05.07.2017 - Andin Tegen -5 MinutenMitarbeiter qualifizieren
Azubis, die ihre Ausbildung abbrechen wollen, bekommen Hilfe von erfahrenen Fachleuten im Ruhestand. Ein Rentner und ein Lehrling berichten über die Zusammenarbeit.
Um ein Haar hätte Nico Schwarz aufgegeben. Der 20-Jährige wollte eine Lehre absolvieren, doch dann verließ ihn der Mut. Über VerA fand er Hilfe: Die Initiative des Senior Expert Service SES vermittelt erfahrene Fachleute im Ruhestand, die Auszubildenden helfen, wenn sie nicht mehr weiter wissen. Nico Schwarz und sein Betreuer Peter Cramer schildern, wie die Zusammenarbeit verlief.
Der Azubi: Nico Schwarz, 20, Schornsteinfeger in Münsingen
Manchmal scheitert es an Lappalien, wenn junge Leute ihre Ausbildung abbrechen: am Ausfüllen des Bafög-Antrags, an Schwierigkeiten in Mathe, an einer ineffizienten Art zu lernen. Bei mir war es das Gefühl, nicht dazuzugehören. Ich habe eine auditive Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung, das heißt, in einem Raum mit vielen Menschen höre ich alles gleich laut. Aber diese Einschränkung beeinträchtigt nicht meinen Intellekt. Dennoch passierte es mir in der Berufsschule immer wieder, dass mich andere Mitschüler hänselten, nachahmten oder auslachten. Ich versuchte, meine Gefühle zu verdrängen und erzählte anfangs niemandem davon.
Zumindest die Lehrinhalte gaben mir Auftrieb. Die waren sehr spannend und ich merkte, wie vielseitig der Beruf war. Das war genau mein Ding. Doch immer wieder tauchte das Gefühl des Ausgegrenztseins auf und forderte viel zu viel Energie. Ganz langsam verlor ich die Freude an der Ausbildung. Und irgendwann wollte ich dann alles hinschmeißen.
Über die Bundesagentur für Arbeit wurde mir in dieser Phase zu einer Art Nachhilfe geraten. Dort empfahl man mir die Initiative VerA. Sie vermittelt Ruheständler, die sich um Lehrlinge kümmern, die Schwierigkeiten haben. Sie schickten Herrn Cramer, der früher Ausbilder bei Daimler war. Als er sich vorstellte, war ich so skeptisch wie immer, wenn ich Leute kennenlerne. Doch es dauerte keinen Tag, und ich mochte ihn. Er war ganz locker und vollkommen ohne Vorurteile, so etwas erlebe ich nicht oft.
Zitat:„Herr Cramer war hilfreich, weil er exklusiv für mich da war."
Nico Schwarz
Als gelernter Elektromechanikermeister kannte er sich zwar nicht mit Edelgasen, Querschnittsberechnungen oder anderen berufstechnischen Dingen aus, aber er war aus einem anderen Grund hilfreich: Er war exklusiv für mich da. Anfangs kam er alle zwei Wochen zu mir nach Hause, fragte, wie es voran geht und wo ich Schwierigkeiten habe. Es gab Phasen, in denen ich wochenlang keine Hilfe brauchte und dann wieder Zeiten, in denen ganz handfeste Unterstützung wichtig war. Zum Beispiel zeigte er mir Strategien, wie man Ordner anlegt oder systematisch für mündliche und schriftliche Prüfungen lernt. Manchmal gingen wir auch zusammen Mittagessen und sprachen gar nicht über die Ausbildung.
Seine Aufmerksamkeit spornte mich so an, dass ich am Ende niemanden mehr enttäuschen wollte: nicht den Ausbildungsbetrieb, nicht Herrn Cramer und nicht mich selbst. Ich wurde bei meiner Abschlussprüfung erster Kammersieger als Schornsteinfeger und zweiter Landesmeister in Baden-Württemberg. Nach der Prüfung fuhr ich zu Herrn Cramer in den Nachbarort und klingelte an seiner Haustür: „Siehste“, sagte er, „hab ich’s doch gewusst!“