Insgesamt haben sich seit Beginn des Berufsberatungsjahres im Oktober 2021 bis zum Bilanzschluss Ende September dieses Jahres 2.136 Bewerber auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz bei der Agentur für Arbeit Bochum gemeldet. Das sind 139 Jugendliche oder 6,1 Prozent weniger als im Vorjahr.
Demgegenüber standen im Berufsausbildungsjahr 2.394 betriebliche Ausbildungsstellen. Im Vergleich zum letzten Jahr ist das ein Anstieg um 55 Ausbildungsstellen oder 2,4 Prozent. Rein rechnerisch kommen damit derzeit auf 100 Ausbildungsstellen 91 Bewerber*Innen. Im Jahr zuvor waren es 98 Bewerber*Innen, im Jahr davor 110.
Kurzum, der Arbeitsmarkt wandelt sich. Er verändert sich vom Arbeitgebermarkt zum Bewerbermarkt. Jugendliche mit einem guten Schulabschluss können sich zum Teil die Ausbildungsstellen aussuchen. Einige machen das. Viele Jugendliche aber, egal, ob sie ein gutes Zeugnis aufweisen können oder nicht, haben nach wie vor den Wunsch entweder einen höheren Schulabschluss nach der zehnten Klasse zu erlangen oder zu studieren.
Ein akademischer Abschluss ist gut, aber nicht das Nonplusultra. Eine Studie des IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) hat ergeben, dass man mit einem akademischen Abschluss nicht per se mehr Geld verdient. Dies jedoch glauben viele junge Menschen und wählen lieber ein Studium nach der Schule, obwohl das nicht immer die bessere Entscheidung ist. Eine Ausbildung, sei sie dual oder kombiniert mit einem Studium, sollte daher ebenfalls überlegt werden. Die Unternehmen suchen händeringend und Nachwuchskräfte fehlen. Der demografische Wandel macht es zudem nicht leichter.
Frank Neukirchen-Füsers, Vorsitzender Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Bochum. „Mehr als ein Fünftel der derzeit Beschäftigten in NRW wird in den nächsten 10 Jahren das 65. Lebensjahr vollenden. Die meisten von ihnen sind gut qualifiziert. Der Ausbildung junger Menschen kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Die Demografie schreitet mit schnellen Schritten voran und wir müssen mehr ausbilden. Aktuell sind noch immer 490 Ausbildungsstellen unbesetzt. Im Vergleich zum Vorjahr sind das 52,2 Prozent mehr. Die Anzahl der unversorgten Bewerber ist mit noch 97 Jugendlichen dieses Jahr um ein Fünftel gesunken (22,4 Prozent). Um weitere Potentiale zu erschließen, müssen wir auch die Ausbildungsmöglichkeiten flexibel gestalten. Nach unserer Erfahrung werden die Möglichkeiten einer Teilzeitausbildung noch zu selten angeboten und genutzt. Auch die zweijährigen Ausbildungen müssen wir verstärkt als Alternative ins Auge fassen. Sie bieten insbesondere lernschwächeren Bewerber*Innen eine Möglichkeit und diese können durchaus eine wertvolle Unterstützung im Betrieb sein. Und wer in einer Ausbildung Hilfe benötigt, den können wir mit dem Förderinstrument „Assistierte Ausbildung“ unterstützen.“
Britta Anger, Sozialdezernentin der Stadt Bochum, betont, wie wichtig es ist, den Ausbildungsmarkt in unsicheren Zeiten zu stabilisieren: „Die Auswirkungen globaler Krisen wie dem Ukraine-Krieg oder der Corona-Pandemie sind deutlich spürbar und machen auch vor dem Bochumer Ausbildungsmarkt nicht halt. Die Zahl der angebotenen Ausbildungsstellen steigt, die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber dagegen sinkt. Deshalb: Ausbildung ist wichtig. Sie schafft einen guten Einstieg in die berufliche Zukunft. Die Wirtschaft, aber auch Pflege und Kitas brauchen Fachkräfte und Fachkräfte gewinnt man am besten, indem man sie selbst ausbildet. Die Stadtverwaltung geht hier mit gutem Beispiel voran: 149 Nachwuchskräfte haben in diesem Jahr ihre Ausbildung oder ein duales Studium in 30 verschiedenen Berufsgruppen begonnen. Der Stadt Bochum ist es wichtig, den Ausbildungsmarkt zu stabilisieren und ein deutliches Zeichen zu setzen.“
Für den Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Mittleres Ruhrgebiet, Michael Bergmann, steht fest, dass die Betriebe zukünftig noch stärkere Unterstützung benötigen werden und erklärt: „Der Arbeitsmarkt hat sich zu einem Bewerbermarkt entwickelt. Deshalb können nur die Unternehmen, die sich intensiv mit der Anwerbung von Fachkräften auseinandersetzen, auch in Zukunft am Markt bestehen. Die Duale Ausbildung ist zwar weiterhin Garant für einen steten Fachkräftenachwuchs. Das reicht allerdings nicht: Viele Unternehmen haben sich bislang zu wenig mit Employer Branding und dem Einsatz ausländischer Fachkräfte beschäftigt. Deshalb möchte die IHK Mittleres Ruhrgebiet die Betriebe künftig dabei stärker unterstützen."
Dirk W. Erlhöfer, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände Ruhr/Westfalen, erläutert die aktuelle Situation auf dem Bochumer Ausbildungsmarkt wie folgt: „490 unbesetzte Ausbildungsstellen bei noch 97 unversorgten Bewerbern zeichnen ein deutliches Bild. Der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt wandelt sich. Bewerberinnen und Bewerber können sich ihren Ausbildungsplatz fast schon aussuchen. Das merken wir auch in den Unternehmen. Immer häufiger geben bereits eingestellte Bewerber schon vor dem Start der Ausbildung ihren unterzeichneten Vertrag zurück, weil Sie einen vermeintlich besseren Ausbildungsplatz bekommen haben. Unternehmen tun gut daran, Kontakte zu nahe gelegenen Schulen aufzubauen, in der Schülerschaft bekannt zu sein, Praktika zu vergeben, Social Media Kanäle zu nutzen und so potenzielle neue Auszubildende frühzeitig im Blick zu haben und vor allem im Blick zu behalten.“
Michael Mauer, Kreishandwerksmeister der Kreishandwerkerschaft Ruhr, hebt hervor, wie wichtig und systemrelevant das Handwerk ist: „Wieder einmal zeigt sich: Das Ruhr-Handwerk kommt auch in wirtschaftlich angespannten Zeiten seiner gesellschaftspolitischen Verantwortung nach und hat 972 jungen Menschen zum bundeseinheitlichen Stichtag am 30. September den Einstieg in eine qualifizierte Berufsausbildung ermöglicht. Ich bin der festen Überzeugung, dass der „Zukunftszweig Handwerk“ in den Köpfen vieler Jugendlicher, Eltern und Lehrkräfte endlich wieder angekommen ist. Zu Recht, denn Handwerk ist systemrelevant, modern und krisenfest. Wo, wenn nicht im Handwerk stehen jungen Menschen derart viel Bildungs- und Karrierewege offen. Vom Auszubildenden bis hin zum Unternehmer – die Chancen für motivierte Köpfe könnten besser nicht sein. Und das Handwerk ist auf qualifizierte Nachwuchskräfte angewiesen. Klimawandel und Elektromobilität sind nur zwei von vielen Zukunftsthemen, die ohne das Handwerk nicht zu meistern sind. Gleichwohl appelliere ich an alle Unternehmen, in ihrem Ausbildungsengagement nicht nachzulassen. Nur durch eine aktive Nachwuchsförderung und zeitgemäße Ansprache potenzieller Jugendlicher kann jedes Unternehmen seinen qualifizierten Mitarbeiterstamm langfristig sichern.“
Aus Sicht des Geschäftsführers des Deutschen Gewerkschaftsbund Ruhr-Mark, Stefan Marx, muss die duale Ausbildung noch stärker in den Fokus genommen werden: „Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt in Bochum bleibt schwierig. Auch wenn rein zahlentechnisch der Markt sich inzwischen gedreht hat, ist es doch so, dass es immer noch unversorgte Bewerber gibt und nicht nur das. Viele Jugendliche tauchen in der Statistik gar nicht auf, weil sie sich nach dem Schulabschluss nicht bei der Arbeitsagentur registriert haben. Von ihnen wissen wir nicht, wo sie geblieben sind und was sie machen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass viele dieser jungen Frauen und Männer anschließend überhaupt keine Berufsausbildung mehr machen. Um auch in Bochum aktiv gegenzusteuern, müssten mehr Ausbildungsplätze auch für schwächere Jugendliche angeboten werden.“