„Die Situation wird sich durch die demografische Entwicklung weiter verschärfen, denn die Zahl der jungen Menschen, die in den nächsten Jahren die Schule verlassen, sinkt. Schon seit mehreren Jahren erreichen mehr Menschen das Rentenalter als junge Menschen in den Arbeitsmarkt eintreten“, führte der Agenturleiter aus. Gleichzeitig ist der Bedarf der Unternehmen nach neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so hoch wie nie. „Was aus Sicht von Arbeitsuchenden mit vielen Chancen verbunden ist, stellt Arbeitgeber vor große Herausforderungen“, unterstreicht Fahnemann. In vielen Branchen und Berufen dauert es immer länger, bis offene Stellen besetzt werden können. Aus Sicht von Bernhard Daldrup liegen hier Risiken: „Wenn Unternehmen aufgrund von Personalmangel Aufträge ablehnen müssen oder Dienstleistungen nicht anbieten können, hat das nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Folgen“.
„Wir brauchen jeden am Arbeitsmarkt“, fasste Joachim Fahnemann daher zusammen. „Wir können es uns nicht leisten, Potenziale ungenutzt zu lassen“, meint auch Daldrup. Ein wichtiger Ansatzpunkt sei die Qualifizierung von Arbeitsuchenden und Arbeitnehmern, legte Fahnemann dar. Denn mehr als zwei Drittel der Stellenangebote, die Arbeitgeber der Arbeitsagentur zur Vermittlung meldeten, richten sich an Bewerberinnen und Bewerber mit einer abgeschlossenen Berufs- oder Hochschulausbildung. Aber mehr als 56 Prozent der Arbeitslosen verfügt über keinen Ausbildungsabschluss. „Hier müssen und können wir etwas tun“, so Fahnemann. Allein im vergangenen Jahr unterstützte und finanzierte die Arbeitsagentur rund 800 Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Knapp ein Fünftel davon sind Maßnahmen wie beispielsweise Umschulungen, die zu einem Berufsabschluss führen. „Hier ist noch Luft nach oben“, sagte Fahnemann. „Nicht jeder Erwachsene kann sich unmittelbar eine Umschulung oder Qualifizierung vorstellen. Dabei gibt es zahlreiche Unterstützungsmöglichkeiten, wenn es um das Lernen oder die Sicherung des Lebensunterhalts geht“. Die Arbeitsagentur setzt daher auf intensive Beratung.
Auch in den Betrieben selbst seien möglicherweise nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, argumentierte Daldrup. „Weiterbildung und Qualifizierung können auch in den Unternehmen Ansatzpunkte sein, um dem Fachkräfteengpass entgegenzuwirken“, erläuterte er. Der Agenturleiter stimmte zu. „Die Arbeitsagenturen haben dazu seit einiger Zeit spezielle Teams, die Arbeitgeber und Beschäftigte beraten und bei der Umsetzung von Qualifizierungsmaßnahmen unterstützen“, berichtete Fahnemann in diesem Zusammenhang. Aus Sicht des Bundestagsabgeordneten Daldrup seien die Engpässe ohne die gezielte Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland nicht zu schließen.
In ihrem Austausch besprachen Fahnemann und Daldrup auch die möglichen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf den Arbeitsmarkt. „Wirtschaftliche Sanktionen, Rohstoffknappheit oder Lieferengpässe könnten dazu führen, dass manche Unternehmen das Instrument der Kurzarbeit weiter nutzen müssen“, so Fahnemann. „Das Kurzarbeitergeld ist eine wirksame Maßnahme, um Betriebe und Beschäftigte zu unterstützen. Es hat sich bereits in den vergangenen Monaten gut bewährt“, ergänzte er. Eine Prognose darüber, wie viele Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland flüchten, hier eine Arbeit aufnehmen möchten, sei derzeit schwierig und noch nicht angezeigt, sagte der Agenturleiter: „Für diese Menschen, die aktuell eine sehr schwierige Zeit durchleiden, stehen zunächst humanitäre Fragen, wie eine stabile Wohnsituation und die Sicherung des Lebensunterhalts im Vordergrund“, waren sich die Gesprächspartner einig. „Wenn Ausbildung oder Arbeit ein Thema werden, unterstützen, beraten und vermitteln wir selbstverständlich gerne. Dazu sind wir mit unseren Integration Points flächendeckend gut aufgestellt und arbeiten eng mit unseren Partnern am Arbeits- und Ausbildungsmarkt zusammen“ berichtete Fahnemann.