„Trotz Pandemienachwirkungen und Unwägbarkeiten wegen des russischen Angriffskrieges stabilisierte sich der Ausbildungsmarkt auf dem Vorjahresniveau“, fasst Kerstin Kuechler-Kakoschke, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Lüneburg-Uelzen, zusammen. So standen den 3.303 Jugendlichen, die sich auf der Suche nach einer Ausbildung bei den Beratungsfachkräften der Arbeitsagenturen Buchholz, Lüchow, Lüneburg, Uelzen und Winsen meldeten, 3.044 Ausbildungsstellen gegenüber. Auf der Bewerberseite wurde ein geringes Plus von 12 Jugendlichen (0,4 Prozent) und Seite der Ausbildungsangebote ein Minus von 57 Stellen (1,8 Prozent) verbucht. Stand 30. September waren noch 271 junge Frauen und Männer auf der Suche nach einer Ausbildung und für 221 Ausbildungsstellen hatten Unternehmen noch nicht den passenden Nachwuchs gefunden.
Gemeinsam arbeiteten Arbeitsagenturen und Kammern weiter daran, Ausbildungsplatzbewerber und Betriebe zusammenzubringen, denn auch nach dem statistischen Abschluss des Berufsberatungsjahres ist noch ein Ausbildungseinstieg möglich. „Wir sehen jedoch, dass sich die Entwicklung hin zu einem Bewerbermarkt, auf dem Unternehmen um Jugendliche konkurrieren, fortsetzt“, führt Kuechler-Kakoschke aus. Gleichzeitig bauen Unternehmen Ausbildungs- und nicht zuletzt spätere innerbetriebliche Entwicklungsangebote aus. Das eröffnet neue Perspektiven auch und gerade für Jugendliche mit (Fach-) Hochschulabschluss. Im letzten Berufsberatungsjahr lag ihr Anteil an den gemeldeten Ausbildungsplatzsuchenden bei gut einem Viertel. „Die Möglichkeiten im Betrieb und regional quasi vor der Haustür sind für viele Jugendliche, die das Gymnasium oder die Fachoberschulde besuchen, oft ein blinder Fleck, denn das Studium steht im Fokus“, hebt die Ausbildungsexpertin hervor, „Der Weg „Ausbildung, dann Techniker, Meister Fachwirt oder zeitnahes Studium“ kann aber der optimale Kick für das Berufsleben sein“. Sie rät daher, die Beratungsangebote der Berufsberatung in den Schulen und den Arbeitsagenturen zu nutzen und Perspektiven sowie Entwicklungschancen zu erkunden.
Die Ausbildungssituation im Handwerk bleibt angesichts der wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten auch nach mehr als zwei Jahren Coronapandemie herausfordernd. „Der Markt ist heiß umkämpft und gerade kleine Handwerksbetriebe haben es oft schwer, sich im Wettbewerb als Arbeitgeber gegen die Industrie durchzusetzen“ sagt Günter Neumann; Leiter Berufliche Bildung bei der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade. Bei den Lehrverträgen in ihrem Bezirk verzeichnete die Handwerkskammer Ende Oktober 4.658 neue Abschlüsse. In der Region Lüneburg gab es Ende Oktober 1.475 neue Lehrverträge und damit 46 mehr als im Vorjahr. „Das ist insgesamt ein gutes Ergebnis. Lagen die Zahlen im September noch bei minus vier Prozent, so bewegen wir uns jetzt etwas über dem Vorjahresniveau“, freut sich Neumann. „Unsere Betriebe wissen, dass sie qualifizierte Fachkräfte am besten durch die Ausbildung im eigenen Betrieb gewinnen. Deswegen hat die Ausbildung für sie unverändert einen hohen Stellenwert.“ Im Trend lägen klimarelevante Berufe wie Anlagenmechaniker im Sanitär-, Heizungs- und Klimahandwerk und Elektroniker. Auch die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker mit dem Schwerpunkt System- und Hochvolttechnik sei mit Blick auf die E-Mobilität stark im Kommen. Trotz dieser positiven Zwischenbilanz gibt Neumann aber keine Entwarnung, was die Nachwuchssorgen im Handwerk betrifft: „Um später genug Fachkräfte zu haben, müssen wir die Nachwuchsarbeit verstärken. In einigen Branchen wird es immer schwieriger, Auszubildende zu finden", sagt er. Eine systematische Berufsorientierung sei daher an allen Schulformen – insbesondere an Gymnasien - dringend notwendig, damit sich mehr junge Menschen für den beruflichen Ausbildungsweg entschieden. Darüber hinaus setze sich die Handwerkskammer für mehr Wertschätzung für das Handwerk und eine Gleichstellung der beruflichen und akademischen Bildung ein.
Zu Ende Oktober verzeichnet die IHK Lüneburg-Wolfsburg (IHKLW) im gesamten Bezirk 3.592 neue Ausbildungsverträge in IHK-Berufen. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein leichtes Plus von einem Prozent. „So erfreulich die Zahlen auf den ersten Blick sind, die Bewerberlage ist angespannt“, fasst Sönke Feldhusen, Ausbildungsexperte und stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg (IHKLW), zusammen: „Im Durchschnitt konnte nur jeder zweite Ausbildungsbetrieb alle Ausbildungsplätze besetzen. Dem müssen wir entgegensteuern – durch mehr und eine bessere Berufsorientierung von Schülerinnen und Schülern, durch gezielte Information von Eltern und durch eine Verbesserung des Images der Ausbildung."
Mütter und Väter würden bei der Berufswahl ihrer Kinder eine entscheidende Rolle spielen, rieten allerdings oft zu einem Studium, weil sie sich dadurch bessere Karriere- und Verdienstmöglichkeiten für ihre Kinder erhofften. Feldhusen hält dagegen: „Mit allein rund 300 Ausbildungsberufen bieten die Betriebe aus Industrie, Handel, Dienstleistung und Handwerk vielfältige Karriereperspektiven. Schulabgänger können einen Beruf wählen, der zu ihren Wünschen und Talenten passt. Im Unterschied zum Studium sammeln Auszubildende schon während der Lehre praktische Berufserfahrungen. Und nach dem Ausbildungsabschluss können junge Menschen mit einer anschließenden berufsbegleitenden Weiterbildung, ebenfalls einen Abschluss auf Bachelor- oder Masterniveau erreichen.“ Die beruflich qualifizierten Absolventen seien für Unternehmen meist viel wertvollere Fachkräfte – und das zahlt sich auch finanziell aus, betont Feldhusen: „Während viele Akademiker erst mit Mitte 20 anfangen zu arbeiten und dann oftmals noch ihren Studienkredit abbezahlen müssten, verfügen diejenigen, die direkt nach der Schule ins Erwerbsleben eingestiegen sind bereits über einen finanziellen Vorsprung. Mit einer anschließenden Aufstiegsfortbildung ist es in vielen Berufen möglich, Lebenszeiteinkommen zu erzielen, die denen von Akademikern nicht nachstehen.“
In den Landkreisen des Agenturbezirks Lüneburg fällt die IHK-Statistik unterschiedlich aus. Im Landkreis Harburg ergibt das Zahlenwerk mit 500 neuen Ausbildungsverträge ein Minus von 5,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Landkreis Lüneburg wurden 539 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen – 5,4 Prozent weniger als 2021. Ein Plus von 4,3 Prozent ergibt sich für den Landkreis Uelzen mit 290 neuen Ausbildungsverträgen. In Lüchow-Dannenberg sind es mit 111 Neuverträgen 3,4 Prozent weniger als im Vorjahr.