Thüringen benötigt mittel- bis langfristig mehr Zuwanderung von Arbeits- und Fachkräften aus Ländern der Europäischen Union und aus Drittstaaten. Gefragt sind Strategien und Instrumente, die schnell greifen und langfristig wirksam sind. Wenn deutlich mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland zuwandern statt abwandern, kann das den Rückgang des Arbeitskräfteangebots zumindest abschwächen. Erfolgt das nicht, fehlen uns bis zum Jahr 2035 bis zu 123.000 Personen im erwerbsfähigen Alter.
Anstieg bei ausländischen und Rückgang bei deutschen Beschäftigten
Nach einer Studie des regionalen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Halle stieg die Zahl der ausländischen Beschäftigten in Thüringen zwischen den Jahren 2013 und 2022 um mehr als das Vierfache von 13.150 auf 62.200 Personen. Die Zahl der deutschen Beschäftigten reduzierte sich in diesem Zeitraum um 19.700 Personen. Der Anteil der Männer bei den ausländischen Beschäftigten war mit 66 Prozent höher als bei den deutschen Beschäftigten mit 51 Prozent. Frauen waren unter den ausländischen Beschäftigten mit knapp 34 Prozent weniger vertreten als unter den deutschen Beschäftigten mit 49 Prozent Traditionelle Familienrollen, fehlende Kinderbetreuung oder geringere Bildungsbeteiligung können Gründe für die geringere Beschäftigung sein. Beim Alter zeigten sich zwischen ausländischen und deutschen Beschäftigten vor allem in der Altersgruppe 25 bis unter 55 Jahren deutliche Unterschiede. So sind von den beschäftigten Ausländerinnen und Ausländern rund 77 Prozent im Alter von 25 bis unter 55. Bei deutschen Beschäftigten lag der Anteil in dieser Altersgruppe bei knapp 64 Prozent. Nach Wirtschaftsbereichen betrachtet, arbeiteten die meisten Ausländer*innen im Verarbeitenden Gewerbe, dicht gefolgt von der Zeitarbeit. Mit etwas Abstand reihen sich der Handel, das Gastgewerbe und der Bereich Verkehr und Lagerei ein. Die polnischen Beschäftigten stellten mit 13.200 Personen die größte Gruppe bezogen auf alle ausländischen Beschäftigten in Thüringen dar. Rumänische Beschäftigte folgen mit 8.100 und syrische Beschäftigte mit 4.100 Personen.
Den niedrigsten Anteil ausländischer Beschäftigter wiesen der Kyffhäuserkreis und der Landkreis Saalfeld-Rudolstadt auf. Der höchste Anteil ergibt sich für den Landkreis Gotha, gefolgt vom Landkreis Sonneberg und der Landeshauptstadt Erfurt.
Einführung der Chancenkarte zur Jobsuche
Für einen Aufenthalt zur Arbeitsplatzsuche wird zum 01.06.2024 eine Chancenkarte eingeführt. Diese kann auf zwei Wegen erlangt werden: Drittstaatsangehörige, die eine volle Gleichwertigkeit der ausländischen Qualifikation nachweisen und daher als Fachkräfte gelten, können die Chancenkarte ohne weitere besondere Voraussetzungen erhalten. Alle anderen müssen einen ausländischen Hochschulabschluss, einen mindestens zweijährigen Berufsabschluss oder einen von einer deutschen Auslandshandelskammer erteilten Berufsabschluss nachweisen. Zudem sind entweder einfache deutsche (Niveau A1 GER) oder englische Sprachkenntnisse (Niveau B2 GER) erforderlich.
Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, kann man für Kriterien wie Anerkennung der Qualifikationen in Deutschland, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug sowie das Potenzial der mitziehenden Lebens- oder Ehepartnerinnen und -partner unterschiedliche Punkte sammeln. Um die Chancenkarte zu erhalten, müssen mindestens sechs Punkte erreicht werden.
Die Chancenkarte wird für maximal ein Jahr erteilt, wenn der Lebensunterhalt für diese Zeit gesichert werden kann. Sie bietet während des Aufenthalts in Deutschland Möglichkeiten zur Probearbeit oder Nebenbeschäftigung im Umfang von 20 Stunden in der Woche. Wenn man danach keinen anderen Erwerbstitel bekommen kann, aber dennoch ein Angebot für eine qualifizierte Beschäftigung hat, kann die Chancenkarte um weitere zwei Jahre verlängert werden.
Westbalkanregelung wird entfristet
Die Westbalkanregelung eröffnet ab 01.06.2024 Staatsangehörigen von Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nord Mazedonien und Serbien für jede Art von Beschäftigung in Berufen, die nicht reglementiert sind, einen Arbeitsmarktzugang in Deutschland. Die Regelung war ursprünglich bis Ende 2023 befristet. Mit der Verordnung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung wird die Westbalkanregelung entfristet. Ab Juni 2024 beträgt das Kontingent jährlich 50.000 Zustimmungen der Bundesagentur für Arbeit.
Zitat:Dazu sagt Markus Behrens, Vorsitzender der Geschäftsführung der BA Regionaldirektion in Halle: „Aus demografischen Gründen wird es nicht reichen, nur auf die inländischen Arbeitskräfte zu setzen. Deshalb brauchen wir vermehrt Erwerbszuwanderung qualifizierter Menschen aus Drittstaaten. Dabei ist es wichtig, Schwellen zu senken und die Einwanderung in den Arbeitsmarkt einfacher, unbürokratischer und attraktiver zu gestalten. Neben den gesetzlichen Regelungen benötigen wir eine positive Willkommenskultur, damit sich die Menschen hier schnell wohlfühlen und dauerhaft bleiben. Die Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes geht in die richtige Richtung. Thüringen wird damit für ausländische Arbeitskräfte interessanter.“
Zitat:Die Thüringer Arbeitsministerin Heike Werner ergänzt: "Wir freuen uns über die klaren Erkenntnisse der Analyse des IAB-Regional zur positiven Auswirkung von Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt in unserem Land. Durch unsere eigene aktuelle Studie zur Entwicklung des Arbeitsmarktes in Thüringen wissen wir, dass bis zum Jahr 2035 386.000 ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Rente gehen und wir diese Lücke nicht annähernd mit einheimischen Arbeitskräften füllen können, obwohl wir natürlich auch in diesem Bereich die noch verbliebenen Potenziale erschließen wollen. Die Menschen aus dem Ausland helfen uns übrigens nicht nur, offene Stellen in den Betrieben zu besetzen, sie helfen uns auch unsere Versorgungsinfrastruktur und unsere Lebensqualität zu erhalten. Und auch, wenn Zuwanderung oft durch die Aufnahme eines Arbeitsplatzes motiviert ist, kommen Partnerinnen und Partner, Kinder und Jugendliche mit, die dazu beitragen, unsere Bevölkerung zu verjüngen und - gerade im Ländlichen Raum - soziale Infrastrukturen am Leben zu erhalten."