Kreis Recklinghausen. Nach Ablauf des zweiten Pandemiejahres zieht Arbeitsagenturchef Frank Benölken Bilanz, wie sich der Arbeitsmarkt unter erschwerten Bedingungen entwickelt hat. Außerdem wirft er einen Blick auf anstehende Herausforderungen und wagt einen Ausblick, wie sich die Arbeitslosigkeit im Vest im kommenden Jahr entwickelt wird.
„Trotz Fortsetzung der Corona-Pandemie hat sich der Arbeitsmarkt im vergangenen Jahr rasch und intensiv regeneriert und Monat für Monat bessere Werte bei Arbeitslosigkeit und Beschäftigung erzielt. Dies war in diesem Umfang nicht vorhersehbar und ist ein umso größerer Erfolg – vorrangig getragen von den Unternehmen im Kreis Recklinghausen“, zieht Agenturchef Frank Benölken Bilanz über das letzte Jahr. Trotz aller Zufriedenheit über den bisher erreichten Stand findet der Agenturchef klare Worte für die nächsten Monate: „Wenn uns die Pandemie eins gelehrt hat, dann, dass nichts selbst-verständlich ist. Und so können wir auch nur bedingt antizipieren, wie sich der Arbeits-markt 2022 entwickeln wird. Denn haben wir vor gut acht Wochen noch daran geglaubt, die härtesten Einschnitte längst hinter uns zu haben, so belehrt uns die neue Omikron-Variante eines Besseren. Die Lage bleibt volatil, erste Anstiege bei der Kurzarbeit belegen dies. Dennoch sind wir gesellschaftlich an den Herausforderungen der letzten Monate gewachsen und gehen heute souveräner und überlegter mit der Pandemie um. Daher bleibe ich verhalten optimistisch, dass sich die Grundtendenz hin zu wieder sinkenden Arbeitslosenzahlen fortsetzen wird, allerdings kann es zwischenzeitlich auch immer zu unvorhersehbaren Einbrüchen kommen.“
Bereits deutlicher Rückgang an jüngeren Arbeitslosen
Im Jahresdurchschnitt waren 27.790 Männer und Frauen arbeitslos und damit 1.076 (-3,7 Prozent) weniger als 2020 und nur noch 1.361 mehr als 2019, dem mit Abstand erfolgreichsten Jahr aller Zeiten. Die durchschnittliche Quote erreichte 8,5 Prozent, verglichen mit 8,8 Prozent im letzten und 8,1 Prozent im vorletzten Jahr. Insbesondere im zweiten Halbjahr entwickelte sie sich spürbar rückläufig und lag nach anfänglich 9,1 Prozent im Januar bei 7,7 Prozent im Dezember.
Personenkreis | Bestand im Jahresdurchschnitt | Veränderungen zum Vorjahr | |
---|---|---|---|
Jüngere unter 25 Jahre | 2.184 | -284 | -11,5% |
darunter Jugendliche unter 20 Jahre | 414 | -50 | -10,9% |
50 Jahre und älter | 9.515 | +142 | +1,5% |
Langzeitarbeitslose | 14.925 | +1.550 | +11,6% |
Schwerbehinderte | 1.908 | +197 | +11,5% |
Ausländer | 8.820 | -5 | -0,1% |
Die Agentur für Arbeit betreute 2021 im Jahresdurchschnitt 6.918 Arbeitslose, 702 (-9,2 Prozent) weniger als 2020. Im Jobcenter Kreis Recklinghausen ist die Zahl der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt um 374 (-1,8 Prozent) auf 20.873 gesunken.
Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nimmt Kurs nach oben
Die schrittweise Erholung auf dem Arbeitsmarkt machte sich 2021 nicht nur anhand sinkender Arbeitslosigkeit bemerkbar, sondern ebenso anhand steigender sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, welche einen bisherigen Höchststand von 176.396 er-reichte.
Von ihnen arbeitet nur rund ein Fünftel auf Helferniveau, weniger als 15 Prozent können keinen Schulabschluss nachweisen. „Hieran zeigt sich die Bedeutung eines guten Qualifikationsniveaus, sozialversicherungspflichtige Stellen für Ungelernte sind deutlich in der Minderheit und werden perspektivisch noch weniger. Ebenso wichtig ist es, die bereits hier lebenden gut ausgebildeten Menschen mit finanziellen und soziokulturellen Anreizen zu versorgen, so dass sie dem Wirtschaftsstandort erhalten bleiben“, so Frank Benölken.
Mit 17 Prozent (rund 30.000) ist das Gesundheitswesen (inkl. Heime) die Branche mit den meisten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Auf Rang zwei und drei folgen der Einzelhandel (10 Prozent) und die öffentliche Verwaltung (7 Prozent).
Über 41 Mio. Euro für Kurzarbeit ausgezahlt
Im Jahr 2021 wurden 19.146 Anträge auf Kurzarbeitergeld bearbeitet und dafür 41.307.492 Euro Kurzarbeitergeld durch die Agentur für Arbeit Recklinghausen ausgezahlt.
Besonders betroffen waren die Eventbranche, das Hotel- und Gaststättengewerbe sowie körpernahe Dienstleistungen (z.B. Kosmetik, Frisöre), wenngleich auch in nahezu allen anderen Branchen in unterschiedlichem Umfang kurzgearbeitet wurde - seit Ende des Jahres auch bedingt durch den zunehmenden Materialmangel.
Für 2022 erwarten wir einen deutlichen Anstieg der Kurzarbeit, der sich bereits im Dezember angedeutet hat.
Ausblick 2022:
Fachkräftemangel durchwebt den Arbeitsmarkt – Qualifizierung von Jugendlichen, Arbeitslosen und Beschäftigten ist und bleibt Schwerpunkt
„Schon heute zeichnet sich ab, dass der Fachkräftemangel, der auch trotz Corona ins-besondere im Gesundheitswesen sowie im Handwerk deutlich präsent ist, nach Beendigung der pandemischen Lage die größte Herausforderung für den Arbeitsmarkt sein wird“, so Benölken. Entsprechend deutlich liege der Fokus im neuen Jahr auf Qualifizierungen jeder Art: „Nur wer eine Ausbildung hat und sich beruflich konsequent weiterbildet, wird zu den Gewinnern auf dem Arbeitsmarkt der nächsten Jahrzehnte gehören. Für ungelernte Menschen jedoch sinken die Jobaussichten in den kommenden Jahren drastisch.“
Ursächlich verantwortlich für den hohen Bedarf an Fachkräften ist die sozialstrukturelle Entwicklung hin zu mehr älteren und weniger jungen Menschen, was im Ausscheiden älterer Mitarbeiter in den Ruhestand resultiert, ohne dass hinreichend junge Menschen nachfolgen. Im Kreis Recklinghausen wird in den nächsten zehn Jahren rund ein Viertel (40.000) aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den altersbedingten Ruhe-stand gehen, 60 Prozent davon sind Fachkräfte.
Hinzu kommt der anhaltende Trend von Automatisierung und Digitalisierung, in dessen Folge viele Tätigkeiten substituierbar sind und damit von Maschinen anstatt von Menschen ausgeübt werden können. Fertigungsberufe sind davon am Stärksten betroffen, während insbesondere soziale und kulturelle Dienstleistungsberufe ein sehr geringes Potenzial zur Substituierbarkeit aufweisen. Im Vest arbeitet ein Drittel aller Beschäftigten in Jobs mit einem hohen Substituierbarkeitspotenzial. Grundsätzlich gilt jedoch: Je höher die Qualifikation, desto geringer die Substituierbarkeitswahrscheinlichkeit!
Frank Benölken: „Aufgrund unserer relativ hohen Arbeitslosigkeit verfügen wir im Kreis Recklinghausen über ein großes Potenzial an Menschen, die grundsätzlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Oberste Priorität muss daher sein, diesen Menschen die nötigen Qualifikationen zukommen zu lassen, die sie für eine erfolgreiche und dauer-hafte Integration benötigen. Und dafür werden wir im gesamten Jahr 2022 rund 47 Mio. Euro zur Verfügung stellen. Sei es für junge Menschen auf dem Weg in eine tragfähige Ausbildung, für Arbeitslose mit veralteten Berufskenntnissen oder für Beschäftigte, die sich vom Helfer zur Fachkraft weiterbilden möchten.“ Benölken betont, dass auch die Kurzarbeit dafür genutzt werden könne: „Wenn Kurzarbeit zu einer beruflichen Zwangspause führt, kann sie gewinnbringend genutzt werden, indem man sich Klarheit darüber verschafft, ob die eigenen Qualifikationen für die Zukunft im erlernten Beruf noch aus-reichen, schließlich befinden sich zahlreiche Berufsbilder im Wandel und stellen immer neue Herausforderungen an die Beschäftigten. Sich diese jetzt anzueignen, stärkt die eigene Position auf dem Markt, wenn der Wunsch oder die Notwendigkeit eines Arbeitgeberwechsels aufkommt“
Das erklärte Ziel, die Wirtschaftstätigkeit der regionalen Unternehmen zu sichern, könne auch durch die erleichterte Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland unterstützt werden: „Wo es sinnvoll ist, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben, stehen wir mit Beratung und Qualifizierung unterstützend zur Seite.“