Mit einer Idee, Vertrauen und Mut gegen den Fachkräftemangel

Schließtage, reduzierte Speisekarten, Tische und ganze Räume gesperrt: und das nicht mangels Urlauber, sondern durch fehlendes Personal. Der Fachkräftebedarf im Harz ist in der Gastronomie sehr hoch und insbesondere bei den Köchen ist die Lage sehr angespannt. 

Wie wäre es mit einem Koch aus Mexiko? 

Mit einer Idee, Vertrauen und Mut gegen den Fachkräftemangel

Schließtage, reduzierte Speisekarten, Tische und ganze Räume gesperrt: und das nicht mangels Urlauber, sondern durch fehlendes Personal. Der Fachkräftebedarf im Harz ist in der Gastronomie sehr hoch und insbesondere bei den Köchen ist die Lage sehr angespannt. 

„Was soll das denn schon wieder?“ Diese Frage schoss Sajda Kuchenbäcker nach eigenen Angaben durch den Kopf, als sie von ihrem Chef Oliver Nehmert auf eine Idee angesprochen wurde. Ganz ähnlich ging es Rafael Langa. „Ich war sehr skeptisch“, erinnert er sich. Alle drei arbeiten in leitenden Positionen im „Alten Forsthaus“ in Braunlage. Nehmert ist geschäftsführender Gesellschafter, Kuchenbäcker Hoteldirektorin und Langa der Küchenchef. Doch die Suche nach einem Koch machte erfinderisch.

Oliver Nehmert ist geschäftsführender Gesellschafter und sucht Fachkräfte auch auf außergewöhnlichen Wegen.
Oliver Nehmert ist geschäftsführender Gesellschafter und sucht Fachkräfte auch auf außergewöhnlichen Wegen.

Die Eingebung kam ihm im Gespräch mit der Agentur für Arbeit Braunschweig-Goslar. Von ihr sei er angesprochen worden, um sich ein Programm vorstellen zu lassen, berichtet Nehmert. Im Kern stand die Frage: Wie wäre es mit einem Koch aus Mexiko? Der Gastronom stimmte am Ende zu.

 

25 Mitarbeiter aus zehn Ländern 

In erster Linie aus der Not heraus, in zweiter, weil er bereits Erfahrung mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Ausland hat. 25 Menschen sind in seinem Hotel und Restaurant beschäftigt, davon sechs Auszubildende. Diese Menschen kommen aus Deutschland, Bos- nien, Kroatien, Polen, Indien, Indonesien, Mosambik, Syrien, der Ukraine und nun auch aus Mexiko. Im „Alten Forsthaus“ in Braunlage arbeitet quasi die halbe Welt.

Internationale Küche mitten in Braunlage. Küchenchef Rafael Langa (links) und der mexikanische Koch Misael Rincon (mitte) am Herd mit einem indonesischen Kollegen.
Internationale Küche mitten in Braunlage. Küchenchef Rafael Langa (links) und der mexikanische Koch Misael Rincon (mitte) am Herd mit einem indonesischen Kollegen.

Nehmert ist sich sicher, dass er seine Idee als Einzelbetrieb nicht hätte umsetzen können. Wegen des ganzen Papierkrams, aber auch, wenn es um die Anerkennung der Ausbildung geht. Darum habe sich die Arbeitsagentur gekümmert, er habe für seinen neuen Mitarbeiter einen Deutschkurs in Mexiko finanziert. Davor stand aber eine Art Bewerbungsgespräch. Und das wurde übers Internet geführt. „Es hat sofort gepasst“, sagt Nehmert. Menschlich wie fachlich. „Die Kochausbildung in Mexiko ist auf demselben Stand wie hier.“ Aber nochmal die Frage: Warum Mexiko? 

An dieser Stelle kommt Ines Capelle ins Gespräch, die bei der Arbeitsagentur in Goslar den gemeinsamen Arbeitgeberservice leitet. Der ist auch Ansprechpartner, wenn es um Arbeitskräfte aus dem Ausland geht. Wie Capelle berichtet, laufen bei der Bundesarbeitsagentur Projekte, um Fachkräfte aus dem Ausland zu rekrutieren. Dabei werde nicht nur geprüft, in welchem Land die Fachkräfte zu finden sind und wie es um die Anerkennung der Berufsabschlüsse steht. Zugleich werde der jeweilige Arbeitsmarkt samt Arbeitslosigkeit analysiert. „Wir wollen keinen neuen Fachkräftemangel erzeugen“, erläutert sie den Aufwand. Das Mutterland der Fachkräfte soll also nicht ausgesaugt werden.

Im Gespräch: Geschäftsführer Oliver Nehmert (links), Hoteldirektorin Sajda Kuchenbäcker und Ines Capelle von der Agentur für Arbeit
Im Gespräch: Geschäftsführer Oliver Nehmert (links), Hoteldirektorin Sajda Kuchenbäcker und Ines Capelle von der Agentur für Arbeit

Nach dem ersten Kontakt übernahmen Küchenchef Langa und Hoteldirektorin Kuchenbäcker. An ihnen war es, Kontakt zum neuen Kollegen Misael Rincon zu halten und ihn ins Küchenteam einzuarbeiten. Zunächst dauerte es einige Monate, bis Rincon aus Mexiko Richtung Harz startete. Der Papierkram musste erledigt und der Deutschkurs absolviert werden. Seit April 2024 schwingt er nun in Braunlage Pfannen und Töpfe.

 

Videos bauten Brücke

Für das Kontakthalten war Kuchenbäcker zuständig. Sie berichtet von einer aufregenden Zeit. „Das war ein kostspieliges und zeitintensives Risiko für uns.“ Per Internet baut sie den Kontakt zum neuen Kollegen auf, schickt Videos von seiner neuen Wohnung, dem Arbeitsplatz, Braunlage, dem Wurmberg. „Dieser persönliche Kontakt ist ganz wichtig“, betont Kuchenbäcker. So werden dem neuen Mitarbeiter Sicherheit und unsere Willkommenskultur vermittelt. Der persönliche Kontakt sei auch das Erfolgsgeheimnis für das Einarbeiten der Auszubildenden aus Indien und Indonesien, ist sie überzeugt. Das gelte für den Besuch bei den Behörden, aber auch für ganz Alltägliches. „Das fängt bei der Mülltrennung an“, nennt Kuchenbäcker ein Beispiel. Ein weiteres: „Einige kennen keine Heizung.“ Ihr Fazit: „Der Betreuungsaufwand ist groß, du musst rund um die Uhr erreichbar sein.“ Nehmert ergänzt, dass es einmal im Monat gemeinsame Aktionen, etwa Wanderungen gebe, um das Miteinander und Zusammengehörigkeitsgefühl zu fördern. Dieser Einsatz lohne sich. Etwa, wenn das Team auch in stressigen Situationen gut zusammenarbeite. „Das ist eine Erfolgsgeschichte für uns“, sagt Kuchenbäcker. Und mit einem Strahlen erzählt sie: „Unsere Auszubildenden aus Indonesien haben nach drei Jahren die Abschlussprüfung auf Anhieb bestanden. Darauf können sie stolz sein.“

Zurück zum Koch aus Mexiko. Kuchenbäcker lobt die Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur. Alle sechs Wochen sei sie über den Fortgang des Anwerbeverfahrens informiert, alle Fragen seien sofort beantwortet worden. „Das lief richtig gut“, sagt sie. Insgesamt hätten sich 30 Gastwirte aus Deutschland an dem Programm beteiligt. „Ich kann nur jedem empfehlen, diese Chance zu nutzen.“

 

Was ist ein Hirsch?

Auch Küchenchef Langa ist voll des Lobes. Er habe noch nie erlebt, dass ein Koch so schnell wie sein mexikanischer Kollege sowohl die warme als auch die kalte Küche beherrscht habe. „Dabei war ich so skeptisch, weil ich schon oft enttäuscht wurde“, gesteht Langa. Kollege Rincon habe aber rasch gezeigt, dass er sehr „lernwillig“ sei.

Lernen ist an dieser Stelle das richtige Stichwort. Denn, wer ahnt es nicht, die Schnittmengen zwischen deutscher und mexikanischer Küche sind überschaubar. Wieder ist Kuchenbäcker zur Stelle und nennt ein Beispiel für die Harzer Eigenheiten: „Was ist ein Hirsch? Wie wird er zubereitet? Wie sieht ein Hirsch aus?“ All das zum Beispiel habe Rincon nicht gewusst. Also hat man ihm das alles in Braunlage gezeigt. Wichtig sei das Wollen, „das Fachliche vermitteln wir schon“, sagt Kuchenbäcker und lacht. Das könne für Rincons weitere Laufbahn sehr förderlich sein, sagt Langa. So gebe es etwa in Mexiko oft für jeden Arbeitsschritt einen eigenen Koch. In Deutschland dagegen müsse ein Koch alle Schritte beherrschen. „Wenn er alles kann, dann muss er in Mexiko nicht so viele Leute beschäftigen“, sagt Langa mit einem Augenzwinkern. Aber was weiß der neue Kollege von seinen ersten Eindrücken und dem Harz zu berichten? Ihn habe es gereizt, die deutsche Küche und Kultur kennenzulernen, erzählt Rincon. Das Wetter sei auch besser, weil es nicht so heiß sei wie in Mexiko. Und er berichtet von Vorurteilen der Mexikaner gegenüber Europa. Dort, habe man ihm gesagt, seien die Menschen nicht so freundlich und hilfsbereit.

 

Die Sache mit den Vorurteilen

Aber wie das so ist mit Vorurteilen: Rincon sieht sie nicht bestätigt. Er berichtet von einer Wanderung zum Achtermann nahe Braunlage. Damals sei er noch ganz frisch und schüchtern gewesen. Kaum ein Wort sei ihm über die Lippen gekommen. Aber dann sei er aus dem Team heraus angesprochen worden, und nur wenige Minuten später habe man fröhlich miteinander gesprochen und gelacht.

Aus Mexiko direkt nach Braunlage: Misael Rincon musste die deutsche Küche zunächst kennenlernen.
Aus Mexiko direkt nach Braunlage: Misael Rincon musste die deutsche Küche zunächst kennenlernen.

So ist es auch an diesem Nachmittag im „Alten Forsthaus“ in Braunlage. Wenn die Kroatin Kuchenbäcker, der Mosambikaner Langa, der Mexikaner Rincon und Nehmert, der ebenfalls nicht aus dem Harz, sondern aus Berlin stammt und den Betrieb vor 20 Jahren von seinen Eltern übernommen hat, zusammensitzen und auf Deutsch und Englisch fröhlich miteinander reden und lachen, dann ist rasch zu spüren, dass hier nicht nur ein Fachkräfteproblem gelöst wurde. Es entsteht Herzenswärme.