Im Bezirk der Agentur für Arbeit Helmstedt, zu dem auch Wolfsburg und Gifhorn gehören, meldeten sich vom 1. Oktober 2021 bis 30. September 2022 1.902 Jugendliche bei der Berufsberatung der Agentur für Arbeit. Das sind 2 (0,1 Prozent) weniger als im vorherigen Berufsberatungsjahr und entsprach damit dem Vorjahresniveau. 45 Bewerberinnen und Bewerber galten mit Stand 30.09. noch als unversorgt und damit 45 oder 50 Prozent weniger als im Vorjahr.
Gleichzeitig sank die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen. Das ist einerseits auf wirtschaftliche Unsicherheiten im Zuge der Ukrainekrise zurückzuführen, andererseits dürften sich auch die aktuellen Transformationsprozesse niederschlagen.
Insgesamt 2.619 Ausbildungsplätze wurden von ausbildenden Unternehmen und Institutionen bei der Arbeitsagentur und den angeschlossenen Jobcentern gemeldet, das waren 159 (5,7 Prozent) weniger als im September 2021. 292 dieser Ausbildungsplätze waren mit Stand 30.09. unbesetzt. Das waren 56 oder 23,7 Prozent mehr als im Vorjahresvergleich.
„Wir haben derzeit noch knapp 300 unbesetzte Ausbildungsplätze in unserem Bezirk. Auch wenn das Ausbildungsjahr nun bereits begonnen hat, möchten wir an die Menschen appellieren, die sich vorstellen können, jetzt noch mit einer Ausbildung zu starten, sich bei unseren Beraterinnen und Beratern zu melden. Es ist noch nicht zu spät für den Berufsstart. Wir unterstützen gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern die Nachvermittlung weiterhin bis in das neue Jahr hinein. Und für diejenigen, die bisher noch nicht das Richtige gefunden haben, haben wir Alternativen mit denen wir gern unterstützen,“ fasst Ulf Steinmann, Leiter der Agentur für Arbeit Helmstedt, die Situation zusammen.
Entwicklung der abgeschlossenen Ausbildungsverträge in der Region
Die Berichterstattung der Agentur für Arbeit Helmstedt berücksichtigt das bei Arbeitsagentur und den angeschlossenen Jobcentern gemeldete Angebot und die gemeldete Nachfrage für betriebliche Ausbildungen. Eine erste Übersicht der eingetragenen Ausbildungsverträge in der jeweiligen Zuständigkeit bieten die Handwerkskammer und die Industrie-und Handelskammern mit dem Stand 30. September. Eine Gesamtübersicht über alle abgeschlossenen betrieblichen Ausbildungen steht erst Anfang 2023 zur Verfügung.
Die Ausbildungssituation im Handwerk bleibt angesichts der wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten auch nach mehr als zwei Jahren Coronapandemie herausfordernd. „Der Markt ist heiß umkämpft und gerade kleine Handwerksbetriebe haben es oft schwer, sich im Wettbewerb als Arbeitgeber gegen die Industrie durchzusetzen“ sagt Günter Neumann; Leiter Berufliche Bildung bei der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade. Bei den Lehrverträgen in ihrem Bezirk verzeichnete die Handwerkskammer Ende Oktober 4.658 neue Abschlüsse. In der Region Braunschweig gab es Ende Oktober 1.556 neue Lehrverträge, nur 41 weniger als im Vorjahr. „Das ist insgesamt ein gutes Ergebnis. Lagen die Zahlen im September noch bei minus vier Prozent, so bewegen wir uns jetzt auf dem Vorjahresniveau“, freut sich Neumann. „Unsere Betriebe wissen, dass sie qualifizierte Fachkräfte am besten durch die Ausbildung im eigenen Betrieb gewinnen. Deswegen hat die Ausbildung für sie unverändert einen hohen Stellenwert.“ Im Trend lägen klimarelevante Berufe wie Anlagenmechaniker im Sanitär-, Heizungs- und Klimahandwerk und Elektroniker. Auch die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker mit dem Schwerpunkt System- und Hochvolttechnik sei mit Blick auf die E-Mobilität stark im Kommen. Trotz dieser positiven Zwischenbilanz gibt Neumann aber keine Entwarnung, was die Nachwuchssorgen im Handwerk betrifft: „Um später genug Fachkräfte zu haben, müssen wir die Nachwuchsarbeit verstärken. In einigen Branchen wird es immer schwieriger, Auszubildende zu finden", sagt er. Eine systematische Berufsorientierung sei daher an allen Schulformen – insbesondere an Gymnasien - dringend notwendig, damit sich mehr junge Menschen für den beruflichen Ausbildungsweg entschieden. Darüber hinaus setze sich die Handwerkskammer für mehr Wertschätzung für das Handwerk und eine Gleichstellung der beruflichen und akademischen Bildung ein.
Sönke Feldhusen, Ausbildungsexperte und stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg (IHKLW), hält es für entscheidend, die Vorteile einer beruflichen Ausbildung noch mehr ins Rampenlicht zu stellen: „Unter allein rund 300 Ausbildungsberufen in Industrie, Handel, Dienstleistung und Handwerk können Schulabgänger einen Beruf wählen, der zu ihren Wünschen und Talenten passt. Im Unterschied zum Studium sammeln sie schon während der Ausbildung praktische Berufserfahrungen. Und nach dem Ausbildungsabschluss können junge Menschen mit einer anschließenden berufsbegleitenden Weiterbildung, ebenfalls einen Abschluss auf Bachelor- oder Masterniveau erreichen“, betont Feldhusen. „Für Unternehmen sind diese Absolventen meist viel wertvollere Fachkräfte. Das zahlt sich auch finanziell aus.” Feldhusen verweist auf eine Studie des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung an der Universität Tübingen im Auftrag des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags: Während viele Akademiker erst mit Mitte 20 anfangen würden zu arbeiten und dann oftmals noch ihren Studienkredit abbezahlen müssten, verfügten diejenigen, die nach ihrer Ausbildung noch eine höherqualifizierende Berufsbildung abgeschlossen haben, bereits über einen deutlichen finanziellen Vorsprung, rechnet Feldhusen vor: „Vielen Hochschulabsolventen gelingt es erst mit circa 60 Jahren und somit recht spät, diese Lücke zu schließen. Am Ende ihres Erwerbslebens haben Akademiker und Fachkräfte wie Meister, Fachwirte und Techniker fast gleich viel verdient, nämlich rund 1,4 Millionen Euro brutto.“
Mit all diesen Vorteilen wirbt die IHK-Ausbildungskampagne Moin Future in ganz Niedersachsen für eine Ausbildung in der Region. „Ausbildungsmarketing ist auch für Unternehmen ein zunehmend wichtiger Faktor, denn im aktuellen Ausbildungsjahr konnte fast jeder zweite Betrieb nicht alle Ausbildungsplätze besetzen“, räumt Feldhusen ein. Zum 30. September verzeichnet die IHKLW im gesamten Bezirk 3.492 neue Ausbildungsverträge in IHK-Berufen – 1,2 Prozent weniger als im Vorjahr. In Wolfsburg sind es mit 717 Neuverträgen 0,6 Prozent weniger als im Vorjahr. Im Landkreis Gifhorn weist die IHKLW-Statistik 324 neue Ausbildungsverträge aus. Das sind drei Verträge weniger als 2021.
„Für viele Unternehmen ist es nach wie vor schwer, freie Ausbildungsplätze zu besetzen“, sagt Dr. Kirsten van Elten, Abteilungsleiterin Beruf & Bildung bei der IHK Braunschweig. Dies habe ganz unterschiedliche Gründe: So seien oftmals die zahlreichen Vorteile und Entwicklungsperspektiven der dualen Ausbildung nicht bekannt. Viele junge Menschen ziehe es daher vermehrt in Richtung Studium. Eine große Herausforderung bleibe zudem weiterhin das Matching zwischen Ausbildungsbetrieb und Auszubildenden.
„Es ist für alle Akteure der Beruflichen Bildung eine zentrale Aufgabe der nächsten Jahre, hier noch mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Wir wollen jungen Menschen transparent zeigen, was sie bei einer Ausbildung erwartet und welche Karriereperspektiven sie darüber hinaus mit der Weiterbildung haben. Generell verfolgen wir alle das Ziel, die Vorteile der Beruflichen Bildung in ihrer Gesamtheit stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken“, beschreibt van Elten. In diesem Zusammenhang bieten Kampagnen wie beispielsweise Moin Future eine Orientierung bei dem großen und sehr unterschiedlichen Ausbildungsangebot.
Mit Blick auf den gesamten Bezirk der IHK Braunschweig zeigt sich die Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen weiterhin ungebrochen. Nach zwei Corona-Jahren machen Krieg und Energiekrise die wirtschaftliche Entwicklung weiter unberechenbar. „Dass viele Unternehmen trotz aller Herausforderungen an der dualen Ausbildung festhalten und in ihre Zukunft investieren, ist ein positives Zeichen. Dies zeigt sich auch an dem leichten Anstieg der eingetragenen Ausbildungsverträge“, freut sich die IHK-Abteilungsleiterin. Insgesamt wurden bei der IHK Braunschweig bis zum 30. September 2.289 Ausbildungsverträge eingetragen – ein Prozent mehr als im Vorjahr. Die größten Anstiege verzeichnete die Kammer dabei im Elektrobereich sowie in der Hotellerie und Gastronomie. Im Landkreis Helmstedt lässt sich ebenfalls ein Anstieg verzeichnen: um 6,9 Prozent auf nun 140 neu eingetragene Ausbildungsverträge.