Ausbildungsmarkt: Arbeitsagentur und Kammern ziehen positive Bilanz

Nach dem Abschluss des Ausbildungsjahres 2023/2024 ziehen sowohl die Agentur für Arbeit Reutlingen als auch die Handwerkskammer und die IHK Reutlingen ein positives Fazit. In nahezu allen Bereichen war das Angebot an Ausbildungsstellen im vergangenen Jahr größer als die Nachfrage und die duale Ausbildung ist wichtiger denn je – dies war der Tenor bei einem Pressegespräch am Dienstag in der Agentur für Arbeit in Reutlingen.

20.11.2024 | Presseinfo Nr. 42

„Die Bewerberzahlen liegen insgesamt etwas über dem Vorjahresniveau und sind im Jahr 2023/2024 im Agenturbezirk um 0,9% gestiegen. Die Talsohle scheint also nach zuletzt leicht sinkenden Zahlen erreicht zu sein“, so Markus Nill, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in Reutlingen. Die Anzahl der unbesetzten Berufsausbildungsstellen ist im Vergleich zum Vorjahr zwar etwas zurückgegangen (von 3.954 auf 3.817), dennoch sind auch im Ausbildungsjahr 2023/2024 zahlreiche Ausbildungsstellen in der Region unbesetzt geblieben. „Bereits seit 2013 haben wir in der Region einen Bewerbermarkt, das heißt, dass es mehr Ausbildungsstellen als Bewerberinnen und Bewerber gibt, die Ausbildungssuchenden sich also theoretisch ihre Ausbildungsstelle aussuchen können.“ So kommen im Landkreis Reutlingen 193 Bewerberinnen und Bewerber auf 100 Ausbildungsstellen, im Landkreis Tübingen sind es immerhin noch 185.

Soweit die Zahlen. Doch nicht für jede Bewerberin und jeden Bewerber gibt es auch die passende Ausbildungsstelle und andersherum. Das größte Ungleichgewicht auf der Angebotsseite liegt bei der Kauffrau bzw. beim Kaufmann im Einzelhandel vor: auf 281 gemeldete Ausbildungsstellen im Einzelhandel gab es 72 Interessierte, das Angebot übersteigt die Nachfrage also fast um das Vierfache.  

Allerdings gibt es auch den umgekehrten Fall, so suchten 100 junge Menschen einen Ausbildungsplatz als Kfz-Mechatroniker bzw. Mechatronikerin, demgegenüber waren nur 82 Ausbildungsstellen gemeldet.

Fast die Hälfte der Bewerberinnen und Bewerbern mit Hauptschulabschluss und Mittlerer Reife gehen in eine Ausbildung, bei den Abiturientinnen und Abiturienten sind es noch gut 35 Prozent. Die duale Ausbildung scheint im Gegensatz zur weitläufigen Meinung auch für diese Gruppe eine immer interessantere Alternative zum Studium zu werden.
Die Gefahr der Arbeitslosigkeit ist bei Hauptschulabsolventen am größten (5,9 Prozent), fast doppelt so hoch wie z.B. bei der Mittleren Reife (3,1 Prozent).
Die Mehrheit der gemeldeten Bewerberinnen und Bewerber ist männlich und unter 20 Jahre alt mit einem Haupt- oder Realschulabschluss. Daran hat sich auch 2023/2024 nichts geändert. 
Allerdings werden die Bewerber/innen zunehmend jünger, so sind inzwischen 7 von 10 Bewerbern unter 20 Jahre alt (im Vorjahr waren es noch 6 von 10).
Erfreulicherweise gestiegen ist die Zahl der Einmündungen. Von 852 im Jahr 2023 auf 877 im Jahr 2024, in 2022 waren es sogar noch glatt 800.
„Unseren Berufsberaterinnen und Berufsberatern gelingt es immer mehr, die Chancen und den positiven Karriereweg nach einer dualen Ausbildung in den weiterführenden Schulen darzustellen“, berichtet Markus Nill. Vier von zehn Bewerberinnen und Bewerbern (44,4 Prozent), die bei der Arbeitsagentur gemeldet sind, finden den Weg in eine Ausbildung – ein Plus von 2,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Auffallend: Immer mehr Auszubildende haben Mittlere Reife oder Abitur, der Hauptschulabschluss wird zunehmend zur Seltenheit. So hat rund ein Viertel der Bewerberinnen und Bewerber mittlerweile eine Hoch- bzw. Fachhochschulreife, das sind in etwa genauso viele wie Hauptschulabsolventinnen und -absolventen. „Wenn man sich einmal mit den Anforderungen in einer Berufsausbildung auseinandersetzt, ist das auch nicht unberechtigt“, erklärt Susanne Hammann, Leiterin des Geschäftsbereichs Berufsausbildung, Prüfungs- und Sachverständigenwesen der Handwerkskammer. „Was zum Beispiel im Handwerk die Anforderungen in den Bereichen IT oder Computersteuerung und -bedienung angeht, ist das mit den früheren Ausbildungsberufen eigentlich gar nicht mehr zu vergleichen. Da tun sich Auszubildende mit Mittlerer Reife oder Abitur natürlich meist leichter.“
Was die Zahlen angeht, sei die Region Reutlingen/Tübingen vorbildlich, so Hammann. „Trotz der schwierigen Situation vor allem im Handwerk wird hier unvermindert ausgebildet, die Zahl der Ausbildungsverhältnisse stieg auch im vergangenen Ausbildungsjahr weiter.“ Bemerkenswert war laut Hammann zum Beispiel die Tatsache, dass immer mehr weibliche Schulabgängerinnen eine Ausbildung als Tischlerin begannen. Auch Hammann bestätigt den Trend, dass Abiturienten vermehrt eine Ausbildung im Handwerk starteten, beispielsweise als Zimmerer. „Oft natürlich auch als Sprungbrett, zum Beispiel für ein anschließend geplantes Architekturstudium. Was viele der Kandidatinnen und Kandidaten dann aber gar nicht antreten, sondern im Beruf bleiben und lieber den Meister oder die Meisterin machen.“
Ausbildungsstärkste Berufe sind bei der Handwerkskammer der Kraftfahrzeugmechatroniker, der Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik, der Anlagenmechaniker Sanitär/Heizung und Klimatechnik und der Tischler bzw. Schreiner.

Einen leichten Rückgang der neu unterzeichneten Ausbildungsverträge verzeichnet die Industrie- und Handelskammer Reutlingen/Tübingen/Zollernalb. Von 2.350 im Jahr 2023 ist die Zahl auf 2.283 im Jahr 2024 gesunken. Während die Anzahl der neuen Ausbildungsverhältnisse im Kreis Reutlingen um 1,8 Prozent gesunken ist, stieg sie im Kreis Tübingen um 4,2 Prozent. Da aber eben auch der Zollernalbkreis – mit einem Rückgang um 9,4 Prozent – dazugehört, steht unter dem Strich ein kleines Defizit. „Dennoch sind wir auf einem guten Weg, der Corona-Effekt ist inzwischen fast wieder aufgeholt“, berichtet Cathrin Koch, Leiterin Ausbildungsberatung und Vertragswesen im Bereich Ausbildung und Prüfungswesen bei der IHK in Reutlingen.
Bei einer IHK-Umfrage gaben 52 Prozent der Unternehmen an, dass sie im Jahr 2023 ihre angebotenen Ausbildungsplätze auch alle besetzen konnten – vor zehn Jahren (also 2013) waren es noch fast 82 Prozent. „Die Besetzung der Ausbildungsplätze bleibt also schwierig“, so Koch. Als Gründe für die Nichtbesetzung ihrer Ausbildungsstellen gaben 78 Prozent der Betriebe an, dass keine geeigneten Bewerbungen vorgelegen haben. Bei 28 Prozent der befragten Unternehmen lagen sogar überhaupt keine Bewerbungen vor. 14 Prozent der Betriebe gaben an, dass die Ausbildungsplätze von den Auszubildenden nicht angetreten wurden. Dieses Phänomen gibt es nicht nur bei der IHK, auch Susanne Hammann ist das scheinbar immer mehr in Mode gekommene „Azubi-Ghosting“ ein Dorn im Auge. „Auszubildende sagen den Unternehmen zu oder unterschreiben sogar einen Ausbildungsvertrag und melden sich dann nicht mehr und erscheinen auch nicht zum Ausbildungsbeginn“, erklärt die Leiterin der Handwerkskammer.
Letztlich waren sich beide Kammern und Arbeitsagentur einig: das Fazit zum Ausbildungsmarkt in der Region Reutlingen/Tübingen fällt positiv aus. „Die Nachfrage nach der dualen Ausbildung und deren Wertigkeit steigt in nahezu allen Bereichen“, fasst Markus Nill von der Agentur für Arbeit zusammen. „Praktika, Betriebsbesichtigungen, Lehrstellenrallyes oder auch die Praktikumswoche werden zunehmend wichtiger, um sich vorab ein Bild von den jeweiligen Ausbildungsberufen machen zu können“, ergänzt Cathrin Koch von der IHK.