Weil Reden hilft

Das Autohaus Russ hat keine Schwierigkeiten, Azubis zu finden. Das liegt auch an der offenen Kommunikation im Betrieb, wo es viele Möglichkeiten gibt, Probleme anzusprechen.


30.06.2021 - Julia Fröhleke -4 MinutenMitarbeiter finden

Das Autohaus Russ hat keine Schwierigkeiten, seine Ausbildungsplätze zu besetzen. Das liegt auch an der offenen Kommunikation im Betrieb, wo es für die jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter viele Möglichkeiten gibt, Probleme anzusprechen. Und wenn externe Hilfe besser greift, scheut man sich nicht davor, Unterstützung von außen anzunehmen, erzählt Ausbildungsleiterin Birgit Russ.

„Wir sind ein traditionsreiches Autohaus, das sich an vier Standorten im Landkreis Esslingen auf verschiedene Fahrzeugtypen spezialisiert hat. Unter den 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind etwa 40 Azubis. Ein Drittel davon erlernt einen kaufmännischen Beruf, der andere Teil macht die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker. Unsere Azubis wechseln zwischen den Standorten. Das ist nicht nur aufgrund der Lerninhalte sinnvoll, sondern fördert auch das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den Niederlassungen: Trotz der Größe des Betriebes und der räumlichen Distanz kennt man sich.

Viele Möglichkeiten für offene Gespräche

Wir legen viel Wert auf den persönlichen Austausch, schon in der Ausbildung. Etwa alle sechs bis acht Wochen treffen sich die Azubis der einzelnen Berufe und des jeweiligen Lehrjahres gemeinsam mit ihren Ausbildern. Dabei werden fachliche Dinge besprochen und Neuigkeiten aus dem Unternehmen präsentiert. Das ist auch das Forum, in dem man über Erfahrungen oder Schwierigkeiten in Betrieb oder Berufsschule sprechen kann, sowohl mit anderen Azubis als auch mit den Ausbilderinnen und Ausbildern. Oft ergeben sich bei solchen Treffen nach dem offiziellen Teil noch persönliche Gespräche, bei denen die Jugendlichen ihre Probleme kundtun.

Birgit Russ
© Russ - Birgit Russ

Manchmal fallen den Kollegen, die mit dem Azubi zusammenarbeiten, negative Veränderungen auf. Die wenden sich dann an mich als Ausbildungsleiterin und sagen: „Mit dem Azubi, da stimmt irgendetwas nicht.“ Manchmal bemerken wir auch im täglichen Arbeitsablauf Auffälligkeiten. Wenn jemand häufig zu spät kommt, kann das ein Warnzeichen sein.

Wenn unsere Azubis nach einigen Monaten die Abteilungen wechseln, dann füllen die Kollegen, mit denen sie zusammengearbeitet haben, Feedbackbögen aus. Dort bewerten sie per Schulnote Punkte wie „Zuverlässigkeit“ oder „Verhalten gegenüber den Kolleginnen und Kollegen“. Diese Bögen nehme ich manchmal zum Anlass, um mit den betreffenden Azubis konstruktiv darüber zu sprechen, warum es in mancher Hinsicht vielleicht nicht so läuft, wie sie oder wir uns das vorstellen.

Hilfe von außen

Durch diese vielen Gesprächsmöglichkeiten und die insgesamt kollegiale Kultur können wir viele Schwierigkeiten lösen, bevor sie allzu groß werden. Dafür ist es wichtig, dass ich als Ausbildungsleiterin einen eigenen Raum habe, sodass die Azubis mit ihren Anliegen hierherkommen können, ohne dass andere mithören. Denn wer schüttet schon dem Ausbilder im Großraumbüro das Herz aus, wenn das andere mitkriegen können? Ich als Leiterin habe für alle Anliegen ein offenes Ohr und verfahre nach der Devise „Es gibt keine dummen Fragen“. Manchmal sind es banale organisatorische Fragen, bei denen die Azubis nicht wissen, wem sie sie stellen sollen. Weil wir an verschiedenen Standorten sind, bin ich auch per E-Mail und Telefon für die Jugendlichen gut erreichbar.

Russ Azubi Jahrgang 2020
© Russ - Der Ausbildungsjahrgang 2020 im Autohaus Russ

Manchmal gibt es Problemlagen, bei denen wir als Betrieb an unsere Grenzen kommen. So auch im Fall eines Azubis: Wir hatten bemerkt, dass er unpünktlicher und bei der Arbeit unkonzentrierter war. Im Gespräch haben wir erfahren, dass er mit familiären Problemen und einer unsicheren Wohnungssituation zu kämpfen hat. Ich habe mich auf die Suche nach externer Hilfe gemacht und bin auf das Programm „Assistierte Ausbildung“ gestoßen. Ich habe dann mit dem Berater der Arbeitsagentur Kontakt aufgenommen und ihm den konkreten Fall geschildert. Nachdem er mir die Unterstützung durch das Förderprogramm zugesichert hatte, habe ich mit dem Azubi gesprochen. Für den Erfolg einer solchen Maßnahme ist es wesentlich, dass die Auszubildenden von sich aus die Hilfe annehmen wollen. Sie sind es auch, die den Antrag stellen müssen. Die betreffende Person hat dann durch sozialpädagogische Betreuung und Nachhilfe ihren Lernrückstand wieder ausgleichen können. Der Azubi ist schließlich gut vorbereitet in seine Prüfung gegangen, hat erfolgreich abgeschlossen und mit seinem Gesellenbrief jetzt eine solide Grundlage für sein weiteres Berufsleben gelegt. Denn wenn in anderen Lebensbereichen nicht alles glatt läuft, ist es umso wichtiger, eine abgeschlossene Ausbildung in der Tasche zu haben.“

Azubis durch Schulpartnerschaften finden

Das Autohaus Russ kann seinen Fachkräftebedarf mit den eigenen Nachwuchskräften decken. Bei der Suche nach den passenden Azubis setzt der Betrieb vor allem auf Schulpartnerschaften, wie Birgit Russ erzählt:

„Um interessierte Jugendliche auf unsere Ausbildungsplätze aufmerksam zu machen, veröffentlichen wir nicht nur gewöhnliche Stellenanzeigen. Wir pflegen Bildungspartnerschaften mit den Schulen der Region. Dort stellen wir unseren Betrieb und die Berufe vor. Wer Interesse zeigt, der kommt anschließend zur Betriebsbesichtigung vorbei. Wenn ich die interessierten Schülerinnen und Schüler eineinhalb Stunden durch unsere Werkstatt und die Büroräume führe, kriegen die einen tiefgründigen Einblick. Außerdem bleibt dabei genug Zeit, um die Fragen der jungen Leute ausführlich zu beantworten. Wer im Auswahlprozess für einen Ausbildungsplatz in die engere Wahl kommt, der kommt zum Probearbeiten zu uns. Das dient einerseits den Bewerbern, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was sie in dem Job erwarten würde, und den Betrieb kennenzulernen, bei dem sie sich beworben haben. Andererseits bekommen auch wir nach ein bis zwei Tagen einen guten Eindruck, ob jemand in unser Team passt. Probearbeiten ist für eine Zu- oder Absage ein wichtiger Faktor. Unter gewöhnlichen Umständen, also wenn nicht gerade eine Pandemie unseren Alltag beherrscht, bieten wir auch Praktika an.“


Titelfoto: © iStock/Sturti