NRW-Arbeitsmarkt 2024 - Partner ziehen gemeinsame Bilanz Wirtschaftliche Krise, Transformation und Fachkräftemangel - Arbeitsmarkt steht vor komplexen Herausforderungen

In Nordrhein-Westfalen hat die anhaltende wirtschaftliche Krise 2024 auch den Arbeitsmarkt erfasst. Obwohl mehr Menschen einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgingen, stieg auch die Arbeitslosigkeit. Sorgen bereitet das verarbeitende Gewerbe. Hier sank die Beschäftigung deutlich, gleichzeitig kündigten zuletzt landesweit Unternehmen den Abbau von Personal an. Hinzu kommt, dass viele Unternehmen die digitale und ökologische Transformation erfolgreich angehen und gleichzeitig wettbewerbsfähig bleiben müssen, um international den Anschluss zu halten. Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik stehen damit vor komplexen Herausforderungen. Die Arbeitsmarktpartner sind sich einig: Obwohl es unter den aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht leicht wird, muss weiterhin zukunftsorientiert in die Fachkräftesicherung investiert werden. Wichtige Themen sind dabei Weiterbildung, die Potentiale arbeitsloser Menschen sowie die Ausbildung des Nachwuchses.

05.12.2024 | Presseinfo Nr. 30

In Nordrhein-Westfalen ist die Arbeitslosigkeit im Jahresdurchschnitt 2024 auf 746.282 arbeitslos gemeldete Menschen gestiegen. Das waren im Vergleich zum Vorjahr durchschnittlich 36.108 Personen oder 5,1 Prozent mehr. Der Arbeitsmarkt entwickelte sich dabei zweigeteilt. Fast 80 Prozent der aktuell offenen Stellen richten sich an Menschen mit einer beruflichen oder höheren Ausbildung, während annähernd 60 Prozent der arbeitslos gemeldeten Menschen nicht über ausreichende Qualifikationen verfügen. Allerdings trübten sich die Aussichten für Fachkräfte im Laufe des Jahres ebenfalls leicht ein. Grund ist die andauernde Zurückhaltung von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzustellen.  Insgesamt lag das aktuelle Stellenangebot im November um 6,8 Prozent oder annähernd 10.000 freien Stellen unter dem Vorjahr.
Einen Rekordwert gab es 2024 bei der Zahl der in NRW sozialversicherungspflichtig arbeitenden Menschen. Im September gab es 7.419.800 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, so viele wie noch nie. Allerdings machte sich auch hier die wirtschaftliche Schwäche bemerkbar. Die Beschäftigung wuchs nicht mehr in allen Branchen, einige Bereiche verzeichneten deutliche Rückgänge. Im verarbeitenden Gewerbe, sank sie im zurückliegenden Jahr insgesamt sogar um 19.115 Personen auf insgesamt 1.304.833 Beschäftigte.
Die Integration geflüchteter Menschen kam 2024 voran. Im September gingen rund 195.500 geflüchtete Menschen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in NRW nach. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine haben in NRW 77.000 Menschen aus der Ukraine oder einem anderen Asylherkunftsland eine Arbeit aufnehmen können. Eine Steigerung von 65,0 Prozent, die aufgrund des engen Schulterschlusses aller Partnerinnen und Partner am Arbeitsmarkt und der Landesregierung möglich wurde. Auch hier sehen die Arbeitsmarktpartner noch Luft nach oben.
Roland Schüßler, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit:
„Die Lage am NRW Arbeitsmarkt ist ernst. Unternehmen suchen schon im zweiten Jahr nacheinander deutlich weniger Arbeitskräfte als in wirtschaftlich starken Zeiten. Wer arbeitslos wird, hat es aktuell schwer, wieder einen neuen Job zu finden. Auch die weiteren Nachrichten, dass in wirtschaftlichen Leitbranchen Stellen in großem Umfang abgebaut werden sollen, sind sehr beunruhigend. Mir ist es in dieser Situation zunächst wichtig zu betonen, dass die Agenturen für Arbeit allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie auch für Unternehmen, die nach Lösungen suchen, verlässlich zur Seite stehen.
Zweitens ist es mir wichtig zu betonen, dass es auch weiterhin viele Chancen am Arbeitsmarkt gibt. Trotz der schwachen wirtschaftlichen Dynamik und schleppenden Auftragseingängen fehlen in allen Branchen, auch im verarbeitenden Gewerbe weiter Fachkräfte. Fachkräfte werden gesucht, auch weil es nur mit qualifiziertem Personal der Wirtschaft gelingen kann, die anstehenden Aufgaben der Digitalisierung und des Strukturwandels zu bewältigen. Beides, konjunkturelle Schwäche und notwendige Transformation in der Wirtschaft setzen derzeit nicht nur den Arbeitsmarkt unter Druck, sie stellen auch die Arbeitsmarktpolitik auf den Prüfstand.
Gerade in einer herausfordernden Zeit ist die enge und gut abgestimmte Zusammenarbeit aller Partner am Arbeitsmarkt wichtig. Nur so können wir erfolgreiche Lösungen finden, damit Arbeitslosigkeit im besten Fall erst gar nicht entsteht. Alle notwendigen Förderungen von Qualifizierung und Weiterbildung werden, für jede Lebenslage passgenau und individuell ermöglicht.
Die Investition in die Potentiale der Menschen lohnt sich auch für die Wirtschaft, die langfristig weiter Fachkräfte braucht. Chancen sehen wir auch bei ungenutzten Potentialen, sei es noch häufiger Beschäftigte am Arbeitsplatz weiterzuentwickeln, sei es die Förderung Menschen mit Behinderung oder von Frauen, die in den Arbeitsmarkt einsteigen wollen, sowie die Unterstützung geflüchteter Menschen, die sich über einen qualifizierten Arbeitsplatz integrieren möchten. Damit die Wirtschaft die passende Unterstützung vom Arbeitsmarkt erhält, kommt es auf jede Einzelne und jeden Einzelnen an. Dazu nutzen wir auch neue und innovative Ansätze, um frühzeitig die Entstehung von Arbeitslosigkeit und weiteren Fachkräfteengpässen zu verhindern.“

Anja Weber, Vorsitzende Deutscher Gewerkschaftsbund NRW:
„Wir stehen in Nordrhein-Westfalen vor großen Herausforderungen. Derzeit vergeht kaum ein Tag, an dem nicht von Unternehmensschließungen, Standortverlagerungen und Arbeitsplatzabbau berichtet wird. Das betrifft besonders unsere Industrie. Politik muss entschlossen handeln und bessere Rahmenbedingungen schaffen, damit Nordrhein-Westfalen Industriestandort bleibt. Das bedeutet mehr öffentliche Investitionen in Infrastruktur ebenso wie bezahlbare Strompreise. Zudem brauchen wir eine Arbeitsmarktpolitik, die dieser Situation gerecht wird. Die Landesregierung läuft derzeit Gefahr, sich in Überschriften und Absichtserklärungen zu verlieren. Statt gut klingender Initiativen, die ins Leere laufen, müssen echte Perspektiven für Menschen aller Qualifikationsstufen geschaffen werden, die ihren Arbeitsplatz verlieren.

Was in dieser Situation nicht hilft, sondern brandgefährlich ist, sind Einsparungen im sozialen Bereich. Gerade, wenn die Angst vor Arbeitslosigkeit steigt, müssen sich die Bürger*innen auf einen funktionierenden Sozialstaat verlassen können. Das gilt auch für Bürgergeldempfänger*innen. Wir dürfen nicht übersehen: Jede*r fünfte Bürgergeldempfänger*in arbeitet und muss trotzdem aufstocken, weil die Miete zu hoch und der Lohn zu niedrig ist. Andere haben keine Chance auf eine auskömmliche Arbeit, weil es an Kinderbetreuung fehlt oder Unternehmen zu unflexibel sind. Hier müssen wir ansetzen. Zudem muss mehr in die Arbeitsmarktintegration von Langzeitarbeitslosen investiert werden. Das lohnt sich: Mit der richtigen Unterstützung schaffen Langzeitarbeitslose den Sprung in ein selbstbestimmtes Leben, Unternehmen gewinnen neue Arbeits- und Fachkräfte und der Staat spart mittel- und langfristig bei den Bürgergeldzahlungen.“

Arndt G. Kirchhoff, Präsident der Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen e.V. (unternehmer nrw):
„Der Arbeitsmarkt hat lange der schlechten wirtschaftlichen Lage getrotzt. Jetzt zeigt sich aber immer mehr, dass die Krise auch auf dem Arbeitsmarkt ankommt. Es wäre auch eine Illusion zu glauben, dass etwa ein Rückgang der nordrhein-westfälischen Industrieproduktion von rund einem Fünftel gegenüber 2018 spurenlos bleiben könnte. Wir brauchen eine wirtschaftspolitische Trendwende, damit Arbeit, Wohlstand, soziale Sicherheit und gesellschaftlicher Zusammenhalt in unserem Land weiterhin Bestand haben!
Für alle politischen Ebenen gilt: Eine starke Wirtschaftspolitik für mehr Wettbewerbsfähigkeit ist auch die beste Politik für Arbeit und Beschäftigung. Mit Blick auf die vorgezogene Bundestagswahl sind meine Botschaften daher klar: Vorrang für Wirtschaft und Arbeit! Alles tun, was Wirtschaft stärkt, alles lassen, was sie schwächt! Deregulieren statt immer neuer Bürokratie! Der Handlungsbedarf ist groß: Von der Energie über Infrastruktur und Transformation bis hin zu Arbeit und Soziales. So müssen mit echten Strukturreformen am Arbeitsmarkt und in den Sozialversicherungen die Weichen für Arbeitsplätze gestellt werden.
Das heißt: Die Beitragssätze in der Sozialversicherung wieder auf 40 % begrenzen! Denn die zu hohen Lohnzusatzkosten verteuern die im internationalen Vergleich ohnehin schon hohen Arbeitskosten und sind so eine Belastung für den Arbeitsmarkt. Und: In der Grundsicherung Fehlanreize beseitigen und das Prinzip "Fördern und Fordern" stärken! Denn es ist ganz einfach und im Übrigen auch sozial: Arbeiten muss sich mehr lohnen als nicht zu arbeiten.“

Weitere Informationen zum Arbeitsmarkt in NRW 2024 finden Sie in den interaktiven Statistiken der Bundesagentur für Arbeit: Interaktive Statistiken