Es war ein vergleichsweise „kleiner Bahnhof“, mit dem Andrea Nahles an die Ahr reiste, um sich ein Bild von den Folgen der Katastrophe zu machen, die das Leben der Menschen hier vor fast genau einem Jahr nachhaltig aus der Bahn geworfen hat. Wenige Begleiter*innen, kein großes Empfangskomitee, dafür intensive Gespräche, so hat sie es gewollt. Denn offiziell war die ehemalige Bundesarbeitsministerin noch nicht im Amt, sondern „nur“ in der Einarbeitungsphase.
Als künftige Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA) wollte sie sich mit Themen, Orten und Menschen vertraut machen, die für ihre neue Aufgabe eine wichtige Bedeutung haben. Ihre erste Station war Schuld an der Ahr. Denn die Flut und ihre Folgen gehen Andrea Nahles nah. Schließlich ist sie nur rund 30 Kilometer entfernt in der Eifel aufgewachsen und hat auf dem Bauernhof ihrer Familie noch immer ihren Lebensmittelpunkt. Die Menschen hier sind praktisch ihre Nachbarn. Sie kennt sie „von früher“, spricht ihre Sprache, versteht ihre Sorgen und schätzt die Direktheit, mit der sie Wünsche und Kritik vortragen.
Und die Leute an der Ahr „können“ mit Nahles. Mit ihr dürfen sie reden wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, sie hört ihnen zu, versteht ihre Sorgen. Auch nach Jahrzehnten in der Politik ist die 52-Jährige noch immer eine von ihnen. Die neue Frau an der Spitze einer der größten deutschen Behörden ist aber auch Polit-Profi. Eine, die Probleme analysiert, sie anpackt und Ergebnisse sehen will.
Also redete sie an diesem Morgen mit denen, die wissen, wo es wirklich klemmt. Schulds Bürgermeister Helmut Lussi zum Beispiel, der erklärte, wie kompliziert es mitunter sein kann, schnell an die versprochene und notwendige Hilfe zu kommen. Oder Katharina Kläsgen, die den Infopoint neben der Kirche betreut und bestens über die Nöte der Bewohner des einst malerischen Dorfes informiert ist.
Andreas Carnott und sein Sohn Jacob waren aus Altenahr rübergekommen, wo sie ein Hotel und ein Restaurant betreiben – oder eben auch nicht betreiben, denn seit der Flut waren die Türen verschlossen. Die Wiedereröffnung war für Mitte Juli will geplant, genau ein Jahr nach der Flut. Fürs Restaurant schätzen die Gastronomen die Lage gut ein. Aber das Hotel – wer sollte derzeit im Ahrtal Urlaub machen wollen? Trotzdem sind Vater und Sohn sich einig: „Wir müssen uns von der Katastrophe lösen, nach vorn schauen. Und wir müssen es besser machen als es vorher war.“
Dafür, waren sich alle Betroffenen einig, muss vor allem die Infrastruktur schnell wiederhergestellt werden. Vielen im Tal geht vieles zu langsam. Zumindest in einer Hinsicht gab es dank Nahles, der Netzwerkerin, an diesem Morgen einen Hoffnungsschimmer. Ein Vertreter der deutschen Bahn versprach, dass der Betrieb im kompletten Ahrtal bis Ende 2025 wieder laufen soll. „Teile schon früher.“
Ein wichtiges Augenmerk von Andrea Nahles und BA-Landeschefin Heidrun Schulz lag natürlich auf dem Arbeitsmarkt in der gebeutelten Region. „Die Zahlen sind ja erstaunlich gut“, wusste Nahles und erfuhr von Agenturleiter Frank Schmidt und seinem Team nicht völlig überraschend, dass nicht alles, was glänzt, aus Gold ist. „Wir haben an der Ahr zwar trotz Corona und Flut kaum einen Anstieg in der Arbeitslosigkeit, aber wir bemerken auch, dass viele Menschen privat oder beruflich abgewandert sind. Und wir befürchten, dass nicht alle zurückkommen werden.“ Auf einem Arbeitsmarkt, dem es zunehmend an qualifizierten Fachkräften mangele, sei dies keine gute Entwicklung.
Umso erfreuter hörte die neue BA-Chefin von den ungewöhnlichen Wegen, die auch ihre künftigen Mitarbeiter*innen in der Not eingeschlagen haben. So arbeiten benachbarte Jobcenter und Arbeitsagentur nicht nur im Team „Ahrweit in Arbeit“ viel enger zusammen, als es früher üblich und vorgesehen war. Und man ist dichter an den Menschen dran, die Hilfe benötigen. „Wir gehen zu den Leuten, auch morgens vor oder abends nach der Arbeit, wenn das besser passt“, erklärt Tatjana Hell-Zimmermann. „Und wir bleiben dran, wenn jemand glaubt, wir könnten sowieso nichts tun. Meist finden wir dann ziemlich schnell etwas, wo wir doch helfen können.“
Das hörte Andrea Nahles, die Praktikerin, gern. „So muss es sein. Wir müssen helfen wo und wie es notwendig ist.“