Die Schule hatte er gerade beendet. Er studierte Mathematik; die Lebensphase hatte begonnen, in der berufliche Grundlagen gelegt werden. Doch auf einmal herrschte Krieg, vernichtete Leben und ließ Träume platzen. Ein Leben in der Heimat auf-zubauen, daran war für ihn nicht mehr zu denken.
Mit der Flucht ließ Tarek Naddaf alles hinter sich. Heute sitzt er in einem Konferenzraum des Unternehmens Gebrüder Becker Energie- und Versorgungstechnik in Höxter und erzählt, wie er in den Jahren danach seinen Weg in Deutschland gegangen ist.
In der ersten Zeit stellte er Briefe und Pakete zu und arbeitete im Elektrofachhandel. Seit Naddaf 2016 in Stralsund den Deutschsprachkurs absolviert hatte, lebte er in Hannover. „Ich habe Programmiererfahrung gesammelt und in einer Werkstatt Hardwaregeräte repariert“, erzählt der junge Mann aus Syrien.
Während er so seinen Lebensunterhalt selbständig bestritt, begann er Informationsmanagement zu studieren. Doch wegen noch bestehender sprachlicher Hürden wurde bald klar, dass ein Studium für ihn berufsbegleitend schwer zu absolvieren war. So begann der heute 32-Jährige, sich über Ausbildungsmöglichkeiten und passende Betriebe zu informieren.
Vor allem war ihm wichtig: „Meine naturwissenschaftlichen Fähigkeiten in Mathematik und Physik sollten für die berufliche Richtung ausschlaggebend sein. Mich interessieren elektrische Systeme und Anlagen; daher bin ich auf den Ausbildungsberuf des Elektronikers für Automatisierungstechnik aufmerksam geworden“, erzählt Naddaf. Um diesen zu ergreifen, war er auch bereit umzuziehen. So kam er auf das Unternehmen Gebrüder Becker: Über die Jobsuche, das Online-Stellenportal der Bundesagentur für Arbeit, hatte er ein Ausbildungsstelleninserat des inhabergeführten Unternehmens mit 148 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gefunden.
Er bewarb sich und das Vorstellungsgespräch verlief gut. „Wir vereinbarten ein Praktikum“, erzählt Naddaf; so konnte das Unternehmen ihn genauer kennenlernen. Mit seinen Leistungen konnte er Mark Becker, einen der beiden Geschäftsführer des Unternehmens, voll überzeugen. „Wir haben einen durchweg positiven Eindruck von Herrn Naddaf gewonnen“, erzählt Becker: „Es wurde auch deutlich, dass eine betriebliche Umschulung für ihn aufgrund seines Vorwissens aus dem Studium geeigneter als eine Ausbildung wäre. Das haben wir zum Ende des Praktikums mit Herrn Naddaf besprochen und zu einer Förderung der Umschulung mit der Agentur für Arbeit Höxter Kontakt aufgenommen“.
Eine betriebliche Umschulung im Rahmen einer Beschäftigung kann für Erwachsene gegenüber einer gewöhnlichen Ausbildung sehr attraktiv sein. „Das ist vor allem dann der Fall, wenn bereits relevante Qualifikationen erworben und Erfahrungen während des Arbeitsverhältnisses gesammelt werden konnten“, sagt Ina Mischewski, Arbeitsvermittlerin der Agentur für Arbeit Höxter.
In einer betrieblichen Umschulung ist die Dauer auf zwei Drittel der gewöhnlichen Ausbildungszeit verkürzt. Es vergehen damit bis zum Abschluss zum Elektroniker Automatisierungstechnik nur 28 Monate statt dreieinhalb Jahre. Der Umschüler erhält zudem den höheren Lohn eines Helfers statt einer Ausbildungsvergütung. Die Agentur für Arbeit erstattet einen Großteil des Lohns. Darüber hinaus können zusätzliche Kosten wie zum Beispiel Fahrten zur Berufsschule, Aufwendungen für die Unterkunft bei überbetrieblichen Lehrgängen während der Umschulung und Weiteres übernommen werden. „Herrn Naddaf konnten wir mit einem berufsbezogenen Sprachkurs unterstützen. Eine fachliche Förderung begleitend zur Umschulung ist ebenfalls möglich, war bei Herrn Naddaf aber nicht nötig“, sagt Arbeitsvermittlerin Mischewski.
Als Tarek Naddaf in Hannover Bewerbungen schrieb, schien ihm die Situation manchmal aussichtslos, erzählt er rückblickend. „Manchmal braucht es die eine Chance“, sagt der junge Mann. Im Unternehmen Gebrüder Becker hat er diese bekommen: „Die Umschulung verlief für Herrn Naddaf erfolgreich – dabei hat er auch für unser Unternehmen einen relevanten Beitrag geleistet. Er zeigte durchweg großes Engagement und tiefes elektrotechnisches Verständnis“, betont Mark Becker. Heute ist Naddaf gelernte Fachkraft. Der Umschulungsbetrieb hat ihn als qualifizierte Fachkraft übernommen.
„Mit bestehenden Förderangeboten der Agentur für Arbeit sollte eine Integration in den Arbeitsmarkt bei allen Menschen gelingen. Auch wenn Menschen beispielsweise aufgrund eines Flucht- oder Migrationshintergrunds ihre Sprachfähigkeiten verbessern müssen, steht dem damit faktisch nichts entgegen“, sagt Arbeitsvermittlerin Mischewski. Sicher sei es wichtig, dass die Bereitschaft im Betrieb besteht, Menschen mit Migrationshintergrund gezielt zu fördern und in verschiedenen Situationen zu unterstützen. „Sämtliche Kollegen bei uns haben in der Umschulung die Geduld gezeigt, Arbeitsschritte in einfacher Sprache zu erklären. Das ist ganz sicher auch essentiell dafür gewesen, dass Herr Naddaf bei uns schnell große Fortschritte erzielt hat“, sagt Benjamin Troschinski, Leiter der Abteilung, in der Tarek Naddaf in der Umschulung gearbeitet hat. Mark Becker selbst hat ihm für den Umzug über seinen Vater eine freigewordene Wohnung vermitteln können.
So hat Tarek Naddaf während seiner Unternehmenszugehörigkeit bereits an komplexen Projekten mitwirken können. Er war mit dabei, als Gebrüder Becker im neu-gebauten Bürogebäude „Anna“ in Hannover auf 5.100 Quadratmetern Sanitär- und Klimatechnik installierte. „Bei Einstellungen ist für uns immer das Potential entscheidend, das wir in den Menschen sehen. Die Leistungsbereitschaft, das Interesse an Technik und die Zuverlässigkeit und das Engagement sind für uns sehr wichtig“, sagt Geschäftsführer Mark Becker.
Für eine Beratung etwa zu betrieblichen Umschulungen können Arbeitgeber den Arbeitgeber-Service der Agentur für Arbeit Höxter per Telefon unter 0800 4 5555 20 kontaktieren.