Arbeitsmarkt in Mittelholstein 2022:
Robust trotz Krisen
„Die Auswirkungen der Corona-Pandemie ebbten langsam ab, da erreichte uns bereits zu Beginn des letzten Jahres die Nachricht vom Beginn des Angriffskriegs Russlands in der Ukraine. In der Folge belasten Energie-, Material- und Lieferengpässe sowie Inflation unsere Wirtschaft und das Leben der Menschen. Trotzdem blieb der Arbeitsmarkt in Mittelholstein stabil: Im Jahr 2022 waren weniger Menschen arbeitslos als im Jahr zuvor. Corona-Lockerungen und Nachholeffekte beim Konsum sorgten für Entlastungen. In der zweiten Jahreshälfte stieg zwar die Zahl der Arbeitslosen an, allerdings ist dies überwiegend bedingt durch geflüchtete Menschen aus der Ukraine, die seit dem 1.6.2022 uneingeschränkt Zugang zum Arbeitsmarkt und Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben,“ so Michaela Bagger, Leiterin der Agentur für Arbeit Neumünster und macht deutlich: „Der Arbeits- und Fachkräftemangel ist mittlerweile branchenübergreifend zu spüren. Trotz unsicherer Wirtschaftslage halten
Unternehmen daher an ihren Beschäftigten fest.“
Arbeitslosigkeit gesunken
Die Zahl der Arbeitslosen verringerte sich im Vergleich zum Vorjahr im Jahresdurchschnitt 2022 um 8,8 Prozent auf 9.064. Damit ist annähernd das Niveau der Zeit vor Corona erreicht – 2019 waren es im Jahresdurchschnitt 8.983 Betroffene. Die Besserung der pandemischen Lage ab Frühjahr 2021 führte zu einer Erholung am Arbeitsmarkt, die im Jahresverlauf stabil blieb.
Ein differenziertes Bild zeigt sich allerdings in den beiden Rechtskreisen: Die Arbeitslosigkeit im Rechtskreis SGB II (Arbeitslosengeld II) liegt über dem Niveau des SGB III (Arbeitslosengeld I). Saisonale Schwankungen und Konjunkturabhängigkeit wirken sich im Rechtskreis SGB III stärker aus. Die Auswirkungen der pandemiebedingten Einschränkungen im Frühjahr 2020 als auch deren Lockerungen im Frühjahr 2021 haben sich hier deutlicher abgebildet. Im Jahresdurchschnitt 2022 liegt die Arbeitslosigkeit im SGB III bei 3.145 Personen (minus 677 oder 17,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr), im SGB II bei 5.919 Personen (minus 200 oder 3,3 Prozent).
Insgesamt konnten vom Aufwärtstrend besonders die jüngeren Menschen unter 25 Jahren profitieren (minus 11,2 Prozent). Aber auch ältere Menschen ab 55 Jahren waren seltener von Arbeitslosigkeit betroffen (minus 5,3 Prozent).
Die Langzeitarbeitslosigkeit ist im Jahresdurchschnitt 2022 ebenfalls zurückgegangen (minus 11,9 Prozent), wobei dies in deutlich größerem Umfang den Rechtskreis SGB III (minus 30,8 Prozent) betrifft.
Der Bestand an Arbeitslosen ist abhängig von der Zahl der Zugänge in und der Abgänge aus Arbeitslosigkeit. Die Entwicklung der Erwerbstätigkeit und der Umfang des Einsatzes arbeitsmarktpolitischer Instrumente beeinflussen sie maßgeblich. Abgänge in Erwerbstätigkeit erfolgten in 2022 vorwiegend in die Bereiche Handel, wirtschaftliche Dienstleistungen*, Gesundheit und Soziales und in die Arbeitnehmerüberlassung. Bewegungen in bzw. aus Arbeitslosigkeit entstehen aber beispielsweise auch durch eine kurzfristige Arbeitsunfähigkeit, die Teilnahme an Integrationskursen, Ausbildung, einer Qualifizierungsmaßnahme
oder Ortsabwesenheit. Das absolute Niveau der Zu- und auch Abgänge in bzw. aus Arbeitslosigkeit hatte sich in Folge der Auswirkungen der Pandemie deutlich
reduziert; d.h., dass die Dynamik am Arbeitsmarkt geringer geworden ist.
In 2022 bleibt die Zahl der Personen, die vor Beginn der Arbeitslosigkeit einer Erwerbstätigkeit am ersten Arbeitsmarkt nachgegangen sind, im Vergleich zum Vorjahr weiterhin niedrig (8.792 / minus 0,1 Prozent). Die Abgänge aus Arbeitslosigkeit in Erwerbstätigkeit sind zurückgegangen (minus 7.486 oder 11,9 Prozent). Hier treffen zwei Effekte zusammen: Zum einen haben Betriebe aufgrund des bestehenden Fachkräftemangels vermehrt an ihrem Personal festgehalten, zum anderen gibt es aufgrund der bestehenden konjunkturellen Unsicherheiten weniger Neueinstellungen.
Auswirkungen der Fluchtmigration von Personen aus der Ukraine
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat zu einer starken Fluchtbewegung, insbesondere von Frauen mit Kindern, nach Europa geführt. Auch in Deutschland haben Ukrainerinnen und Ukrainer Zuflucht gefunden. Mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Aufenthaltsgesetz haben geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer Zugang zum Arbeitsmarkt; und seit 1. Juni 2022 können sie Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende SGB II erhalten.
Mit dem Leistungsbezug nach dem SGB II sind die Jobcenter auch für die Arbeitsvermittlung zuständig. Allerdings sind nicht alle Geflüchteten arbeitslos oder arbeitsuchend. Personen aus der Ukraine sind beispielsweise nicht arbeitslos, wenn sie an einem Integrationskurs teilnehmen oder die Betreuung von Kindern der Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt entgegensteht.
Im Agenturbezirk Neumünster wurden zum Stichtag Dezember 2022 1.570 Personen aus der Ukraine im Rechtskreis SGB II betreut. 572 von diesen waren arbeitslos gemeldet.
Zahl der Menschen in Kurzarbeit rückläufig
Durch die Zahlung von konjunkturell bedingtem Kurzarbeitergeld (§ 96 SGB III) sollen bei vorübergehend schwierigen Wirtschaftsbedingungen den Betrieben ihr eingearbeitetes Personal und diesem ihre Arbeitsplätze erhalten werden, um so Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Infolge der Corona-Krise wurde im April 2020 bei den Anzeigen ein Höchstwert erreicht: Betriebe in Mittelholstein zeigten für 24.129 Personen Kurzarbeit an. Die höchste Zahl an Leistungsbeziehenden lag im gleichen Monat bei 16.342 Kurzarbeiter*innen. Bis zum Frühjahr 2021 folgte die Entwicklung der Kurzarbeit im Wesentlichen unmittelbar den erfolgten Einschränkungen und Lockerungen für die Wirtschaft und das öffentliche Leben. Ab Mitte 2021 wurde Kurzarbeit zunehmend auch in Anspruch genommen, weil Firmen von Lieferengpässen von Rohstoffen und Vorprodukten betroffen waren. Ab Frühjahr 2022 sorgendie wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges zusätzlich dafür, dass Firmen auf Kurzarbeit zurückgreifen.
Im Juni 2022 haben 0,3 Prozent der Beschäftigten in Mittelholstein konjunkturelles Kurzarbeitergeld in Anspruch genommen. Der Höchstwert lag während der Pandemie mit 13,5 Prozent deutlich darüber.
Arbeitskräftenachfrage schwächte sich ab
Ab dem Frühjahr 2021 zeigte sich eine merkliche Belebung bei Stellenzugang und –bestand. Mit den Lockerungen der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wuchs der Bedarf an Personal (insbesondere in den Bereichen Handel und Gastronomie). Nach dem Aufwuchs des Stellenbestands bis zum Sommer 2021 schwächte sich der Zuwachs ab der zweiten Jahreshälfte 2022 im Vergleich zum Vorjahr ab. Die Gründe hierfür liegen in der zunehmend angespannten wirtschaftlichen Lage. Ukrainekrieg, Material- und Lieferengpässe, die steigende Inflation und hohe Energiekosten beeinflussen die Nachfrage nach Personal negativ.
Für Mittelholstein gab es im Jahresdurchschnitt 2022 einen Zugang an gemeldeten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsstellen von 7.271 (209 weniger als im Vorjahr - minus 2,8 Prozent, aber 805 mehr als in 2020 - plus 12,4 Prozent). Den größten Anteil hatte die Arbeitnehmerüberlassung (19,7 Prozent) gefolgt von dem Bereich Erbringung wirtschaftlicher Dienstleistungen* (17,0 Prozent). An dritter Stelle stand die Öffentliche Verwaltung (12,2 Prozent). Fast gleich auf folgt der Bereich Handel und Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen (12,1 Prozent).
Für die Stadt Neumünster zeigte sich ein leichter Anstieg zum Vorjahr um 27 auf 2.455 gemeldete Stellen (plus 1,1 Prozent). Den höchsten Anteil hatten die Arbeitnehmerüberlassung (27,7 Prozent), gefolgt von dem Bereich Erbringung wirtschaftlicher Dienstleistungen* (17,1 Prozent). Handel und die Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen standen an dritter Stelle (16,3 Prozent), die Öffentliche Verwaltung hatte einen Anteil von 9,4 Prozent.
Im Kreis Rendsburg-Eckernförde zeigte sich ein Rückgang zum Vorjahr um 236 oder 4,7 Prozent auf 4.816 gemeldete Stellen. Den höchsten Anteil verzeichnete der Bereich Erbringung wirtschaftlicher Dienstleistungen* (17,0 Prozent), gefolgt von der Arbeitnehmerüberlassung (15,6 Prozent). Der Öffentliche Dienst hatte einen Anteil von 13,6 Prozent. Mit einem Anteil von 9,9 Prozent folgte der Bereich Handel und Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen.
Beschäftigte
Daten zur Beschäftigung liegen aktuell zum Stichtag 30.06.2022 vor. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Bezirk der Agentur für Arbeit Neumünster ist im Vergleich zum Vorjahresquartal (Stichtag 30.06.2021) um 2,3 Prozent auf 126.573 gestiegen. Dies betrifft ausnahmslos alle Wirtschaftsbereiche. In Schleswig-Holstein lag das Wachstum bei 2,0 Prozent.
Den größten Anteil an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Mittelholstein hat das Gesundheits- und Sozialwesen (17,2 Prozent), gefolgt vom Handel und der Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen (16,9 Prozent), der Erbringung wirtschaftlicher Dienstleistungen* (13,2 Prozent) und dem verarbeitenden Gewerbe (11,3 Prozent). Der Anteil der Zeitarbeit liegt bei 0,7 Prozent.
Verringert hat sich die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten um 79 oder 0,4 Prozent auf 19.714.
* Darunter finden sich z. B. die Bereiche Vermietung von beweglichen Sachen, Vermittlung- und Überlassung von Arbeitskräften, Reisebüros und -veranstalter, Wach- und Sicherheitsdienste, Gebäudebetreuung, Sekretariats- und Schreibdienste.
Ausblick
„Wie stark und mit welchen Einflüssen auf den Arbeitsmarkt sich die derzeitige geopolitische Entwicklung auswirken wird, lässt sich nicht sicher voraussagen. Der Arbeitsmarkt hat sich zwischenzeitlich immer mehr zu einem Markt für Arbeitsuchende entwickelt. Gesucht werden sowohl Arbeits- als auch Fachkräfte. Die demographische Entwicklung wird die Situation zusätzlich verschärfen. Aus dieser Gesamtsituation leiten sich wichtige Handlungsfelder ab,“ erläutert Bagger: „Das Gewinnen von Nachwuchs in der betrieblichen Berufsausbildung auch durch besondere Angebote wie beispielsweise eine Ausbildung in Teilzeit oder als duales
Studium ist das eine. Darüber hinaus nimmt die berufliche Qualifizierung einen immer bedeutenderen Aspekt ein. Das gilt nicht nur für arbeitslose Menschen, sondern bietet auch für Beschäftigte in Betrieben ein hohes Potential zur Fachkräftesicherung. Daneben gilt es, (vorübergehend) ausgestiegene Erwerbspersonen zu (re-)aktivieren; seien es Berufsrückkehrende, ältere Arbeitnehmer/innen, Menschen mit Behinderung oder An- und Ungelernte.
Hier denke ich auch an die sogenannte Stille Reserve und an die Möglichkeiten, die die Erwerbsmigration bietet. Der etwaige Mehraufwand für eine Einarbeitung oder Qualifizierung lohnt sich auf mittlere bis lange Sicht unbedingt.“