Eine verlorene Generation?

Es sind Zahlen, die nachdenklich machen, sagt Joachim Fahnemann, Leiter der Agentur für Arbeit Ahlen-Münster. Rund 18 Prozent der Menschen unter 35 Jahre in Deutschland hat keinen Berufsabschluss. Der Anteil der Ungelernten steigt seit Jahren. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Ausbildungsplatzbewerber. Immer weniger Jugendliche finden unmittelbar nach dem Schulabschluss den Weg in eine Ausbildung. Dabei gibt es viele Unterstützungsmöglichkeiten, wie Fahnemann betont.

22.09.2023 | Presseinfo Nr. 74

Immer öfter ist von einer "verlorenen Generation" die Rede und davon, dass junge Menschen, anstatt eine Ausbildung anzutreten oder ein Studium zu beginnen, nach der Schulzeit jobben oder gar nichts tun. Sie würden somit den Einstieg in ein stabiles Arbeitsleben verpassen und Fachkräfteengpässe würden dramatisch zunehmen. So schwarz möchte Joachim Fahnemann die Situation am Arbeits- und Ausbildungsmarkt in der Region nicht malen. Dennoch sei bei Jugendlichen ein verändertes Berufswahlverhalten zu spüren. "Die Corona-Pandemie hat hier sicher einen großen Einfluss ausgeübt, der sich bis jetzt fortsetzt", sagt der Agenturleiter. "Viele Jugendliche sind nicht mehr drin im Thema der Berufswahl. Ihnen fehlen Berufsorientierungsveranstaltungen und Praktika, die in den Pandemie-Jahren kaum stattfinden konnten. Das macht sich jetzt bemerkbar. Ich habe den Eindruck, dass einige den Kopf in den Sand stecken und die Entscheidung für den Berufseinstieg nach hinten verschieben", so Fahnemann. Das spiegelt sich auch bei der Zahl der Jugendlichen wieder, die sich bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz bei der Berufsberatung der Agentur für Arbeit Ahlen-Münster gemeldet haben. Mehr als ein Drittel von ihnen hat die Schule nicht im aktuellen Jahr, sondern bereits länger zurückliegend verlassen.

 

"Angesichts der schier unendlich scheinenden beruflichen Möglichkeiten, fühlen sich manche Jugendliche überfordert oder haben Angst davor, eine vermeintlich lebenslange Entscheidung zu treffen", berichtet Fahnemann. "Dabei gibt es in der Regel mehrere Wege, um ans berufliche Ziel zu kommen." Wie diese Wege aussehen könnten, zeigen die Berufsberaterinnen und Berufsberater den Jugendlichen in individuellen Sprechstunden, die an jeder weiterführenden Schule in Münster und im Kreis Warendorf vor Ort sind. Das Beratungsangebot ist freiwillig und viele Schülerinnen und Schüler nehmen es wahr. "Wenn es dann an die konkrete Umsetzung geht, das heißt, wenn Bewerbungen geschrieben, ein Praktikum vereinbart und Kontakt zu Arbeitgebern aufgenommen werden muss, gerät der Prozess für einige aber ins Stocken", beschreibt der Agenturleiter. Denn in der Corona-Pandemie konnten Jugendliche auch die sogenannten Soft Skills wie zum Beispiel die Kommunikationsfähigkeit nicht weiter ausbauen. "Auf einer Ausbildungsmesse oder per Telefon mit einem Betrieb in Kontakt zu treten, fällt manchen dann nicht so leicht", so Fahnemann.

 

Dabei seien der persönliche Kontakt mit Betrieben und das Ausprobieren von Tätigkeiten sehr wichtig, um eine Berufswahl treffen zu können. Nur so könnten Ausbildungsabbrüche verhindert werden, erklärt Fahnemann. Ein Viertel aller Ausbildungsverträge werden vor dem Berufsabschluss aufgelöst, eine Zahl, die seit Jahren konstant hoch ist. Um Jugendliche bei der Wahl des passenden Berufseinstiegs zu unterstützen, setzt die Arbeitsagentur Ahlen-Münster auf eine enge Begleitung und Beratung. Das zeigt Wirkung. Immerhin 90 Prozent der jungen Menschen, die sich in den vergangenen Monaten bei der Berufsberatung gemeldet hatten, um für das jetzt begonnene Ausbildungsjahr Unterstützung bei der Suche eines Ausbildungsplatzes zu erhalten, haben ihren Berufseinstieg geschafft. Auf Seiten der Unternehmen müsse das veränderte Berufswahlverhalten zu noch mehr Kreativität bei der Werbung um Nachwuchskräfte führen, sagt Fahnemann. "Unternehmen müssen heute viel mehr dafür tun, für die Jugendlichen sichtbar und interessant zu sein. Dabei ginge es nicht immer um zusätzliche Anreize, wie die Bereitstellung eines Tablets oder eines Jobfahrrads. "Junge Menschen wünschen sich ein gutes Betriebsklima und wollen ernst genommen werden". Vielen Unternehmen gelinge die Besetzung ihrer Ausbildungsplätze noch, grundsätzlich werde es aber schwieriger, stellt er fest. So waren Ende August noch mehr als 1.000 Ausbildungsstellen unbesetzt. Da auch jetzt noch ein Einstieg möglich ist, appelliert er an die Jugendlichen in der Region, die noch ohne Plan für den Berufseinstieg sind, sich für eine betriebliche Ausbildung zu entscheiden. "Die Chancen sind da", so Fahnemann.

Portrait von Joachim Fahnemann
Das Bild zeigt Joachim Fahnemann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Ahlen-Münster