„Nie war es leichter, eine Ausbildungsstelle zu bekommen, als heute!“ Für Steven, Lea, Lukas und sechs weitere junge Leute aus dem Lahn-Dill-Kreis klang dieser Satz lange wie blanker Hohn - eine Lehrstelle schien noch vor wenigen Wochen für sie unerreichbar. Was für die meisten Menschen normal ist, wie morgendliches Aufstehen, Frühstücken, einer Aufgabe nachgehen und nach dem Hobby abends bestenfalls erschöpft ins Kissen zu sinken war für die Neun nicht der übliche Alltag. Die jungen Leute suchen nach einer Tagesstruktur und finden Sie bei Anna-Carina Mehling. Die Sozialpädagogin des Bildungswerks der Hessischen Wirtschaft bietet im Auftrag der Arbeitsagentur Limburg-Wetzlar ‚Aktivierungshilfe für Jüngere‘ an, die von den Teilnehmenden tatsächlich als letzte Chance begriffen werden, ihrem Leben wieder Sinn zu geben.
Die Heranwachsenden blicken jeweils auf unterschiedliche Problemlagen zurück, die sie hinter sich lassen wollen: Keinen oder einen mäßigen Schulabschluss, ein beachtlicher ‚Konsum‘ von Alkohol und Drogen, psychische Probleme, drohender Rausschmiss zu Hause, null Bock und nach dem Ausschlafen den Tag einfach laufen lassen. Was allen seit einigen Jahren gemeinsam fehlt, so bekunden sie unisono, sind eine Struktur und eine berufliche Perspektive. „Ich will endlich mein Leben wieder in den Griff bekommen“, sagt einer der Jungs und erntet kollektives Kopfnicken. Die ehemals lethargischen neun ‚Einzelkämpfer‘, die sich im Laufe der Monate tatsächlich zu einer lebhaften Gruppe zusammengefunden haben, sind auf dem besten Wege, ihre selbstgesteckten Ziele zu erreichen. Sie sind stolz auf das bislang Erreichte: Dass sie morgens pünktlich in der Wetzlarer Langgasse zum Kurs erscheinen, dass sie sich nach einem Einstieg mit anfangs vier Stunden pro Tag auf täglich acht Stunden steigern konnten, dass sie offen ihre Probleme ansprechen und angehen, dass sie sich in Praktika beweisen konnten und dass drei von ihnen ihre Ausbildungsstelle schon so gut wie in der Tasche haben. Auch an weiteren Zielen fehlt es jetzt nicht mehr: Die eigene Wohnung, der Führerschein und ein ‚normales Leben‘ sind die meistgenannten Meilensteine, die sie anstreben.
Ernsthaftigkeit und klare Regeln
„Unglaublich geholfen hat mir, dass ich hier Feedback bekomme und auch mal gelobt werde“, offenbart ein Teilnehmer – ein Gefühl, dass er lange nicht mehr erfahren hat. Auch er wird im Sommer eine Ausbildung aufnehmen. Ohne den ‚Weg der kleinen Schritte‘, die Gruppe und die Seminarleiterin wäre dies undenkbar gewesen. „Es ist nie zu spät, sein Leben in die eigene Hand zu nehmen“, legt er nach und tippt zur Bekräftigung ausdrucksvoll mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf den Tisch. Das Bewerbungstraining, die Praktika und die vielen Gespräche haben ihn wieder zurück in ‚geregelte Bahnen‘ gebracht. Eine weitere Teilnehmerin pflichtet ihm bei: „Dass hier alles ernsthaft ist und klare Regeln herrschen sind Dinge, die ich lange vermisst habe, die mich aber weiterbringen“. Eine andere junge Frau, die im Sommer eine Ausbildung in einer Bäckerei beginnt, bringt es für sich auf den Punkt: „So schwer war es eigentlich gar nicht. Vorher fehlte mir einfach nur der Plan, wie man das Ganze angeht. Und man muss es einfach tun.“
Berufsberaterin Kristina Rühl, die seitens der Arbeitsagentur die ‚Aktivierungshilfe‘ betreut, sieht im niedrigschwelligen Angebot ein sehr wirksames Instrument, junge Leute, die aus den verschiedensten Gründen zu scheitern drohen, an das Ausbildungs- und Beschäftigungssystem heranzuführen. Die Projektdauer wird individuell abgestimmt und dauert zwischen sechs und zwölf Monaten. Die Anmeldung erfolgt über die Berufsberatung (Tel. 0800 4 5555 00).