Ulrich Schicke ist nicht nur leidenschaftlicher Friseurmeister und Unternehmer. Er ist auch Chancengeber, Kulturbotschafter und immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten.
Aber der Reihe nach: Wir treffen uns zum Gespräch in einer seiner beiden Frisierstuben im Braunschweiger Heidberg. „Vormittags sind alle Stühle besetzt, es fehlt mir Personal für den Nachmittag“, höre ich auf dem Weg in den hinteren Bereich des Salons. Auf zwei Frisierstühlen kommen wir über sein langjähriges Engagement für junge Menschen aus anderen Kulturen ins Plaudern.
Zitat:„Spracherwerb durch Arbeit ist, aus meiner Sicht, sehr effektiv“
Im Jahr 1982 habe er sich selbständig gemacht und sich schon damals engagiert. Bundeskanzler Kohl hatte Betriebe aufgefordert, die hohe Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen und zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Mitte der 80er Jahre gehörte er zu den ersten Betrieben, die jungen Vietnamesen, die in Folge des Vietnamkrieges nach Deutschland kamen, eine Ausbildung anboten. Auf die Frage, wie vielen Menschen aus welchen Nationalitäten er in den letzten Jahrzehnten eine Job-Chance gegeben hat, kommt eine beachtliche Liste zusammen: Armenien, Kasachstan, Türkei, Iran, Syrien, Libanon, Polen, Äthiopien... insgesamt sind es 14 Nationen.
Das ist doch eher außergewöhnlich für kleinere Unternehmen.
Ich möchte wissen: Warum ist das so?
„Ich bin selbst nicht in Deutschland geboren und kenne Flucht und Vertreibung. Ich weiß selbst, wie unglaublich schwierig es sein kann die Heimat zu verlieren und neu anzufangen. Empathie ist das Zaubermittel und das schönste Geschenk“, blickt der 68jährige Chancengeber zurück.
Er erinnert sich noch daran, dass es damals beispielsweise keine Sprachkurse gab. Man habe sich mit Händen und Füßen verständigt. Auch das habe geklappt und beide Seiten haben schnell gelernt. „Im Alltag sprechen zu müssen ist die beste Schule“, ist sich der Chef sicher. „Spracherwerb durch Arbeit ist, aus meiner Sicht, sehr effektiv“.
Die aktuelle Praktikantin Natalia kommt aus der Ukraine und ist seit zwei Jahren in Deutschland. Sie wird im Sommer die Ausbildung zur Friseurin starten. Derzeit ist sie vier Tage im Betrieb und einen Tag lernt sie die deutsche Sprache. Sie sei ein echter „Glücksfall“, so der Friseurmeister. Sie hat bereits vier Jahre in der Ukraine als Friseurin gearbeitet – allerdings hat sie das Handwerk „nur“ über Privatkurse gelernt und damit keine offizielle Ausbildung absolviert. Dies soll sich nun ändern.
Zitat:„Wir müssen flexibel sein und bleiben."
Die Ausbildung habe sich auch grundlegend verändert. Damals waren es in Braunschweig jedes Jahr 60 Auszubildende – heute sind es 14. Die Generationen würden sich sehr unterscheiden und natürlich auch die vielen Kulturen. Einige Männer kannten beispielsweise gar keine Friseurinnen. In deren Kulturkreisen gibt es lediglich Herrenfriseure. Am Anfang fühle er sich manchmal daher auch als Kulturbotschafter. „Das nehme ich an – man muss nur wissen wie,“ sagt er mit einem Lächeln und geht schnell zum klingelnden Telefon.
Als er wiederkommt, kommen wir noch einmal auf den Personalmangel am Nachmittag zu sprechen. Natürlich möchte er mit den Menschen, die einen Flucht- oder Migrationshintergrund haben, auch seine Personallücke schließen.
„Wir müssen flexibel sein und bleiben, nur so kann ich auch morgen mein Geschäft noch betreiben“, beendet er noch schnell den Satz, bevor er am Tresen dem nächsten Kunden einen Termin vergibt. Glücklicherweise sogar ein Vormittagstermin…