Stationen geflüchteter Menschen auf dem Weg in Arbeit

• MdB Dr. Joe Weingarten besucht vor dem Hintergrund des Weltflüchtlingstages am 20.06. Sprachkurs, Unternehmen und Jobcenter Bad Kreuznach
• Einladung durch Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Bad Kreuznach

09.07.2024 | Presseinfo Nr. 27

Die Stimmen der Praxis und der Betroffen selbst sollen zu Wort kommen. Das war die Idee der Leiterin der Agentur für Arbeit Bad Kreuznach, Gundula Sutter, als sie Dr. Joe Weingarten anlässlich des Weltflüchtlingstages einlud. Dieser Tag fand bereits am 20.06. statt. Aber die Infos waren zum Treffen am ersten Juli nicht minder interessant, um die Bedingungen für die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt näher zu beleuchten.

Zunächst tauschte man sich mit Olga Shaikovsky und Axel Ghane Basiri vom Internationalen Bund (IB) in der Wilhelmstraße aus. In den kürzlich bezogenen Räumlichkeiten finden Integrations- und Sprach-kurse für geflüchtete Menschen statt. Die Koordinatorin für diese Kurse stammt selbst aus der Ukraine, lebt seit 30 Jahren hier und laut Bereichsleiter Ghane Basiri weiß niemand mehr über das Thema Spracherwerb und Integration. Shaikovsky arbeitet seit 2005 beim IB und weiß aus dieser, aber auch aus eigener Erfahrung, dass Deutsch am besten in möglichst gemischten Klassen gelernt wird. „Wenn Menschen vieler verschiedener Nationalitäten und Sprachen aufeinandertreffen, dann ist Deutsch die gemeinsame Sprache und die Lernerfolge sind beachtlich“, betont sie. Sind die Gruppen homogener, ist die Versuchung größer, sich in der Muttersprache zu verständigen.

Der IB führt laufend 12-15 Kurse durch, Basissprachkurse, Aufbaukurse sowie berufsbezogene Integrationskurse – je nach sprachlichen Vorkenntnissen, die in einem Test ermittelt werden und nach beruflichen Qualifikationen. Aber auch Alphabetisierungskurse sind notwendig. Sie werden von Menschen besucht, die keine oder nur eine geringe Schulbildung im Herkunftsland hatten. Aufgrund gesellschaftlicher Strukturen insbesondere im arabischen und afrikanischen Raum sind dies nicht selten Frauen, weil für sie keine Berufstätigkeit, sondern die klassische Rolle im Haus bestimmt war. Das Ankommen hier er-fordert nun das Erlernen der Kulturtechnik Lesen und Schreiben, um Deutsch lernen und arbeiten zu können.

Sutter und Weingarten wollten vor allem aber mit Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern sprechen. Sie besuchten zwei Klassen und stellten Fragen nach Herkunft, bisherigen Ausbildungen und Tätigkeiten sowie den Wünschen für Leben und Beruf in Deutschland. Es stellte sich heraus, dass eine beein- druckende Bandbreite an beruflichen Erfahrungen vor ihnen saß: Buchhalter, Physikdozentin, Kosmetikerin, Filialleiterin bei Deichmann, Krankenschwester, Vermessungsingenieurin, Informatiker, um einige zu nennen. Ebenso unterschiedlich waren die Herkunftsländer: Kasachstan, Rumänien, Ukraine, Thailand,
Syrien und Afghanistan. Auf die Frage danach, wer hierbleiben möchte, meldeten sich mit einer Ausnahme alle. Sutter ermunterte die Klasse: „Stellen jetzt Sie Ihre Fragen an uns!“. „Haben wir hier Chancen“? fragte eine junge Ukrainerin spontan. Weingarten betonte: „Wir brauchen Sie!“, aber ebenso deutlich: „Wer hierherkommt, muss ein Interesse haben, alles Mögliche zu tun, um hier auch klarzukommen. Die Unterstützung haben Sie“. Der Spracherwerb auf dem Niveau B1 ist Voraussetzung für eine Integration. Ohne Deutsch wird das laut Shaikovsky nichts mit Arbeiten. Mit dem Appell, zu Hause Deutsch zu sprechen, verabschiedeten sich Bundestagsabgeordneter und Agenturchefin. Beide zeigten sich beeindruckt von der Begegnung aufgrund der bereits vorhandenen Fähigkeit zum Gespräch in Deutsch und der vielfältigen beruflichen Hintergründe.

Für eine Integration braucht es neben Sprache und Motivation Arbeitgeber, die offen für Menschen mit Migrationshintergrund sind. Der traditionsbewusste Familienbetrieb Fuhr Catering in Bretzenheim ist ein solcher. Michael und Ana Maria Fuhr führen den Betrieb in vierter Generation und legen gerade deshalb
besonderen Wert darauf, modern, aufgeschlossen und fair zu sein. Eines vorweg: So steht es nicht nur auf der Website, während des Besuchs war dies zu erleben. Zwei Menschen aus der Ukraine sind seit einigen Monaten dort beschäftigt, eine Küchenkraft und ein Auslieferungsfahrer. Insgesamt sind zwischen
50 und 60 Prozent der Belegschaft Migrantinnen und Migranten. Ana Maria Fuhr selbst ist in Kolumbien geboren, ihre Familie hat Wurzeln in vielen anderen Ländern. Gerade aus dieser Geschichte heraus ist sie bereit, Neuankömmlingen Chancen zu geben. Sie und ihr Ehemann beschreiben sich als
wertkonservativ und – das ist kein Widerspruch - multikulturell im besten Sinne. „Unerlässlich ist, dass es für alle fair ist“, unterstreicht das Ehepaar. Und meint damit durchaus, dass alle die gleiche Leistungsbereitschaft mitbringen müssen. Nur so funktioniert es. Dass es funktioniert, stellen sie täglich unter
Beweis, indem Sie mit fast 60 Beschäftigten (incl. Minijobber) annähernd 3000 Essen für Kitas und Schulen in gleichbleibend hoher Qualität zubereiten und ausliefern, Catering für Events machen und auch in den eigenen Räumlichkeiten Feiern ausrichten. Auch Menschen, die noch keine guten Sprachkenntnisse
haben, sind bei Fuhr Catering willkommen. Denn aufgrund der vielen Sprachen, die in der Belegschaft gesprochen werden, kann immer irgendjemand übersetzen. Durchaus auch ein Vorteil für die Gewinnung weiterer Arbeitskräfte.

Mit denjenigen, die sich um das Zusammenbringen von Geflüchteten und Arbeitgebern kümmern, fand ein abschließender Austausch im Jobcenter Bad Kreuznach statt. Artur Vetter aus dem Jobturbo-Team beschrieb Weingarten, wie er in seinen Beratungen vorgeht. Vetter, der als Kind nach Deutschland kam
und seine Ausbildung bei der Arbeitsagentur gemacht hat, sucht in den Gesprächen nach dem, was sein Gegenüber antreibt – oder auch hemmt. Geht es um Geld, um Familie, um Ziele oder stehen Rahmenbedingungen wie fehlende Mobilität, Sprachprobleme oder gesundheitliche Gründe dem passenden Job
entgegen? Dazu muss erst einmal Vertrauen aufgebaut werden, was ihm meist schnell gelingt. Er kennt beides: Die Engagierten, die nicht müde werden, bis etwas gefunden wurde und alles dazu beitragen, aber auch diejenigen, die sich mit Lernen und Dranbleiben schwertun und sich schnell entmutigen lassen.
Der stellvertretende Geschäftsführer Steffen Marx räumte ein, dass es dann weniger Möglichkeiten der Aktivierung gibt als vor Einführung des Bürgergeldes.

„Etwa die Hälfte der rund 10 800 Jobcenterkundinnen und -kunden sind zugewanderte Menschen“, informierte Geschäftsführer Bruno Eckes. Diese gilt es bei der Integration in Arbeit oder Ausbildung zu unterstützen, was mitunter Zeit braucht. Ziel ist aber immer, dass das Bürgergeld vorübergehend hilft,
bis eine passende Beschäftigung gefunden wurde. In dieser Zeit fällt dem Jobcenter als ausführende Verwaltung die Aufgabe zu, die Leistungen, die vom Gesetzgeber bestimmt sind, schnell und lückenlos zu gewähren.

„Und“, so ergänzt Sutter, „wir haben ein breites Förderangebot zur Hand, um auch nach Jobantritt beispielsweise beim weiteren Spracherwerb zu unterstützen. Gerade der berufsbezogene Sprachkurs stabilisiert im Job, in dem neben der Arbeitserfahrung ja auch Sprachkenntnisse erworben werden. Die
Filialleiterin bei Deichmann arbeitet hier nun ebenfalls bei diesem Filialisten. Zunächst im Verkauf, aber je nach Sprachentwicklung und Leistung im Beruf, ist ein Anschluss an die frühere Tätigkeit im Heimatland denkbar. Die dort erworbene Qualifikation kann so auch hier eingesetzt werden.“

Auch die berufliche Weiterbildung von Beschäftigten mit Unterstützung dieser und der Arbeitgeber ist im nächsten Schritt vorstellbar. Bei der Betrachtung der Integration derjenigen, die 2015 hierherkamen, sieht man, dass noch vierzig Prozent hilfebedürftig sind. 2018 waren es noch fast 60 Prozent. Integration
in den Arbeitsmarkt braucht demnach Zeit, Unterstützung und guten Willen aller Beteiligten. Dann können Erfolgsgeschichten entstehen. Fest steht: Arbeit lohnt sich immer – das gilt für alle Menschen in unserer Gesellschaft. Im Jobcenter wird man nicht müde, täglich darauf hinzuweisen.