Göttingen. Klaudia Silbermann, Chefin der Agentur für Arbeit Göttingen, stellte ihre Bilanz gleich vorneweg: „Wir schließen das Berufsberatungsjahr mit einem beidseitigen Plus ab, sowohl die Entwicklung der Bewerberzahlen, als auch die Entwicklung der gemeldeten Ausbildungsstellen hat sich positiv entwickelt. Das ist eine gute Nachricht! Dass die Betriebe in diesen turbulenten Zeiten sogar mehr Ausbildungsstellen als in den Vorjahren gemeldet haben, ist keineswegs selbstverständlich, verdeutlicht aber den Stellenwert der Ausbildung im Kontext Fachkräftesicherung. Und dass sich mehr junge Menschen mit Interesse an einer betrieblichen Ausbildung gemeldet haben ist für mich ein Zeichen dafür, dass es uns gemeinsam mit den Partnerinnen und Partnern am Ausbildungsmarkt gelingt, das Thema Ausbildung Stück für Stück wieder mehr in den Fokus zu rücken. Zu den Bewerberinnen und Bewerbern zählen 330 ausländische Jugendliche, davon 115 mit Fluchthintergrund. Auch wenn längst nicht jeder junge Mensch, der sich für eine Ausbildung konkret gemeldet hat, tatsächlich zu diesem Zeitpunkt eine Ausbildung beginnt, so ist es wichtig, gemeinsam mit den Jugendlichen Chancen und Perspektiven zu betrachten. Denn nicht selten wird eine Ausbildung oder ein Studium erst nach einem kleinen Umweg realisiert.“ Die Berufsberaterinnen und -berater haben im vergangen Berufsberatungsjahr mit mehr als 5.100 jungen Menschen Orientierungs- und Beratungsgespräche geführt. Das sind gut 8% mehr Beratene als im Vorjahreszeitraum.
Einig sind sich Christian Grascha, Leiter der Geschäftsstelle Göttingen der IHK Hannover, Tobias Dunkel, Abteilungsleiter Berufliche Bildung in der Handwerkskammer Hildesheim-Südniedersachsen, und Klaudia Silbermann darin, dass die Unternehmen bezüglich der Nachwuchsgewinnung vor wachsenden Herausforderungen stehen. Dass in der Region das Angebot an offenen Stellen seit Jahren die Nachfrage übersteige, da immer weniger Jugendliche für eine Ausbildung zur Verfügung stünden, liege insbesondere an zwei Faktoren: Zum einen an der demografische Entwicklung; und zum anderen am Trend zum (Fach-) Abitur und einer daraus resultierenden, stark ausgeprägten Studierneigung.
Entsprechend zufrieden ist die Agenturchefin, dass es im zurückliegenden Berufsberatungsjahr gelungen ist, den jahrelangen Abwärtstrend bei den gemeldeten Bewerberzahlen zu stoppen und die Zahl nun sogar zu steigern. Insgesamt meldeten sich zwischen Oktober 2022 und September 2023 2.154 junge Menschen bei der Agentur für Arbeit und den Jobcentern, um mit Unterstützung eine Ausbildung zu suchen. Das waren 97 (4,7%) mehr als im Vorjahreszeitraum.
Im gleichen Zeitraum stieg das von Wirtschaft und Verwaltung gemeldete Ausbildungsangebot um 34 Stellen (+1,1%) auf 3.116 an. Zum Ende des Berichtsjahres waren davon 411 Lehrstellen unbesetzt. Demgegenüber hatten 161 Bewerberinnen und Bewerber weder eine Lehrstelle gefunden, noch eine Alternative realisiert. Das entspricht 13,2% der gemeldeten Ausbildungsplätze und 7,5% der gemeldeten Ausbildungsinteressierten.
Rein statistisch betrachtet wäre eine ausreichende Anzahl an Ausbildungsplätzen vorhanden, denn auf 100 gemeldete Ausbildungsstellen kamen im zurückliegenden Berufsberatungsjahr in der Region lediglich 70 gemeldete Interessierte. Doch diese Überlegung geht nicht auf, denn stark nachfragte Berufe und häufig angebotene Lehrstellen stimmen selten überein. Hinzu kommt, dass manch Ausbildungsplatz nur schwer zu erreichen ist, und nicht jeder Berufswunsch ist, gerade in einer starken Konkurrenzsituation, realistisch. Das gilt umgekehrt auch für Arbeitgebende. Und letztlich ist die betriebliche Ausbildung nur eine von vielen Alternativen, die jungen Menschen nach der Schule offenstehen. Entsprechend hat sich ein gutes Drittel der gemeldeten Ausbildungsplatzbewerber, 761 junge Menschen, im zurückliegenden Berufsberatungsjahr letztlich gegen den Ausbildungsstart 2023 entschieden und einen anderen Weg eingeschlagen, beispielsweise einen weiterführenden Schulbesuch. Eine Ausbildung aufgenommen haben letztlich 925 (42,9%) der gemeldeten Bewerberinnen und Bewerber.
Geeignete Mittel, den Ausgleich am Arbeitsmarkt zu unterstützen, sehen Grascha, Dunkel und Silbermann insbesondere im Bereich Information und Beratung. Der frühzeitige Einstieg in das Thema Berufsorientierung an den Schulen sei wichtig. Daher setze, so Silbermann, die Berufsberatung in den Schulen mittlerweile noch früher an. „Die Kooperation zwischen Schulen und Ausbildungsmarktpartnerinnen und -partnern, wie den Kammern und der Berufsberatung der Arbeitsagentur, ist extrem wichtig, denn die Frage nach der Berufswahl sollten sich Schulabgängerinnen und -abgänger möglichst nicht erst am letzten Schultag stellen.“
Doch während Jugendliche in ihrer Schulzeit für die Berufsberaterinnen und -berater gut erreichbar sind, wird es danach schwieriger. Seit 2022 wird auf gesetzlicher Grundlage in Kooperation mit den Schulen der Verbleib der Schulabgänger nachverfolgt. Das ist wichtig, um mit jungen Menschen ohne berufliche Perspektive ins Gespräch zu kommen und Angebote zu unterbreiten, damit keiner verloren geht. „Uns alle bewegt das Ziel „Kein Abschluss ohne Anschluss“. Denn frühe Auszeiten und Lücken in der Erwerbsbiographie sind Risiken für den späteren Berufseinstieg“, so Silbermann.
Um auch junge Menschen zu erreichen, die bereits vor längerer Zeit die Schule verlassen haben, setzt die Agentur für Arbeit darauf, diesen an außerschulischen Orten zu begegnen, häufig gemeinsam mit Kammern und weiteren Partnerinnen und Partnern. „Es muss unser Ziel sein, dass möglichst niemand am Übergang Schule - Beruf verloren geht, daher bieten wir auch niederschwellige aufsuchende Berufsberatung an“, erläutert die Expertin. „Es ist ein guter Ansatz, mit Jugendlichen zwanglos ins Gespräch zu kommen und unsere Beratungsangebote vorzustellen. Wir zeigen Wege auf, bieten Orientierung, Beratung und auch konkrete Unterstützung an. Die Entscheidung, das Angebot anzunehmen und gemeinsam eine gute Perspektive zu erarbeiten, liegt auch bei den Jugendlichen.“
Entwicklung der abgeschlossenen Ausbildungsverträge in der Region
Die Berichterstattung der Agentur für Arbeit Göttingen berücksichtigt das gemeldete Angebot und die gemeldete Nachfrage für betriebliche Ausbildungen. Eine erste Übersicht der eingetragenen Ausbildungsverträge in ihrer jeweiligen Zuständigkeit bieten IHK und die HWK. Eine Gesamtübersicht aller abgeschlossenen betrieblichen Ausbildungsverträge aller Kammern wird erst Anfang 2024 vom Bundesinstitut für Berufsbildung zur Verfügung gestellt.
Grascha stellte die Zahlen der IHK für die Region vor: „Im September lagen die eingetragenen Ausbildungsverträge im Agenturbezirk Göttingen ziemlich genau auf dem Vorjahresniveau, nämlich bei 1.513. Dabei zeigt sich im Landkreis Göttingen ein leichter Rückgang von 1,8%, der den Bereich der gewerblichen Berufe betrifft. Im Landkreis Northeim ist die Zahl der eingetragenen Ausbildungsverträge hingegen gestiegen, und zwar um 5,6%. Das Plus entfällt großenteils auf den kaufmännischen Bereich. Graschas Fazit fällt wie folgt aus: „Die Hälfte der in der Region geschaffenen Ausbildungsstellen bleibt leider nach wie vor unbesetzt. Es gibt zwar ein größeres Interesse von jungen Menschen an der Berufsausbildung, dieses deckt aber bei weitem noch nicht den Bedarf der Betriebe. Wichtig bleiben deshalb nach wie vor die Berufsorientierung an den Schulen und Berufsinformationsmessen in der Region, um sich einen Überblick über die Chancen am Arbeitsmarkt zu verschaffen.“
Auch im südniedersächsischen Handwerk liegen die 671 eingetragenen Ausbildungsverträge für die Region auf dem Niveau des Vorjahres. Nach Landkreisen
verzeichnet die HWK bei den neu eingetragenen Lehrstellen im Landkreis Northeim ein Plus von 11% und einen leichten Rückgang von 4% im Landkreis Göttingen.
Tobias Dunkel resümiert: „Am Ende wird es vermutlich darauf hinauslaufen, dass wir weder Verluste noch Zuwächse verzeichnen können. Die zu erwartende Stabilisierung führen wir auch auf unser stärkeres Engagement bei der Berufsorientierung zurück. Allein im vergangenen Jahr hat die Handwerkskammer an über 100 Veranstaltungen teilgenommen und rund 3.500 Jugendliche beraten. Das allein wird aber langfristig nicht ausreichen. Wir müssen unsere berufsorientierenden Maßnahmen professionalisieren und noch viel mehr Schülerinnen und Schüler erreichen.“
Aber auch die Politik sieht Dunkel in der Pflicht. Themen der dualen Ausbildung müssten Teil des Lehramtstudiums werden, damit angehende Lehrkräfte ihr Wissen auch korrekt an Schüler weitergeben könnten. Zudem müsse Werkunterricht wieder in der Fläche an allen Schulformen angeboten werden. Auch eine landesseitig geförderte Praktikumsprämie wie in Sachsen-Anhalt, bei der Jugendliche exklusiv ein Praktikum in einem Handwerksbetrieb machten und pro Woche 120 Euro erhielten, werde vom Südniedersächsischen Handwerk ausdrücklich befürwortet.
Die Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt der Agentur für Arbeit Göttingen – Agenturbezirk und Landkreise, Stand 30.09.2023 (in Klammern jeweils Veränderungen zum Vorjahr)
| Agenturbezirk Göttingen | Landkreis Göttingen | Landkreis |
Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen | 3.116 | 2.243 | 873 |
Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen | 411 | 294 | 117 |
Zahl der gemeldeten Ausbildungsbewerber | 2.154 | 1.405 | 749 |
Zahl der unversorgten Ausbildungsbewerber | 161 | 106 | 55 |
Abgeschlossene Ausbildungsverträge in der Zuständigkeit IHK | 1.513 | 1.137 | 376 |
Abgeschlossene Ausbildungsverträge in der Zuständigkeit der HWK | 671 | 449 | 222 |