Personalmangel könnte sich deutlich verschärfen

IAB Niedersachsen-Bremen untersucht Beschäftigungssituation in den Berufen der Kinderbetreuung und -erziehung

28.08.2024 | Presseinfo Nr. 22

Die gute Nachricht vorneweg: Die Branche wächst. Um 52 % ist die Beschäftigung in der Kinderbetreuung seit 2013 gestiegen. Die Branche ist vergleichsweise jung. Ca. 40 % der Erzieherinnen und Erzieher sind unter 35 Jahre alt. Gleichzeitig ist eine deutliche prozentuale Zunahme der 50- bis 65-Jährigen in den letzten 10 Jahren gelungen. Während die Vollzeitbeschäftigung (im Kernbereich s.u.) mit einem Plus von knapp 45 % prozentual am stärksten zugelegt hat, fällt der Zuwachs in der Teilzeitbeschäftigung mit rund 6.250 Beschäftigten absolut gesehen am höchsten aus.

78.230 Personen arbeiteten am 30. Juni 2022 sozialversicherungspflichtig in Berufen in der Kinderbetreuung und -erziehung (Stand 31.12.2023: 82.218). Das sind 2,5 % aller Beschäftigten in Niedersachsen. Der größte Anteil (rund 42 %) ist im Kernbereich tätig, also in Kindergärten und Vorschulen sowie in der Tagesbetreuung von Kindern. Die Beschäftigung in diesen Berufen hat sich seit 2013 deutlich besser entwickelt als die der Gesamtbeschäftigung.

Das geht aus einer jetzt veröffentlichen Studie des IAB Niedersachsen-Bremen zur Beschäftigungssituation in den Berufen der Kinderbetreuung und -erziehung hervor.

Die Ausbildung ist attraktiver geworden. Mit Einführung verschiedener landesweiter Finanzierungsmöglichkeiten seit August 2023 hat sich insbesondere die Entgeltsituation etwas gebessert. Das gilt allerdings nicht für alle Wege in den Beruf. Zu der steigenden Zahl von Absolventinnen und Absolventen in den letzten 10Jahren (2022 gegenüber 2013: + 48 %) hat vermutlich auch die offensive Bewerbung der Ausbildungswege beigetragen.

Reicht das, um zukünftig den Bedarf zu decken? Das hängt laut Studie vom Anspruch ab. Wenn Niedersachsen lediglich den Personalstand von 2022 erhalten will, wäre das mit den voraussichtlich dauerhaft im Beruf verbleibenden 2.000 – 2.700 Absolventinnen und Absolventen pro Jahr tatsächlich erreichbar. „Der Personalbedarf wird aber eher noch höher ausfallen“, erwartet dagegen IAB-Forscher Uwe Harten, „die Absolventinnen und Absolventen werden dann nicht ausreichen und der Personalmangel könnte sich deutlich verschärfen.“ Die Situation hängt insbesondere vom tatsächlichen Renteneintritt, von dauerhaftem Berufsfeldwechsel, regionaler Verfügbarkeit, nötiger Qualitätsverbesserung (z. B. im Rahmen des Gute-Kita-Gesetzes) sowie insbesondere dem zusätzlichen Bedarf an Kinderbetreuung u. a. aufgrund gesteigerter Fluchtmigration, zum Teil aus der Ukraine, ab.

Johannes Pfeiffer, Chef der Bundesagentur für Arbeit Niedersachsen-Bremen warnt: „Kinderbetreuung ist kein Luxusproblem! Allein den rentenbedingten Ersatzbedarf zu decken, wird nicht reichen. Vor allem Frauen beklagen in den Beratungsgesprächen eine unzureichende Betreuungssituation für Ihre Kinder, welche sich häufig direkt auf ihre Beschäftigungssituation auswirkt. Man kann sagen, vom KiTa-Platz hängt die Arbeitsfähigkeit der Mütter ab. Wir brauchen vor allem schnelle und kurzfristig wirkende Lösungen in Niedersachsen. Im Juli 24 waren bei der Bundesagentur für Arbeit 1.899 offene Stellen in der Kinderbetreuung gemeldet, denen lediglich 1.769 Arbeitslose mit Zielberuf in der Kinderbetreuung gegenüberstanden.

Die Autoren der IAB-Studie „Beschäftigungssituation in den Berufen der Kinderbetreuung und -erziehung in Niedersachsen“ haben nicht nur die Situation in Niedersachsen und Bremen analysiert (*), sondern auch mit der in Baden-Württemberg (BW) verglichen. Daraus wurden verschiedene Handlungsfelder für die Politik identifiziert.

1)    Unterbrechungszeiten: Ein Großteil der Erzieherinnen und Erzieherbleiben ihrem Beruf treu; im Kernbereich arbeiten ca. 15 % durchgehend, d. h ohne Unterbrechung und knapp 53 % kehren nach einer Unterbrechung zurück in den Beruf. Eine frühere Studie empfiehlt hier mit Maßnahmen anzusetzen, um Erzieherinnen und Erzieher nach einer Unterbrechung schneller in ihren Beruf zurückzuholen.

2)    Verweildauer im Beruf: Die Studie zeigt, fast jede/r fünfte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte wechselt dauerhaft in einen anderen Beruf. Weitere 6 % ziehen sich laut IAB-Studie ganz vom Arbeitsmarkt zurück. Projiziert auf den Zeitraum 2000 – 2010 errechnet sich ein zusätzliches Fachkräftepotenzial von rund 9.400 Personen. 
Bemerkenswert ist, dass nach 12 Monaten viele Erzieherinnen und Erzieher den Job schon wieder verlassen haben. Nur 59 % verweilen länger (63 % in BW, 55 % in Bremen). 
Die Beschäftigung wird von unter 40-Jährigen im Vergleich zu älteren Beschäftigten schneller wieder aufgegeben. Beschäftigte ohne junge Kinder im Haushalt und Teilzeitbeschäftigte verbleiben deutlich länger im Job als Vollzeitbeschäftigte. Studienautor Dr. Martin Wrobel vermutet zu hohe „allgemeine und persönliche Belastungssituationen bei vollzeitnaher Tätigkeit. Bei jungen Berufswechslerinnen und Berufswechslern vermuten wir u. a., neben der noch nicht abgeschlossenen Berufsplanung, Probleme bei Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder fehlende Karrierechancen im Berufsfeld.“

3)    Berufs- und Ortswechsel: Im Kita-Kernbereich verliert Niedersachsen durch Wechsel des Arbeitsortes über die Landesgrenzen hinaus und durch Jobwechsel in Berufe jenseits der Kinderbetreuung und -erziehung insgesamt 26,5 % der beobachteten Erzieherinnen und Erzieher langfristig (BW 18,7 %, Bremen 38,5 %).

4)    Migrationshintergrund: Immer mehr Kinder in den KiTas haben einen Migrationshintergrund. Unter den Erzieherinnen und Erzieher finden sich allerdings kaum Beschäftigte mit ausländischer Staatsangehörigkeit (Nds knapp 3 %, BW 7 %, Bremen 10 %). Studienautor Dr. Wrobel: „Das liegt vermutlich an spezifischen Vorschriften für die Ausbildung, wie erforderliche Sprachkenntnisse oder Schulabschuss. Um diesen Personenkreis für die Kinderbetreuung zu gewinnen, müssten Anerkennungsverfahren, ausländische Abschlüsse oder geeignete Anpassungsqualifizierungen beschleunigt und/oder ermöglicht werden.“

5)    Erwerbsumfang: Kinderbetreuung und -erziehung ist nach wie vor weiblich (94 %) und wird zu über 72 % in Teilzeit ausgeübt (BW 51 %, Bremen 57 %). Letztere liegt damit mehr als doppelt so hoch wie in der niedersächsischen Gesamtwirtschaft. Eine Strategie zur Fachkräftesicherung könnte bei der Ausdehnung der Arbeitszeit ansetzen. Allerdings haben Befragungen ergeben, dass nur 7 % der Beschäftigten in der „frühen Bildung“ eine Erhöhung ihrer Arbeitszeit anstreben (Mikrozensus 2021). Daten des sozio-ökonomischen Panels zeigen für Erzieherinnen und Erziehern mit 16 % zwar einen höheren Anteil; im Vergleich zu allen befragten Berufsgruppen war dies aber gleichwohl der geringste Anteil.

6)    Entgelt: Das mittlere Entgelt der Erzieherinnen und Erzieher in Vollzeit hat sich von 2013 bis 2022 deutlich besser entwickelt hat als das Entgelt in der Gesamtwirtschaft (+ 33 %). 2022 lag der Medianlohn der Erzieherinnen und Erzieher mit gut 3.600 Euro rund 125 Euro über dem durchschnittlichen Entgelt aller Beschäftigten in Niedersachen. Vermutlich hängt diese Entwicklung mit der höheren (gesellschaftlichen) Bedeutung und Anerkennung zusammen sowie der erhöhten Nachfrage, bei gleichzeitig geringerem Angebot an Fachkräften.

Johannes Pfeiffer: “Es ist sicher keine leichte Aufgabe für die Politik, ehemalige Beschäftigte in der Kinderbetreuung zu einer Rückkehr zu bewegen, Unterbrechungszeiten zu reduzieren, den Erwerbsumfang zu steigern oder mehr Menschen mit Migrationshintergrund zu gewinnen. Nach meiner Überzeugung ist es notwendig, an all diesen Stellschrauben zu drehen, da es kein Allheilmittel gibt. Als Bundesagentur für Arbeit werben wir nach wie vor dafür, auch Quereinstiege stärker zu nutzen. Wir können die Qualifizierung von Arbeitslosen finanziell unterstützen. Hier haben wir ungenutzte Potenziale.“

Hintergrund: Beschäftigtenzahlen:

Die angegebenen Zahlen enthalten nicht die Auszubildenden aber alle Beschäftigten inklusive Helferinnen und Helfer in diesem Wirtschaftsbereich. 

(*) Detaillierte Daten für Land Bremen folgen im Oktober 2024

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Für Nachfragen zur Studie:

Dr. Martin Wrobel | Uwe Harten

IAB Niedersachsen-Bremen

+49 511 9885-8953 bzw. -8951

iab-niedersachsen-bremen@iab.de

Link zur Studie: https://doku.iab.de/regional/NSB/2024/regional_nsb_0124.pdf