Insgesamt haben sich seit Beginn des Berufsberatungsjahres im Oktober 2021 bis zum Bilanzschluss Ende September dieses Jahres 1.405 Bewerber auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz bei der Agentur für Arbeit in Herne gemeldet.
Das sind 48 Jugendliche oder 3,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Demgegenüber stehen derzeit 926 betriebliche Ausbildungsstellen. Im Vergleich zum letzten Berufsausbildungsjahr ist das ein Anstieg um 179 Ausbildungsstellen oder 24 Prozent. Rein rechnerisch kommen damit derzeit auf 100 Ausbildungsstellen 154 Bewerber*innen. Im Jahr zuvor waren es noch 182 Bewerber, im Jahr davor 217.
Auch wenn in Herne das Angebot an Ausbildungsstellen noch knapper als die Anzahl der Bewerber ist, ist bereits ein deutlicher Wandel auf dem Ausbildungsmarkt zu spüren. Er verändert sich vom Arbeitgeber- hin zum Bewerbermarkt. Jugendliche mit einem guten Schulabschluss können sich zum Teil die Ausbildungsstellen aussuchen. Einige machen das. Viele Jugendliche aber, egal, ob sie ein gutes Zeugnis aufweisen können oder nicht, haben nach wie vor den Wunsch entweder einen höheren Schulabschluss nach der zehnten Klasse zu erlangen oder zu studieren. Ein akademischer Abschluss ist gut, aber nicht das Nonplusultra. Eine Studie des IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) hat ergeben, dass man nicht per se mehr Geld mit einem akademischen Abschluss verdient. Dies aber glauben viele junge Menschen und wählen lieber ein Studium nach der Schule, obwohl das nicht immer die bessere Entscheidung ist. Eine Ausbildung, sei sie dual oder kombiniert mit einem Studium, sollte daher ebenfalls überlegt werden. Die Unternehmen suchen händeringend und Nachwuchskräfte fehlen. Der demografische Wandel macht es nicht leichter.
Frank Neukirchen-Füsers, Vorsitzender Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Bochum, verweist darauf, dass mehr als ein Fünftel der derzeit Beschäftigten in NRW in den nächsten 10 Jahren das 65. Lebensjahr vollenden wird und sagt: „Die meisten von ihnen sind gut qualifiziert. Der Ausbildung junger Menschen kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Die Demografie schreitet mit schnellen Schritten voran. Wir müssen mehr ausbilden. Aktuell sind noch immer 115 Ausbildungsstellen unbesetzt. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Rückgang von rund 7 Prozent. Die Anzahl der unversorgten Bewerber ist mit noch 44 Jugendlichen dieses Jahr um 58,5 Prozent rückläufig. Zur Realität gehört aber auch, dass der Bedarf der Unternehmen an Fachkräften aktuell nicht mit den vorhandenen Bewerbern ausgeglichen werden kann. Mit einer dualen Ausbildung startet man gut durch. Fachkräfte, Spezialisten und Experten werden überall gesucht. Eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung bildet den Grundstein für alle weiteren beruflichen Ambitionen. Wir unterstützen gerne bei der Ausbildungsstellenvermittlung und bieten mit dem Förderinstrument „Assistierte Ausbildung“ auch während der Ausbildung Hilfe an.“
Oberbürgermeister Dr. Frank Dudda betont die Chancen, die der lokale Ausbildungsmarkt zu bieten hat: „Der positive Trend der Jahresbilanz, insbesondere die geringe Zahl der unversorgten Bewerberinnen und Bewerber, zeigt, dass wir mit dem Bündnis für Arbeit auf dem richtigen Weg sind. Die duale Ausbildung in Herne ist und bleibt ein Erfolgsmodell für die Zukunft. Hier lernen junge Menschen den Arbeitsalltag kennen, und können somit eigenverantwortlich Arbeiten ausführen und haben damit schon frühzeitig die Möglichkeit Verantwortung zu übernehmen. Das breite Spektrum der dualen Ausbildung bietet Chancen für alle Schulabgängerinnen und Schulabgänger. Herne kann als Stadt der Chancen wahrgenommen werden und befindet sich jetzt in einem Aufholprozess, den wir aus eigener Kraft angestoßen haben und gestalten. Damit bieten wir jungen Menschen gute Perspektiven für ihre Zukunft.“
Für den Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Mittleres Ruhrgebiet, Michael Bergmann, steht fest, dass die Betriebe zukünftig noch stärkere Unterstützung benötigen werden und erklärt: „Der Arbeitsmarkt hat sich zu einem Bewerbermarkt entwickelt. Deshalb können nur die Unternehmen, die sich intensiv mit der Anwerbung von Fachkräften auseinandersetzen, auch in Zukunft am Markt bestehen. Die Duale Ausbildung ist zwar weiterhin Garant für einen steten Fachkräftenachwuchs. Das reicht allerdings nicht: Viele Unternehmen haben sich bislang zu wenig mit Employer Branding und dem Einsatz ausländischer Fachkräfte beschäftigt. Deshalb möchte die IHK Mittleres Ruhrgebiet die Betriebe künftig dabei stärker unterstützen."
Dirk W. Erlhöfer, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfalen, sagt zur Situation in Herne: „Über 900 Ausbildungsstellen und damit noch einmal fast 180 mehr als im Vorjahr zeigt, wie auch die Herner Unternehmen zum Thema Ausbildung stehen. Längst sind die Zeichen der Zeit erkannt, es wird wieder mehr in Ausbildung investiert. Bei nur noch 44 unversorgten Bewerbern und noch 115 offenen Stellen haben wir berechtigte Hoffnung, dass in der Nachvermittlung ein besseres Matching gelingt und wir noch einige Jugendliche in Ausbildung bringen können. Eine duale Ausbildung im Betrieb ist eine gute Grundlage für das weitere berufliche Leben und muss längst nicht das Ende der Karriereleiter sein. Dies muss zukünftig auch unsere Aufgabe sein: Den Wert der betrieblichen Ausbildung und Weiterbildungsmöglichkeiten betonen und deutlich machen, dass ein Studium eben nicht der einzige Weg ‚nach oben‘ ist.“
Aus Sicht des Geschäftsführers des Deutschen Gewerkschaftsbund Ruhr-Mark, Stefan Marx, steht die Zukunft der Unternehmen in Herne auf dem Spiel. Er erklärt: „Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt in Herne bleibt schwierig. Auch wenn sich die Relation im Gegensatz zu den letzten Jahren verbessert hat, ist sie immer noch nicht ausreichend. Viele Jugendliche tauchen vermutlich in der Statistik gar nicht auf, weil sie sich nach dem Schulabschluss nicht bei der Arbeitsagentur registriert haben. Von ihnen wissen wir nicht, wo sie geblieben sind und was sie machen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass viele dieser jungen Frauen und Männer anschließend überhaupt keine Berufsausbildung mehr machen. Das dürfen wir nicht weiter hinnehmen! Um aktiv gegenzusteuern, müssten hier mehr Ausbildungsplätze angeboten werden, die Zukunft der Unternehmen hängt von den Fachkräften ab. Landesweit brauchen wir eine Ausbildungsgarantie. Nur so können alle Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, auch einen bekommen. Zur Finanzierung braucht es einen umlagefinanzierten Zukunftsfonds Ausbildung, in den nicht-ausbildende Unternehmen einzahlen.“
Hans-Joachim Drath, Kreishandwerksmeister in Herne, betont, wie wichtig die Zusammenarbeit mit Eltern ist und dass noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten ist: „Der Ausbildungsmarkt im Handwerklichen Bereich in Herne ist von vielen Faktoren abhängig. Aus Sicht des Handwerks hat das Handwerk in der Gesellschaft nicht die Wertschätzung, die erforderlich ist, um die Jugendlichen von einer handwerklichen Ausbildung zu überzeugen. Die Akademische Ausbildung hat gerade bei den Eltern einen deutlich höheren Stellenwert. Gleichzeitig steigt der Einfluss der Eltern bei der Berufsfindung für die Jugendlichen. Hier müssen wir mit Veranstaltungen ansetzen, die den Eltern das Handwerk neu erklären. Nur mit ihrer Unterstützung können wir mehr Jugendliche von einer Ausbildung im Handwerk überzeugen. Auch der Bereich der Praktika muss neu gedacht werden. Die Schnittstelle zwischen den Schulen und den Betrieben, die Praktika anbieten, muss enger und passgenauer für die Bewerber gelebt und geführt werden. Ohne neue, gut ausgebildete Fachkräfte wird es für den Verbraucher in Zukunft nicht einfacher einen Handwerker zu finden.“