„Kein Mensch flieht freiwillig – aber ganz freiwillig können wir uns entscheiden, diesen Menschen zu helfen.“ Dieses Zitat stammt von Filippo Grandi, UN-Hochkommissar für Flüchtlinge. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine sind viele Menschen nach Deutschland geflohen. Mit der Massenzustrom-Richtlinie der Europäischen Union haben Schutzsuchende aus der Ukraine Zugang zu Arbeit, Bildung sowie Sozialleistungen und medizinischer Versorgung.
Im Bezirk der Agentur für Arbeit Reutlingen sind aktuell etwa 2.800 geflüchtete Ukrainer im erwerbsfähigen Alter gemeldet. Diese verteilen sich auf die beiden Jobcenter Landkreis Reutlingen (ca. 1.500) und Tübingen (etwa 1.300). Der Großteil befindet sich noch in Sprachkursen und parallelen Praktika. „Die geflüchteten Menschen sind gut ausgebildet und haben nahezu alle einen Schulabschluss. Etwa 25 Prozent davon sind Akademiker“, so Oliver Kerl, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Reutlingen. „Die gute Ausbildung macht sich auch dadurch bemerkbar, dass Monat für Monat mehr Geflüchtete in den Arbeitsmarkt integriert werden. Aktuell haben bereits rund 50 Ukrainerinnen und Ukrainer im Agenturbezirk Reutlingen eine Arbeit aufgenommen.“
Kataryna D. ist eine von Ihnen. In der Ukraine hat die heute 21-Jährige Deutsch auf Lehramt studiert, ihre Deutschkenntnisse waren deshalb schon recht passabel, als sie im November 2022 vor dem Krieg nach Deutschland flüchtete. Da sie sich gut verständigen konnte, kam sie relativ schnell gut zurecht in ihrer neuen Heimat Bad Urach, ihre Beratungstermine im Jobcenter nahm sie ohne Dolmetscher war. Weil Kataryna es so wollte und es auch konnte.
Seit Mitte Mai ist sie nun als Badeaufsicht im Bad Uracher Höhenfreibad tätig, arbeitet an der Kasse und im Eingangsbereich mit. Der Arbeitsvertrag mit einem Arbeitszeitumfang von 80 Prozent läuft bis zum Ende der Freibadsaison im September, ihr Studium läuft parallel weiter, online. Ihren Magisterabschluss möchte sie dann im Dezember machen.
So weit ist Maria S. noch nicht. Im März 2022 kam sie nach Deutschland und nach nur fünf Monaten hatte sie eine Arbeitsstelle gefunden. Ihre Deutschkenntnisse sind noch ausbaufähig und trotzdem fand sie schnell einen Minijob als Helferin in der Reinigung.
Seit Mai 2023 hat Frau S. nun in Reutlingen eine Teilzeitstelle als Helferin in der Altenpflege, ihren berufsbezogenen Deutschkurs hat sie Mitte Juni abgeschlossen. Ihr Arbeitsvertrag in der Altenpflege ist auf ein Jahr befristet. In ihrem Heimatland war die Ukrainerin als Verkäuferin im Textilbereich tätig, wenn ihre Deutschkenntnisse ausreichend sind, würde Maria S. anschließend auch hier gerne in diesem Bereich arbeiten.
Dass ein beruflicher Aufstieg ukrainischer Geflüchteter in Deutschland gelingen kann, zeigt das Beispiel von Lenya M., die 2022 bei einer Info-Veranstaltung für Geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer im Jobcenter Landkreis Tübingen aufgrund ihrer guten Deutsch-Kenntnisse auffiel und direkt als Dolmetscherin im Jobcenter eingestellt wurde. Lenya M., in der Ukraine als Deutschlehrerin tätig, machte ihren Job so gut, dass sie im Rahmen einer internen Personalentwicklung in das Abrechnungsbüro der Agentur für Arbeit wechselte und hin und wieder auch am Empfang aushilft. Die sechsmonatige Probezeit in ihrem neuen Job hat sie inzwischen erfolgreich bestanden, seit Februar 2023 arbeitet Lenya M. in Vollzeit bei der Arbeitsagentur. Mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag.
Das Beispiel der 42-Jährigen zeigt, dass ukrainische Mitbürgerinnen und Mitbürger mit guten Deutschkenntnissen sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, auch regional.
Manchmal kann es – wie in diesem Beispiel – ganz schnell gehen. Doch zumeist braucht ein Berufseinstieg von geflüchteten Menschen Zeit. Das liegt vor allem daran, dass auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland gute Deutschkenntnisse von großer Bedeutung sind. Gerade in qualifizierten Tätigkeiten ist daher nach einem Integrationskurs häufig noch eine berufsbezogene Sprachförderung erforderlich. Und ein Engpass bleibt nach wie vor die Bereitstellung von weiteren Sprachkursen. „Der Bedarf ist hoch und die Warteliste lang“, so Oliver Kerl.
Außerdem muss häufig parallel die Anerkennung von Schul-, Studien- und Berufsabschlüssen verfolgt werden, um eine qualifikationsadäquate Beschäftigung in Deutschland zu ermöglichen.
Die meisten ukrainischen Geflüchteten schließen nun sukzessive die Integrationskurse ab. Mit Blick auf den Arbeits- und Fachkräftemangel liegt der Fokus der Arbeitsvermittlung in den Jobcentern nun auf der Aufnahme einer kompetenz- und qualifikationsadäquaten Beschäftigung. Die Integrationsfachkräfte stehen daher vor der Herausforderung, die aus der Ukraine geflüchteten Menschen, überwiegend Frauen mit Kindern, bei der Verfolgung ihrer individuellen beruflichen Ziele zu unterstützen und gleichzeitig ihre besondere Lebenssituation zu berücksichtigen. Mit Blick auf die Qualifikation bringen ukrainische Geflüchtete gute Voraussetzungen mit, um erfolgreich auf dem deutschen Arbeitsmarkt anzukommen und dauerhaft Beschäftigungen zu finden. Sie verfügen zu mehr als 70 Prozent über ukrainische Berufsabschlüsse und Berufserfahrung und sind relativ jung.