Win-win-win-Projekt

Bei „Rock your life“ machen Studierende Hauptschüler fit für die Zukunft. Davon profitieren Firmen, die so potenzielle Azubis und Berufseinsteiger kennenlernen.


05.08.2012 - Marike Frick -5 MinutenMitarbeiter finden

Bei „Rock your life“ machen Studierende Hauptschüler fit für die Zukunft. Davon profitieren Firmen, die so potenzielle Azubis und Berufseinsteiger kennenlernen.

Norbert Schmidt setzt sich gerne für Jugendliche mit schlechten Startbedingungen ein. Nicht, weil er ein Gutmensch ist. Sondern weil er als Personalvorstand der Berliner Wasserbetriebe weiß, dass er sie braucht, um seinen Betrieb am Laufen zu halten. Weil es für Firmen bald unausweichlich sein wird, sich bisher verschmähten Zielgruppen zu öffnen.  „Die Bewerberzahlen nehmen ab, da müssen wir Leuten mit Startschwierigkeiten eine Chance geben“, sagt er. Solchen mit schlechten Noten oder mit Migrationshintergrund etwa. Zehn Plätze hat er dieses Jahr geschaffen, um sie mithilfe von Einstiegsqualifizierungen auf eine Ausbildung vorzubereiten. Das Problem dabei: Es finden sich kaum Interessenten. „Viele Jugendliche winken beim Öffentlichen Dienst gleich ab“, sagt der Personalchef. „Sie glauben: ‚Da kommen wir doch eh nicht rein!’“ Und bewerben sich vor allem bei Firmen, die sie kennen. Dort, wo der Onkel arbeitet oder schon die Cousine eine Ausbildung gemacht hat. „Bei den Jugendlichen müssen wir uns erst bekannt machen!“, betont Schmidt.

Coach und Schüler Projekt Rock your Life
© Christian Schmid - Alireza Shahbaghi (l.) arbeitet als Coach für "Rock your life" und unterstützt Faruk (r.) auf dem Weg ins Berufsleben.

Um das zu erreichen, kooperiert er mit „Rock your life“(RYL). Der Ansatz der Initiative: Sie will Hauptschüler stark machen; sie bestätigen in dem, was sie gut können; ihnen Perspektiven aufzeigen und sie in Kontakt bringen mit potenziellen Ausbildungsbetrieben. Mit Firmen, die sie nicht kennen oder von denen die Jugendlichen nicht annehmen, dass sie dort überhaupt eine Chance haben. Und damit die Akzeptanz unter den Schülern so hoch wie möglich ist, arbeitet RYL mit Studierenden zusammen. Die jungen Erwachsenen stehen den Jugendlichen als persönlicher Coach zur Verfügung. In einer 1:1-Beziehung mit regelmäßigen Treffen, zwei Jahre lang. Sie besprechen Alltagsprobleme und pauken auch mal für die Schule. Aber vor allem sprechen sie über die Stärken des Schülers, damit der Einstieg ins Arbeitsleben später keine Utopie bleibt.

Von "Rock your life" profitieren auch Unternehmen

Dieser Ansatz gefällt Personalern zunehmend. Firmen wie die Berliner Wasserbetriebe engagieren sich auf lokaler Ebene. Über Betriebsbesichtigungen, Workshops oder Praktika bieten sie jungen Menschen Einblick in ihr Unternehmen und ihr Tätigkeitsfeld. Und auch umgekehrt wollen die Firmen die jungen Menschen kennenlernen: Es sei eine Möglichkeit, „den Umgang mit der ungewohnten Klientel erst einmal zu üben“, sagt der Personalchef Schmidt. „Wir möchten Erfahrungen sammeln. Das ist eine Art Training für uns.“

Andere Firmen schätzen das Programm auch, weil sie auf einen Schlag Zugang zu zwei Gruppen bekommen: zu potenziellen Lehrlingen, den Schülern, und zu potenziellen Direkteinsteigern, den Studierenden. Die Drogeriemarktkette DM unterstützt die Initiative genauso wie der Motorenanbieter Tognum in Friedrichshafen und der Siloanlagenhersteller Zeppelin.

Alireza Shahbaghi ist Teil eines der RYL-Coaching-Tandems – er ist der Coach. Der 26-Jährige studiert Psychologie. Nach seinem Chemie-Studium im Iran ist er für ein Praktikum nach Hamburg gekommen – und geblieben. Eine internationale Studentenorganisation brachte ihn damals auf die Idee, ins Ausland zu gehen, zum ersten Mal in seinem Leben. Jetzt möchte er die Erfahrung weitergeben, dass sich mit Hilfe von außen das Leben verändern lässt. Deshalb coacht er Faruk, der auch sein kleiner Bruder sein könnte: genau so dunkle Haare, das gleiche freundliche, offene Wesen. Alles andere in Faruks 14-jährigem Leben ist aber anders, als Ali es aus seiner Kindheit kennt. Faruks Zuhause sind die Straßen von St. Pauli; der Stadtteil, durch dessen Mitte sich die Amüsiermeile Reeperbahn zieht. Er mag es, mit Freunden unterwegs zu sein, er mag sein Smartphone – und er möchte Polizist werden. „Ich will Action in meinem Leben“, sagt er.

Der zwölf Jahre ältere Ali will Faruk helfen, sich zu orientieren, seine Zukunft zu gestalten. Er unterstützt ihn beim Englischlernen und gibt Tipps, wenn die Bewerbung für das Betriebspraktikum ansteht. Und wenn er ganz ehrlich ist, dann lernt er genau so viel von Faruk, wie der von ihm.

Wenn es nach Christina Veldhoen geht, dann würde es in jeder Coaching-Beziehung so ablaufen wie zwischen ihnen. „Jeder der Beteiligten sollte profitieren“, sagt die Geschäftsführerin von RYL. Die Studenten lernen nicht nur die Lebenswelt der Schüler kennen, sie sammeln auch Coaching-Erfahrungen und qualifizieren sich für ihren späteren Job. Im Fokus von RYL stehen jedoch die benachteiligten Jugendlichen: „Diese Schüler haben oft viel Entmutigung erfahren“, sagt Veldhoen. „Sie stecken in Passivität fest, kennen nicht viel, was über ihr Lebensumfeld hinaus geht.“

Studenten sind "cooler" als Sozialarbeiter

Mit ihrem persönlichen Coach haben sie bei RYL jemanden, der kontinuierlich für sie da ist. Und zwar nur für sie – und das freiwillig. Viele kennen das kaum. „Außerdem finden die meisten einen Studenten cooler als einen Sozialarbeiter“, sagt Veldhoen. „Da ist gleich viel mehr Nähe da.“

In 26 Städten ist RYL vertreten, fast immer in ehrenamtlicher Arbeit. Die Studenten werden mit Seminaren auf das Coaching vorbereitet. „Sie sind nicht dafür qualifiziert, schwerwiegende Probleme zu lösen“, sagt Veldhoen. „Aber sie müssen damit umgehen können, dass sie auch mal versetzt werden.“ Für manche Schüler ist es schwer, kontinuierlich dran zu bleiben, sagt Veldhoen. Sie brechen dann das Projekt ab, „weil sie merken, dass der Student nicht alles für sie macht.“

Auch Alireza Shahbaghi weiß: „Faruk muss die Dinge selbst angehen. Aber ich möchte ihn in die Lage versetzen, es allein hinzukriegen.“ Das Wichtigste bei ihren Treffen sei das Zuhören, sagt Ali. Er und die anderen Coaches werden dazu ausgebildet, die richtigen Fragen zu stellen: Was macht dir Spaß? Was kannst du und was würdest du gern besser können? Im Idealfall entdeckt der Schüler so selbst seine Stärken und lernt, sie einzusetzen. Mehr soziale Mobilität in Deutschland, das ist das langfristige Ziel von RYL.

Jemand wie Ali kann aber nicht nur helfen, dass Faruk seinen eigenen Weg findet – er kann auch Vorbild sein. „Ich bin der lebende Beweis, dass es zu schaffen ist, eine Fremdsprache fließend zu sprechen“, sagt Ali. In den Augen von Arbeitgebern ist das schon die halbe Miete: Wenn ihre Azubis in spe über den Tellerrand gucken können und Aufgaben positiv angehen.

Die Berliner Wasserbetriebe jedenfalls freuen sich auf viele aufgeschlossene und interessierte Schüler. Für eine erste Erfolgbilanz ist es zu früh, sie sind erst seit vorigem November dabei. „Aber wir sind zuversichtlich, dass wir bei ‚Rock your life‘ tolle junge Leute kennenlernen“, sagt Schmidt.


Titelfoto: © Christian Schmid