Nach längerer Arbeitslosigkeit hatte Kay-Uwe Schneider sich bereits darauf eingestellt, dass er in seinem Alter wohl keinen Job mehr finden würde, in dem er sein über Jahre angesammeltes Know-How anwenden kann. Doch dann kam doch alles anders als erwartet.
Kemal Keskin kontaktierte Kay-Uwe Schneider über LinkedIn, fragte ihn, ob er sich auch eine Tätigkeit im Bereich der erneuerbaren Energien vorstellen könne. Zu diesem Zeitpunkt war der Herforder bereits über ein Jahr arbeitslos. Zuvor war er in der Baulandentwicklung im Bereich Wohnimmobilien tätig. „Aus gesundheitlichen Gründen musste ich diese Tätigkeit aufgeben. Als es dann daran ging, einen neuen Job zu finden, hatte ich wenig Hoffnung. Zum einen ist der Markt im Immobilienbereich momentan sehr dünn, zum anderen bin ich mir meines Alters bewusst“, berichtet der heute 61-Jährige.
Pia Beckers, Teamleiterin der Arbeitsvermittlung bei der Herforder Arbeitsagentur, kennt diese Sorgen von älteren arbeitslosen Menschen: „Die Motivation bei älteren Menschen, die zu uns kommen, ist oft sehr hoch. Sie kommunizieren regelmäßig mit uns, halten sich an verbindliche Absprachen. Sie möchten gerne noch arbeiten, viele müssen es aus finanziellen Gründen auch. Dennoch beobachten wir oft, dass sich eine gewisse Frustration entwickelt, wenn es dann zu Absagen in Bewerbungsverfahren kommt“, berichtet sie. Das wäre dann einer der Momente, in denen deutlich wird, dass die Arbeitsvermittlung oft weitaus mehr leistet, als nur Jobs zu vermitteln. „Oft müssen – und wollen – wir uns erstmal um den mentalen Zustand unserer Kunden und Kundinnen kümmern“, betont sie.
Kay-Uwe Schneider hat sich bei seiner Arbeitsvermittlerin immer gut aufgehoben gefühlt, nahm sie als kooperativ und hilfsbereit wahr. Das Jobangebot kam dann aber aus einer ganz unerwarteten Richtung: Kemal Keskin, der Kay-Uwe Schneider über LinkedIn kontaktiert hatte, ist Geschäftsführer von Aukera Energy. Das Unternehmen mit Sitz in Berlin investiert bundesweit in Projekte im Bereich erneuerbare Energien. „Ich war davor nicht auf die Idee gekommen, dass ich meine Kenntnisse aus dem Immobilienbereich auch in anderen Gebieten anwenden könnte. Die Anfrage von Kemal kam daher sehr überraschend für mich. Und, ich bin ehrlich: Ein gewisses Misstrauen war anfangs auch vorhanden: Ein ganz anderer Fachbereich, zudem noch ein jüngerer Chef“, erinnert sich Kay-Uwe Schneider.
Kemal Keskin hatte Kay-Uwe Schneider jedoch gezielt als Kandidaten ausgewählt und sieht in seinem Alter eher die Vorteile: „Wir sind in der Region auf der Suche nach Grundstückseigentümern, die sich vorstellen können, Photovoltaikanlagen oder große Batteriespeicher auf ihren Freiflächen zu installieren. Und Fakt ist: Viele Grundstückseigentümer sind in der gleichen Altersklasse wie Kay-Uwe. Das ermöglicht es ihm, in der Akquise eine Kommunikation auf Augenhöhe zu führen und seine Lebenserfahrung einzubringen. Außerdem gibt es einige inhaltliche Überschneidungen zwischen dem Bauwesen und den Erneuerbaren Energien, sodass die vorhandenen Vorkenntnisse gut übertragbar sind.“
Im Austausch ließ sich dann auch der Herforder überzeugen: Zu Beginn des Jahres konnte Kay-Uwe Schneider dann als Außendienstmitarbeiter bei Aukera Energy beginnen. Rückblickend stellt er fest: „Meine Bedenken waren unbegründet. Ich kann anderen in meinem Alter nur sagen: Versteift euch nicht, schaut auch mal nach links und rechts, welche Bereiche vielleicht Schnittstellen zu den eigenen Fähigkeiten aufweisen. Das habe ich versäumt und hätte ohne die Initiative von Kemal heute nicht diesen Job. Und habt bitte keine Angst vor jüngeren Chefs: Es ist zwar ein anderes Arbeitsethos und ein anderer Umgang mit Mitarbeitern, als unsere Generation es gewohnt ist. Aber ich habe noch nie einen so wertschätzenden und kollegialen Umgang miteinander erlebt. Wir arbeiten zusammen, nicht gegeneinander, auch teamübergreifend. Kemal ist der beste Chef, den ich in 40 Jahren Berufsleben gehabt habe.“
Um die notwendige Einarbeitung zu unterstützen bekommt Aukera Energy von der Arbeitsagentur einen Gehaltszuschuss von 30 Prozent für die ersten neun Monate der Tätigkeit des neuen Außendienstkollegen. Ein guter Anreiz, wie Kemal Keskin findet: „Für junge Unternehmer ist es sehr wertvoll, wenn die Anfangszeit finanzielle Unterstützung erfährt.“ Dass seine Entscheidung für Kay-Uwe Schneider die richtige war, davon ist er nach neun Monaten gemeinsamer Zusammenarbeit überzeugt: „Kay-Uwe zeigt starke Begeisterung für seine Aufgaben bei uns. Und er ist lernwillig – das ist das Wichtige.“
An andere Unternehmen appelliert er: „Wir können den Fachkräftemangel nur unter Einbezug der älteren Arbeitnehmer bewältigen. Diese haben viel Geduld, Verständnis, Erfahrung und Wissen. Wir sollten das als Gesellschaft mehr wertschätzen und diesen Menschen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt geben.“
So, wie er Kay-Uwe Schneider eine Chance gegeben hat – und in ihm einen zuverlässigen neuen Mitarbeiter gewinnen konnte. Und Kay-Uwe Schneider selbst zieht aus seiner neuen Tätigkeit zusätzlich auch einen neuen Sinn: „Ich bin persönlich der Meinung, dass meine Generation viel dazu beigetragen hat, dass wir uns nun mit dem Klimawandel konfrontiert sehen. Durch meine Arbeit bei Aukera Energy kann ich jetzt etwas dazu beitragen, diesen Schaden zu begrenzen.“