Im Landkreis Altenkirchen wohnen insgesamt über 2.000 ukrainische Geflüchtete, davon sind rund 1.000 erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die vom Jobcenter betreut werden. Erwerbsfähig bedeutet, grundsätzlich sofort in der Lage zu sein, eine Arbeit aufzunehmen. Für Geflüchtete gibt es jedoch neben der Stellensuche weitere große Herausforderungen, eine der größten ist der Spracherwerb. Hier kommt der Job-Turbo ins Spiel. Gestartet wurde die Job-Turbo-Initiative vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BAMS) im Oktober 2023. Das Ziel ist, Menschen mit Fluchthintergrund schneller in Arbeit zu vermitteln.
Die Geflüchteten, die den Integrationskurs abgeschlossen haben, sollen dem Arbeitsmarkt möglichst direkt zur Verfügung stehen. Allerdings verfügen die wenigsten zu diesem Zeitpunkt bereits über ein fortgeschrittenes Deutsch-Niveau. Das sorgt bei potenziellen Arbeitgebern möglicherweise erst einmal für Skepsis. Die Berufstätigkeit und damit die Praxis in der Sprache und soziale Kontakte sollen die Integration nachhaltig fördern und den Spracherwerb erleichtern.
Mit inzwischen fast fließenden Deutschkenntnissen ist die 25-jährige Olha B. eher die Ausnahme. Außerdem hat sie ein abgeschlossenes Psychologie-Studium vorzuweisen. Ihre Heimat Odessa musste sie im Juni 2022 aufgrund des russischen Angriffskriegs verlassen und floh nach Deutschland. Gemeinsam mit ihrer Schwester lebt sie in Hamm/Sieg, die Eltern sind in der Ukraine geblieben. „In der Mitte von Schwierigkeiten gibt es auch Möglichkeiten“, so Olha. Und so fand sie ihre Stelle als Betreuerin der Kinder- und Jugendhilfe Westerwald GmbH in Neitersen bei Social Media – die erste Bewerbung war direkt ein Volltreffer.
Am Anfang der Beschäftigung befand sie sich noch mitten im Sprachkurs und startete erst in Teilzeit, inzwischen ist sie in Vollzeit beschäftigt. Das Jobcenter Landkreis Altenkirchen förderte die Einstellung mit einem Eingliederungszuschuss.
In der Einrichtung in Neitersen leben acht Kinder, die rundum betreut werden. Olha unterstützt sie bei allen Belangen, die anfallen. „Das Team und die Kinder sind sehr nett, ich wurde direkt gut aufgenommen“, sagt sie. Auch die Geschäftsführerin Stefanie Mens ist glücklich über den Zuwachs im Team: „Unsere neue Mitarbeiterin ist sehr motiviert, bringt viele eigene Ideen mit und ist authentisch. Wir unterstützen sie natürlich, wo wir können. Und das Wichtigste ist: die Kinder mögen sie sehr.“
„Viele Menschen, die aus der Ukraine zu uns geflüchtet sind, verfügen über eine fundierte, häufig auch akademische Ausbildung“, so Heiner Kölzer, Geschäftsführer des Jobcenters Landkreis Altenkirchen. „Auch wenn die Sprachkenntnisse noch nicht perfekt sind, ist eine Arbeitsaufnahme möglich und durchaus sinnvoll, denn gerade in der betrieblichen Praxis lässt sich die Sprache vertiefen.“
Diese Meinung teilt auch Sabine Hottgenroth-Voigt, Geschäftsführerin der Autohaus Hottgenroth GmbH. In der Werkstatt des Autohauses ist Artur D. inzwischen gut angekommen, obwohl er die deutsche Sprache noch kaum spricht. Seit Ende November des vergangenen Jahres ist er fester Bestandteil des Teams. „Er ist ein wirklich angenehmer Kollege, der selbst sieht, wo eine dritte Hand gebraucht wird, zuverlässig arbeitet, freundlich und vor allen Dingen fachlich wirklich gut ist“, so Sabine Hottgenroth-Voigt. Die mangelnden Sprachkenntnisse werden derzeit noch mit einer Übersetzungs-App auf dem Smartphone überbrückt.
„Die Arbeit macht mir wirklich Spaß, und ich bin sehr dankbar für diese Chance“, sagt Artur D., der wie Olha B. aus Odessa in den Landkreis Altenkirchen kam. Er arbeitet vorwiegend im Bereich der Karosserieinstandsetzungen. Der Türöffner war ein Praktikum in einer Autowerkstatt, dessen Besitzer ihn an das Autohaus Hottgenroth empfahl. „Ich habe 30 Jahre Berufserfahrung und möchte arbeiten“, so der 58-Jährige. Auch er hat einen Integrationskurs besucht, doch der Spracherwerb fällt ihm schwer. Die Chefin kann sich jedoch durchaus eine langfristige Beschäftigung für ihn vorstellen. Durch den täglichen Kontakt und Austausch mit den Kollegen lernt Artur D. die Sprache langsam, aber stetig besser. Dennoch ist sie dankbar für die Förderung durch das Jobcenter mit dem Eingliederungszuschuss, der gewährt wurde. „Die Einarbeitung von einem Mitarbeiter, der noch nicht über ausreichend Deutschkenntnisse verfügt, bindet natürlich auch größere Personalressourcen“, sagt Sabine Hottgenroth-Voigt.
„Für viele geflüchtete Personen ist die Möglichkeit, auf eigenen Beinen zu stehen ein wichtiger Aspekt, um bei uns anzukommen. Für die Arbeitgeber ist dies auf der anderen Seite die Möglichkeit, sich Fachkräfte zu sichern, die ihnen fehlen“, sagt Gunder Jurdzinski vom Arbeitgeberservice der Arbeitsagentur Neuwied. Er und seine Kollegen beraten Arbeitgeber unter anderem auch dazu, welche Qualifizierungs- und Fördermittel zur Verfügung stehen, wenn sie sich für die Einstellung von Geflüchteten interessieren. Denn Artur und Olha können sich beide durchaus vorstellen, dauerhaft in Deutschland zu bleiben.
Fotograf: Amelie Enderle (Arbeitsagentur)