsere etablierten Standards beibringen konnten. Natürlich musste auch die persönliche Eignung stimmen, also ob sie, neben der fachlichen Expertise, ins Team passt. Und bei Olena hat es sofort gepasst.“

Zitat:

„Mein Hauptproblem war die Sprache.“

Auf dem Weg zur Pflegefachkraft brauchte Olena aber erst noch ein B2-Sprachzertifikat zur Anerkennung ihres ausländischen Berufsabschlusses. Überdies musste die Pflege ihres Vaters sichergestellt sein. 

Sascha Luzecki: „Es war uns ein Anliegen, dass Olena eine Tätigkeit bei uns mit der Pflege Angehöriger und dem berufsbegleitenden B2-Deutschkurs vereinbaren kann. Das konnten wir über unsere flexiblen Arbeitszeiten ermöglichen.“ Eine große Hürde blieb allerdings, dass Olena zwar einen gültigen ukrainischen Führerschein besaß, aber keine Fahrpraxis hatte. Denn um in der ambulanten Pflege zu arbeiten, muss man von A nach B zu den Pflegebedürftigen nachhause kommen können. 

Julia Skaya und Vivien Baumann, Arbeitsvermittlerinnen beim Jobcenter Landkreis Lindau
Foto: Die zwei Damen vom Jobcenter: Julia Skaya und Vivien Baumann machten Olena fit für den deutschen Arbeitsmarkt, @Bundesagentur für Arbeit/Vivien Baumann

 

Doch auch dafür fand das Jobcenter eine Lösung: Aus dem Vermittlungsbudget wurden zunächst zehn, dann in Absprache mit der Fahrschule weitere fünf Auffrischungsfahrstunden gefördert. 

Frau Baumann: „Selbstverständlich holten wir Kostenvoranschläge ein, um das sparsamste Angebot zu bestimmen. Die Genehmigung erfolgte auch erst nach einer genauen Prüfung der Fördervoraussetzungen und schriftlichen Einstellungszusage durch den Arbeitgeber.“ Und das ging turboschnell! In nur sechs Wochen war Olena fahrbereit. 

Ebenso wurde das Vermittlungsbudget genutzt, um ihre Diplome übersetzen zu lassen. „Das Jobcenter hat mich sehr unterstützt. Alles wurde zeitnah erledigt, sodass sich keinerlei Verzögerungen für meinen Einstieg ins Arbeitsleben ergaben. Frau Baumann war sehr nett und engagiert.“

Schließlich kam der Tag X in der Sozialstation Lindau GmbH: „Am ersten Arbeitstag wurde ich gleich sehr freundlich und offen aufgenommen“, erinnert sich Olena. „Ich arbeite nun immer vormittags in Teilzeit (50 Prozent). So kann ich Beruf und Privatleben, d. h. Pflege und Sprachkurs, gut vereinbaren. Auch kann ich mit meinem Dienstauto zum Sprachkurs fahren. Mein Arbeitgeber und mein Team haben mir stets den Rücken gestärkt, Fragen beantwortet und mich tatkräftig unterstützt.“ 

Zitat:

„Ich habe von Anfang an jegliche Unterstützung bekommen.“

Sascha Luzecki: „Gerade durch die Verzahnung von Deutschkurs und praktischer Anwendung im Arbeitsalltag hat Olena bereits gute Fortschritte in der deutschen Sprache gemacht und verbessert diese kontinuierlich weiter, sodass eine Verständigung insgesamt gut gelingt.“ Auch die Angst vor dem Autofahren verflog schnell: Einige Kolleginnen und Kollegen gaben ihr sogar private Fahrstunden für mehr Sicherheit am Steuer. Sogar als Olena im Juli 2024 aus ihrer Wohnung ausziehen musste, war ihr Arbeitgeber zur Stelle: „Das war eine extreme Herausforderung in Lindau, wo bezahlbare und barrierefreie Wohnungen kaum zu finden sind. Wir haben auf allen Kanälen versucht, eine Bleibe für sie zu finden und ihr beim Umzug geholfen“, so Luzecki.

Zitat:

„Ich bin einfach dankbar und überglücklich, hier in Sicherheit zu sein.“

Auch nach der erfolgreichen Vermittlung steht Frau Baumann Olena und ihrem Arbeitgeber beratend zur Seite. „Wir verfolgen weiter gemeinsam das Anerkennungsverfahren, damit sie dem deutschen Arbeitsmarkt als anerkannte Fachkraft zur Verfügung steht.“ Dazu stehen ihr die Veranstaltungen zum Thema „Anerkennung in Deutschland“ von Jobcenter und MigraNet – IQ Netzwerk Bayern offen. Auf Wunsch kann sie weiter zur Sprechstunde beim bfz. Olena: „Ich bin einfach nur glücklich, dass ich hier schon so gut angekommen bin!“

Job-Turbo: Integration und Arbeit gehen Hand in Hand

Geflüchtete wie Olena schnell in den deutschen Arbeitsmarkt integrieren? Wie gelingt das? Was macht ihr Beispiel besonders und was sagen ihr Arbeitgeber und ihre Arbeitsvermittlerin zum Job-Turbo? Wir haben für Sie nachgehört, hier das Faktor A-Interview:

Was die Arbeitsvermittlerin zum Job-Turbo sagt

Zitat:

„Arbeitgeber sollten den Mut haben, Geflüchteten die Chance zu geben, ihr Können und ihre Motivation unter Beweis zu stellen.“

Faktor A: Wie hilft der Job-Turbo konkret bei der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten?

Vivien Baumann, Jobcenter Lindau Landkreis: Neben dem Eintritt in die Arbeitswelt bietet ihnen der Job-Turbo die Option, berufsbegleitend Sprachkenntnisse zu erweitern oder über Berufssprachkurse zu spezialisieren, die Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse voranzutreiben oder sich im Unternehmen mithilfe der Bundesagentur für Arbeit bzw. Jobcenter zu qualifizieren. Wir im Jobcenter Lindau Landkreis haben ein ganzheitliches Konzept aus sechs Bausteinen entwickelt, mit dem wir Geflüchtete bestmöglich für den Vermittlungsprozess vorbereiten.

Faktor A: Wie sieht dieses Konzept aus?

Vivien Baumann, Arbeitsvermittlerin beim Jobcenter Lindau Landkreis
Foto: Vivien Baumann hilft Geflüchteten, eine Arbeit zu finden, @Bundesagentur für Arbeit/privat

Vivien Baumann: 1. Die „Star“-Vermittlung bietet bis zu 60 marktnahen, ukrainischen Geflüchteten mit mindestens B1-Sprachniveau eine Intensivbetreuung durch unsere Integrationsfachkraft, Frau Skaya. Sie verfügt selbst über ukrainische Sprachkenntnisse und kennt das ukrainische Bildungssystem samt Arbeitsmarkt. Den Geflüchteten vermittelt sie Kenntnisse zum deutschen Bildungssystem und Arbeitsmarkt. Mit dem Arbeitgeberservice erfolgt hierbei eine Arbeitgeber-orientierte Ansprache, bei der die Geflüchteten gezielt vermarktet werden. 

2. Einmal monatlich führt Frau Skaya Sprachkursbesuche beim Bildungsträger vor Ort durch. Neben Fragen der Anerkennung bestimmt sie gemeinsam mit den Teilnehmenden, was vorausschauend getan werden muss, damit sich Hemmnisse nicht verfestigen und die Vermittlung in den deutschen Arbeitsmarkt gelingt. 

3. Über unser Netzwerk und Bildungsträger gibt es Gruppen- und Einzelcoachings, bei denen der Fokus auf der assistierten Arbeitssuche, Entwicklung realistischer Arbeitsmarktchancen und Stärkung der Eigenverantwortlichkeit liegt. 

4. Mit der „Job meets UKR“ gibt es eine Jobbörse für Geflüchtete und Zugewanderte. 

5. Der UKR-Veranstaltungskalender bietet 14-tägige Info-Events zu häufigen Beratungsbedarfen. 

6. Über die individuelle Leistungsberatung und Verweisberatung schaffen wir finanzielle Klarheit.

 

Faktor A: Was sollten Arbeitgeber beachten, wenn Sie Geflüchtete beschäftigen und / oder ausbilden möchten?

Vivien Baumann: Geflüchtete brauchen Arbeitgeber, die sie auch nach der Aufnahme einer Beschäftigung dabei unterstützen, ihre Sprachkenntnisse auszubauen und sich beruflich weiterzubilden. Arbeitgeber sollten sich hier nicht scheuen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Faktor A: Wo finden Arbeitgeber hier Unterstützung?

Vivien Baumann: Beim Arbeitgeber-Service der Bundesagentur für Arbeit oder der zuständigen Vermittlungsfachkraft. Viele Fragen können hier schon beantwortet werden und wertvolle Unterstützung im Integrationsprozess geleistet werden. Bei komplexeren Fragen kann die Arbeitsvermittlung auf ein großes Netzwerk zurückgreifen. Ebenso empfehlen wir, dass Arbeitgeber sich untereinander vernetzen und austauschen, um voneinander zu lernen.

Faktor A: Worauf sollten sich diese einstellen?

Vivien Baumann: Die Geflüchteten kommen mit vielen Fragen und großen Hoffnungen auf einen ihnen fremden Arbeitsmarkt, der sich sehr von dem ihres Heimatlandes unterscheidet. Gerade der Einstieg ist manchmal etwas holprig, weil etwa die Sprachkenntnisse oder Kompetenzen erst noch ausgebaut werden müssen. Arbeitgeber sollten sich daher frühzeitig Gedanken dazu machen, welche berufliche Perspektive sie den Geflüchteten anbieten können. Aber es lohnt sich hier, einen langen Atem zu haben und Vertrauen vorzuschießen.

Faktor A: Was ist Ihrer Erfahrung nach die größte Hürde bei der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten und speziell bei Geflüchteten aus der Ukraine?

Vivien Baumann: Einerseits sind viele ukrainische Geflüchtete zwar hochqualifiziert, aber es mangelt ihnen oft an Berufserfahrung oder diese ist veraltet. Das betrifft besonders Mütter, deren Erwerbsbiografie durch Kinderbetreuungszeiten vielfach unterbrochen wurde. Andererseits fürchten deutsche Arbeitgeber einen erhöhten Aufwand bei der Einstellung von Geflüchteten und stellen selbst bei Hilfstätigkeiten hohe sprachliche Anforderungen. Dadurch ist es oft ein Balanceakt, zwischen den Erwartungen der Geflüchteten und denen der Gesellschaft, jene schnellstmöglich in den erlernten Berufen zu integrieren, zu vermitteln und eine realistische wie nachhaltige Arbeitsmarktperspektive zu bestimmen.

Faktor A: Was zeichnet die ukrainischen Geflüchteten aus?

Vivien Baumann: Hervorzuheben ist die hohe intrinsische Motivation, zu arbeiten und sich hier eine Perspektive bzw. Zukunft aufzubauen. Dennoch besteht gerade bei denjenigen, die zuvor beruflich gut aufgestellt waren, der Wunsch, hier ohne Umwege direkt anknüpfen zu können oder „Karriere zu machen“. Das führt zu teils unrealistischen Vorstellungen über die eigenen Chancen am deutschen Arbeitsmarkt. Für eine produktive Zusammenarbeit ist daher eine ganzheitliche Betrachtung ihres Werdegangs und ausführliche Beratung zentral. Eine Herausforderung ist auch die hohe Zahl von (Allein-)Erziehenden, die sich der Problematik fehlender Kinderbetreuungsmöglichkeiten gegenübersieht. Denn sofern kein Kitaplatz vorhanden ist, wird auch der Besuch eines Sprachkurses erschwert.

Faktor A: Wie kann die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten aus der Ukraine gelingen oder eventuell sogar vereinfacht und beschleunigt werden?

Vivien Baumann: Wir machen schon sehr viel richtig. Potenzial sehe ich bei der Deckung von dringend benötigten Alphabetisierungskursen. Für viele Sprachkursanbieter und Lehrkräfte sind diese schlichtweg finanziell unattraktiv, wodurch uns wegen langer Wartezeiten wertvolle Zeit bei der Arbeitsvermittlung abgeht. Auch Anerkennungsverfahren müssten beschleunigt und Beratungskapazitäten ausgebaut werden.

Faktor A: Gibt es andere positive Vermittlungsbeispiele im Landkreis Lindau?

Vivien Baumann: Allein Frau Skaya konnte in der „Star-Vermittlung“ schon über 30 ukrainische Geflüchtete vermitteln. Dazu kommen viele andere Integrationen im Team.

Faktor A: Was nehmen Sie für sich persönlich aus dem Fall Olena mit?

Vivien Baumann: Ihre Zielstrebigkeit und hohe Motivation, eine Arbeit zu finden und damit selbst einen Beitrag in Deutschland zu leisten, haben mich enorm beeindruckt. Diese starke Eigenverantwortlichkeit versuche ich bei anderen Geflüchteten zu aktivieren. Auch hat der Fall mich gelehrt, wie wichtig eine gute Zusammenarbeit auf allen Ebenen ist. Wir in Lindau sind stolz, dass wir teamübergreifend so gut und reibungslos an einem Strang ziehen. So leistet der Arbeitgeberservice zentrale Vorarbeit bei der Sensibilisierung von Arbeitgebern. Und die Leistungsabteilung steht uns bei allen leistungsrechtlichen Fragen zur Seite.

 

Was der Arbeitgeber zum Job-Turbo sagt

Zitat:

„Wir wollen generell diesen Menschen eine Chance geben, auf dem ersten Arbeitsmarkt hier in Deutschland Fuß zu fassen.“

Faktor A: Was sollten Arbeitgeber beachten, wenn Sie Geflüchtete beschäftigen und / oder ausbilden möchten?

Sascha Luzecki, Geschäftsführer der Sozialstation Lindau GmbH
Foto: Sascha Luzecki erkannte das Potenzial von OIena, @Sozialstation Lindau GmbH

Sascha Luzecki, Sozialstation Lindau GmbH: Sie sollten gerade am Anfang genügend Zeit und Engagement investieren. Das ist eine lohnende Investition, die sich am Ende für beide Seiten auszahlt, und die Geflüchteten können so schneller selbstständig arbeiten.

Faktor A: Welche Erfahrungen hatten Sie zuvor mit der Beschäftigung von Geflüchteten?

Sascha Luzecki: Wir konnten zwei weitere Geflüchtete über eine Arbeitsgelegenheit im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes in Arbeit bringen. Das hat so gut geklappt, dass wir die beiden nun in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis übernehmen. 

Da waren es (mit Olena) auch schon drei (lacht). Also bisher gute Erfahrungen!

 

Faktor A: Was sollte aus Ihrer Sicht getan werden, damit die Arbeitsmarktintegration Geflüchteter gelingen oder eventuell sogar vereinfacht und beschleunigt werden kann?

Sascha Luzecki: Weniger Bürokratie und eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten halte ich für zielführend. Arbeitgeber sollten zudem selbst aktiv werden, d. h., sich nicht nur selbst beim Arbeitgeber-Service erkundigen, sondern auch ihre Bewerbenden bzw. Beschäftigten auf die Beratungs- und Förderleistungen der Bundesagentur für Arbeit hinweisen.

Faktor A: Inwiefern bilden Sie Geflüchtete aus? Und, wie kann das dem Fachkräftemangel in der Pflege entgegenwirken?

Sascha Luzecki: Aktuell bieten wir die einjährige Ausbildung zur/m Pflegehelfer*in ambulant an. Dafür müssen die deutschen Sprachkenntnisse in Wort und Schrift so ausgeprägt sein, dass die Ausbildung zu bewältigen ist. Dazu braucht es mindestens B1 und ein frühes „Training on the Job“ in Kombination mit einem parallelen weiterführenden Sprachkursbesuch mit Ziel B2. Genau das unterstützt der Job-Turbo!

Fazit

Mit dem Job-Turbo kann Geflüchteten ein schneller und nachhaltiger Jobeinstieg gelingen. Voraussetzung: Arbeitgeber müssen bereit sein, auch Menschen einzustellen, deren Deutsch noch nicht so gut ist. Geflüchtete müssen sich gemäß ihren Fähigkeiten fachlich und sprachlich weiterentwickeln wollen. Olena findet das gut: „Ich möchte auf jeden Fall hierbleiben und meinen Beruf weiter ausüben. Ich freue mich, wenn ich durch meine Arbeitskraft etwas zurückgeben darf.“ Am Ende lohnt sich das für alle, da es zur Sicherung der Sozialsysteme und Eindämmung des Fachkräftemangels beiträgt.

Job-Turbo

Sofortiger Arbeitsmarktzugang und intensive Integrationskurse zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit

Die Bundesagentur für Arbeit bietet eine Vielzahl an Unterstützungsmöglichkeiten für Unternehmen, die Geflüchtete ausbilden, einstellen oder weiterbilden möchten. Gemeinsam mit dem Arbeitgeber-Service der Agenturen für Arbeit vor Ort können Sie die unterschiedlichen Fördermöglichkeiten und -voraussetzungen besprechen.

Kontakt zum Arbeitgeber-Service

Ihre persönliche Ansprechperson im Arbeitgeber-Service hilft Ihnen gerne weiter.

Falls Sie noch keine Ansprechperson haben, nutzen Sie die kostenlose Servicerufnummer oder schreiben Sie uns eine Nachricht:

0800 4 555520 (gebührenfrei)


@Sascha Luzecki, Sozialstation Lindau GmbH