Geht man durch Münster, kommt man nicht unbedingt auf die Idee, dass der demografische Wandel hier ein Problem darstellen könnte. Überall sieht man viele junge Menschen. Und doch sind 42.600 Frauen und Männer, die aktuell in der Stadt in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung sind, älter als 55. Sie wechseln in den kommenden zehn bis zwölf Jahren in den Ruhestand. "Wir wissen jetzt schon, dass nicht genügend junge Menschen auf den Arbeitsmarkt nachrücken", sagt Joachim Fahnemann. "Der demografische Wandel wird einer der größten Herausforderungen der Zukunft werden", ist er überzeugt. Denn mit der wachsenden Personalnot, insbesondere bei ausgebildeten Fachkräften, seien nicht nur Auswirkungen in den Unternehmen und der Wirtschaft verbunden, stimmt Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, zu: "Das werden wir als Gesellschaft überall zu spüren bekommen".
Um hier gegenzusteuern, brauche es gute Strategien und das Zusammenwirken aller Partner am Arbeits- und Ausbildungsmarkt, sind sich die Gesprächspartner einig. Als Beispiel nannte Fahnemann die Schwierigkeiten vieler Unternehmen bei der Suche nach passenden Auszubildenden. Im Stadtgebiet stehen rechnerisch 100 gemeldeten offenen Ausbildungsplätzen nur 56 Ausbildungsbewerberinnen und -bewerber gegenüber. "Die Arbeitgeber sind darauf angewiesen, dass sich junge Menschen aus dem Umland bewerben", berichtet Fahnemann. Das klappe momentan noch recht gut, rund 480 Ausbildungsstellen waren zuletzt aber weiterhin unbesetzt. "Um junge Menschen zu unterstützen, die für die Ausbildung in eine andere Stadt umziehen, haben wir den Mobilitätszuschuss eingeführt", so der Hinweis von Schulze. "Wir können aber nicht nur von den Jugendlichen erwarten, dass sie flexibel und motiviert sind. Auch die andere Seite, die der Unternehmen, muss sich bewegen", fordert die Ministerin. Zwar sei die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe in Münster und dem Münsterland im Bundesvergleich überdurchschnittlich hoch, aber, so Fahnemann: "Hier ist noch Luft nach oben. Wenn ein Viertel der Betriebe ausbildet, heißt das im Umkehrschluss auch, dass es andere nicht tun". Hier sei eine Solidarität untereinander gefragt, so die Ministerin: "Wenn mehr Unternehmen in die Ausbildung junger Menschen investieren, bringt das die Wirtschaft insgesamt weiter".
Auch bei der Besetzung der offenen Ausbildungsstellen wünscht sich Svenja Schulze mehr Offenheit für Bewerberinnen und Bewerber, die auf den ersten Blick nicht alle Kriterien erfüllten und verweist beispielhaft auf junge Geflüchtete: "Viele sind hoch motiviert und möchten eine Ausbildung absolvieren". Dabei sei klar, dass es oft ein längerer Weg sei, bis die Sprachkenntnisse ausreichten und die individuelle Integration soweit sei, dass eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen werden könne: "Der Aufwand lohnt sich aber", sagt Schulze. Joachim Fahnemann stimmt dem zu und gibt zu bedenken: "Ohne die Zuwanderung von jungen Menschen, die hier arbeiten möchten und ihren Beitrag zum Sozialstaat leisten, wird es nicht funktionieren". Dies könne jedoch nur gelingen, wenn viele an einem Strang zögen, so der Agenturleiter. Um die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure am Arbeitsmarkt noch weiter zu verbessern, geht die Arbeitsagentur Ahlen-Münster in einem Modellprojekt neue Wege. "Dazu schalten wir in unserem neuen vernetzten hybriden Beratungsformat im Bedarfsfall Partner aus anderen Organisationen per Video und Bildschirm virtuell in die Gespräche mit unseren Kundinnen und Kunden zu, um aufkommende Fragen unkompliziert und zügig zu klären", erklärt Fahnemann. "Wenn wir die Herausforderungen am Arbeitsmarkt bewältigen möchten, brauchen wir frische Ideen und innovative Strategien", zeigt sich Ministerin Schulze überzeugt.