„Luft nach oben“ bei der Inklusion auf dem ostsächsischen Arbeitsmarkt

Arbeitslosen Menschen mit Behinderung gelingt es in den Landkreisen Bautzen und Görlitz seltener eine Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt aufzunehmen als Menschen, welche keine Behinderung haben.

14.11.2024 | Presseinfo Nr. 45

So lag die Zahl der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen im Oktober 2024 bei 1.492 Personen, 31 Prozent (+349 Personen) höher als vor fünf Jahren. Im Vergleich zum Jahr 2019 ist aktuell auch die Gesamtzahl aller Arbeitslosen gestiegen, was zum einen an der konjunkturellen Schwäche und zum anderen am Zugang geflüchteter Menschen auf den Arbeitsmarkt liegt. Dennoch ist der Zuwachs insgesamt mit einem Plus von 24 Prozent deutlich niedriger als bei der Gruppe der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen. 

„Schon nach Ende der Corona-Pandemie konnten Arbeitslose mit Behinderungen nicht in gleichem Maße wie andere Arbeitslose von der zeitweisen Arbeitsmarkterholung profitieren. Aktuell führt das zurückhaltende Einstellungsverhalten der Arbeitgeber im Zuge der bestehenden wirtschaftlichen Unsicherheiten dazu, dass Arbeitslose mit Behinderungen noch schwieriger auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Personalverantwortliche sollten das Potenzial nutzen, um Arbeits- und Fachkräfte zu gewinnen und Menschen mit Behinderungen zugleich Chancen für die Teilhabe am Arbeitsleben zu bieten“, so Marion Richter, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Bautzen.

Bei der Personalrekrutierung sollten vor allem die Stärken eines jeden Menschen im Vordergrund stehen. Was das bedeutet, zeigt das Beispiel der Schuster Hörgeräte GmbH & Co. KG, Bautzen. Das Unternehmen beschäftigt vier Mitarbeitende und bildet aktuell einen jungen Menschen zum Hörakustiker aus. Zu seinen Aufgaben gehören unter anderem: Hörtest, Service, Beratung und Anpassung von Hörsystemen sowie maßgefertigten Gehörschutz, Anpassung von Zubehör, wie zum Beispiel TV Adapter oder Lichtsignalanlagen.

„Ich könnte uns keinen besseren Azubi wünschen. Seine Hörbehinderung ist für uns eine Stärke. Er weiß aus eigener Erfahrung wie es ist, Hörsysteme zu tragen und kann somit auf die individuellen Kundenbedürfnisse bestmöglich eingehen“, so Florian Schuster, Gesellschafter der Schuster Hörgeräte GmbH & Co. KG, Bautzen.

„Nach dem Grundsatz „so normal wie möglich, so speziell wie nötig“ ist es unser gemeinsames Ziel, dass Menschen mit Behinderungen dauerhaft, gleichberechtigt und selbstbestimmt am Arbeitsleben und damit auch am Leben in der Gesellschaft teilhaben können. Wir haben ein großes Portfolio, aus dem wir die jeweils passende Unterstützung und Förderung nach Maß auswählen können. Die Arbeitsagentur berät Unternehmen sowie Menschen mit Behinderungen mit speziell qualifizierten Beratern“, so Simone Kessler, Teamleiterin für Rehabilitation und Teilhabe der Agentur für Arbeit Bautzen. 

Wie offen die Unternehmen für die Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen sind und ihnen eine Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen, zeigt unter anderem die sogenannte Erfüllungsquote zur Beschäftigungspflicht. Arbeitgeber mit mindestens 20 regelmäßigen Arbeitsplätzen sind verpflichtet, je nach Betriebsgröße, eine bestimmte Anzahl von Menschen mit Schwerbehinderung zu beschäftigen. Andernfalls müssen sie eine Ausgleichsabgabe zahlen. Die Erfüllungsquote stellt den Anteil der Arbeitgeber dar, die ihre Beschäftigungspflicht vollständig erfüllt haben, gemessen an allen beschäftigungspflichtigen Arbeitgebern. Im Agenturbezirk Bautzen gab es im Jahr 2022 insgesamt 1.222 Betriebe, welche zur Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen verpflichtet waren. 43,5 Prozent (532 Betriebe) von ihnen erfüllten die Beschäftigungspflicht vollständig. Mit einem Plus von 0,6 Prozentpunkten stieg die Erfüllungsquote gegenüber dem Vorjahr 2021 leicht. Aber immer noch mehr als die Hälfte der Betriebe (56,5 Prozent) erfüllten die Beschäftigungspflicht entweder nur teilweise oder nicht. Damit ist „noch Luft nach oben“.

Fakt ist: 68 Prozent der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen sind Fachkräfte oder besitzen einen akademischen Abschluss. Damit sind schwerbehinderte Menschen besser qualifiziert als alle Arbeitslosen insgesamt, von ihnen besitzen 59 Prozent einen beruflichen Abschluss.

Hörakustikermeister Florian Schuster bildet Arthur Lieschke in seinem Unternehmen zum Hörakustiker aus. Zu den praktischen Aufgaben gehört unter anderem das Reinigen von Hörgeräten. Bildquelle: Agentur für Arbeit Bautzen

Hintergrundinformationen: 

Zur Beschäftigungspflicht von schwerbehinderten oder ihnen gleichgestellten Menschen:

Arbeitgeber, die im Jahresdurchschnitt monatlich über mindestens 20 Arbeitsplätze im Sinne der §§ 156 ff. Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) verfügen, sind verpflichtet, auf wenigstens fünf Prozent dieser Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Abweichend von diesem Grundsatz haben Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich weniger als 40 Arbeitsplätzen jahresdurchschnittlich monatlich einen schwerbehinderten Menschen und Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich 40 bis weniger als 60 Arbeitsplätzen jahresdurchschnittlich monatlich zwei schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen.

Die monatliche Ausgleichsabgabe beträgt für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz bei einer Beschäftigungsquote von:                   

  • 3 Prozent bis unter 5 Prozent          140 Euro
  • 2 Prozent bis unter 3 Prozent          245 Euro
  • unter 2 Prozent                                360 Euro

Mit dem Gesetz zum inklusiven Arbeitsmarkt wird ab 01.01.2024 die Ausgleichsabgabe durch die Einführung einer neuen Staffel erhöht. Sie kann, je nach Betriebsgröße, monatlich bis zu 720 Euro betragen. Da die Abrechnung immer im Folgejahr erfolgt, kommt der neue Staffelbetrag ab 2025 finanziell zum Tragen.

Wer integriert, der profitiert! Unterstützung und Förderung durch die BA:

Eingliederungszuschuss:

Für bis zu zwei Jahre kann ein Betrieb mit bis zu 70 Prozent des Arbeitsentgeltes bezuschusst werden. Zusätzlich wird eine Pauschale für die Sozialversicherung gewährt. In besonderen Einzelfällen kann die Förderung sogar bis 60 Monate, bei über 55- Jährigen bis zu 96 Monate erfolgen.

Ausbildungszuschuss:

Um für behinderte bzw. schwerbehinderte Menschen die Chancen auf eine betriebliche Ausbildung und damit einen Berufsabschluss zu verbessern, können dem Arbeitgeber als Anreiz Zuschüsse zur Ausbildungsvergütung oder einer vergleichbaren Vergütung gewährt werden. 

Budget für Ausbildung:

Menschen mit Behinderungen, die ein Leistungsvermögen von weniger als 3 Stunden unter üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes haben, soll durch die Förderung der Abschluss einer anerkannten Berufsausbildung oder Fachpraktikerausbildung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglicht werden.

Probebeschäftigung:

Arbeitgebern können die Kosten für die befristete Probebeschäftigung behinderter, schwerbehinderter und ihnen gleichgestellten Menschen bis zu einer Dauer von drei Monaten erstattet werden. Wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass dadurch die Möglichkeit einer Teilhabe am Arbeitsleben verbessert wird oder eine vollständige und dauerhafte Teilhabe zu erreichen ist.

Unterstützte Beschäftigung:

Unterstützte Beschäftigung (UB) bietet Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf durch individuelle Qualifizierungsmöglichkeiten direkt im Betrieb berufliche Perspektiven zur Teilhabe am Arbeitsleben. Sie eröffnet Menschen mit Behinderungen die Chance, auch ohne formale Abschlüsse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Beschäftigung entsprechend ihrer Fähigkeiten und Wünsche aufzunehmen.

Arbeitsmarktprogramm „Wir machen das! – Menschen mit Behinderungen in Ausbildung und Beschäftigung“:

Gefördert werden können Arbeitgeber, die schwerbehinderte oder gleichgestellte Menschen auf einen zusätzlichen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz einstellen. Diese Fördermittel werden vom Sächsischen Ministerium für Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt (SMS) zur Verfügung gestellt und können bei der Agentur für Arbeit beantragt werden. Insgesamt kann die gestaffelte Förderung bis zu 5.000 Euro betragen.