4-Tage-Woche: Mehr Flexibilität wagen

Nach einem erfolgreichen Test verstetigt das Klinikum Fürth sein Angebot zur 4-Tage-Woche im OP. Das Arbeitszeitmodell des Klinikums ist dabei nur eine der möglichen Varianten.


28.05.2024 - Matthias Haft -5 MinutenArbeitswelt gestalten

Am Klinikum Fürth herrscht neuerdings sogar im OP-Saal die 4-Tage-Woche. Nach einem erfolgreichen Pilottest wird das neue Arbeitsmodell auch in Zukunft angeboten. Das Beispiel zeigt: Flexibilität ist die wichtigste Voraussetzung, um mit alternativen Arbeitszeitmodellen Entlastungen ohne unerwünschte Nebeneffekte zu ermöglichen.  

Das Interesse an der 4-Tage-Woche steigt seit 2010 kontinuierlich an und wird auch zunehmend heiß diskutiert. Angesichts des Fachkräftemangels betrachten manche eine 4-Tage-Woche eher als Problem denn als Lösung. Forderungen nach einer 40-stündigen 5-Tage-Woche und nach mehr Überstunden können dabei jedoch nur ins Leere laufen. Denn der Kampf von Unternehmen, um an gutes Personal zu kommen, wird immer auch auf dem Feld der Benefits ausgetragen. Und die 4-Tage-Woche ist seit Jahren eines der Instrumente, mit denen Arbeitgeber versuchen, ihren Mitarbeitenden eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung zu ermöglichen.

Dabei lässt sich feststellen, dass die 4-Tage-Woche, im Gegensatz zu manch anderem Benefit wie etwa Homeoffice oder der vollständigen Remote-Arbeit, eine Lösung sein kann, von der breite Schichten der Arbeitnehmenden profitieren können. Die 4-Tage-Woche funktioniert nicht nur im Büro, sondern auch in Werkstätten, Fabriken und in der Schichtarbeit: Auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmenden und des Betriebs kommt es an.

4-Tage-Woche im OP

Dass eine Arbeitswoche mit vier statt fünf Tagen selbst im OP funktionieren kann, stellt das Klinikum Fürth aktuell unter Beweis. Seit November 2023 wurde hier in einem sechsmonatigen Pilotprojekt die 4-Tage-Woche getestet. Jetzt, nachdem der Test abgeschlossen ist, zeigt sich: mit Erfolg.

Der OP-Betrieb ist heutzutage aufgrund komplexer Instrumente und des Einsatzes von Robotik eine hochspezialisierte Angelegenheit. Eine Spezialisierung, die auch an das Pflegepersonal im OP hohe Anforderungen stellt. Und wie das so ist mit Spezialkenntnissen: Die Masse der Menschen hat sie nicht. Pflegepersonal zu finden, das die Instrumente im OP beherrscht, ist in ganz Deutschland auch durch den Fachkräftemangel zunehmend eine Herausforderung, auch für das Fürther Klinikum. So ist es deutschlandweit in Krankenhäusern Alltag, dass OPs wegen Pflegepersonalmangel abgesagt werden und die Überstunden an ungeplant langen Arbeitstagen ansteigen. Oftmals können OP-Säle nicht genutzt werden, weil schlicht das Pflegepersonal fehlt. Mit dem Projekt 4-Tage-Woche wollte das Klinikum in Fürth eine Lösung für diese schwierige Situation finden.

Win-win-Situation

Für Prof. Dr. Christoph Raspé, Chefarzt der Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie und stellv. Ärztlicher Direktor des Klinikums Fürth, konnte das Pilotprojekt sämtliche Erwartungen erfüllen: „In allen Belangen ist das eingetreten, was wir uns erhofft haben. Der Pilot ist so gut gelaufen, dass wir unserem Personal auch künftig die 4-Tage-Woche als eines der möglichen Arbeitszeitmodelle anbieten werden. Sowohl die Belastungsanalyse während des Piloten als auch die Rückmeldungen aus den Personalbefragungen sprechen für die 4-Tage-Woche. Alle sind sehr zufrieden und haben sich für die 4-Tage-Woche ausgesprochen.“ Während der Erprobung konnten Raspé und sein Team feststellen, dass die Belastung für alle zurückgegangen ist.

Porträt von Prof. Dr. Christoph Raspé
Foto: Prof. Dr. Christoph Raspé, © Klinikum Fürth / Christian Horn

Und das trotz planmäßiger 10-Stunden-Tage. Die 4-Tage-Woche im Klinikum Fürth wurde nämlich mit einer Beibehaltung der üblichen Wochenarbeitszeit getestet. Es mag paradox klingen, dass die Belastung sinkt, obwohl doch von acht Stunden Arbeit pro Tag auf zehn Stunden hochgeschraubt wurde. Doch Raspé hat dafür eine simple Erklärung: „Die Realität im OP sieht halt so aus: Es gibt planmäßige Operationen und es gibt außerplanmäßige, also etwa Notfälle. Außerdem kann eine Operation auch mal länger als geplant dauern. Das führt dazu, dass man als Pflegekraft Überstunden macht und schnell bei einem 10-Stunden-Tag ist. Und das dann im unangenehmsten Fall fünfmal die Woche. Mit unserem Modell richten wir den Arbeitstag einfach an der Realität im OP aus, ermöglichen allen aber einen zusätzlichen Tag pro Woche frei.“

Die Zufriedenheit und die gesunkene individuelle Belastung übertrügen sich dabei auch auf die Patientinnen und Patienten im OP, sagt der Mediziner. Da das Personal entspannter sei, fühlten sich Patientinnen und Patienten wohler. Zudem steige durch das weniger belastete Personal auch die Patientensicherheit.

4-Tage-Woche: ein Gewinn auch für das Klinikum

„Man kann bei der 4-Tage-Woche sogar von einer ‘Win-win-win-Situation’ sprechen“, sagt Raspé. „Denn neben dem Personal und den Patientinnen und Patienten hat auch das Klinikum einen Nutzen. Mit der 4-Tage-Woche können wir die Einnahmen steigern. Seit der Pilot gestartet ist, haben wir einen großen Anstieg bei der Zahl der Bewerbungen. Wir konnten mehr Leute als früher einstellen. Nur so kommen wir ja auch auf einen durchgängigen OP-Betrieb trotz 4-Tage-Woche. Und mit mehr Personal können wir mehr Operationen durchführen und abrechnen.“ Für den stellv. Ärztlichen Direktor des Klinikums Fürth bietet die 4-Tage-Woche einen klaren Standortvorteil.

Mehr Flexibilität wagen

Das Beispiel des Klinikums in Fürth zeigt, dass eine 4-Tage-Woche auch in Vollzeit stattfinden kann. Im Rahmen vieler Teilzeitmodelle wird Arbeitnehmenden jedoch die Möglichkeit geboten, an vier statt an fünf Tagen die Woche zu arbeiten. Das geht in der Regel mit einer Verringerung des Lohns einher. Und verschiedene Gewerkschaften nehmen die Arbeitszeitverringerung bei vollem Lohnausgleich in ihre Forderungen auf, kämpfen also für eine kürzere Wochenarbeitszeit. Die 4-Tage-Woche kommt also recht variantenreich daher.

In einem aktuellen Debattenbeitrag haben sich Anna Kaiser, Geschäftsführerin und Gründerin des Tech-Start-ups Tandemploy und Vice President Strategy & Innovation beim Tech-Unternehmen Phenom, und Ulrich Walwei, Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit, mit den verschiedenen Varianten der 4-Tage-Woche und ihren jeweiligen Folgen für Unternehmen, Personal und Gesamtwirtschaft auseinandergesetzt. Sie kommen zu dem Schluss, dass mehr Flexibilität die beste Lösung sei. Voraussetzung sei aber auch, dass dabei die „Wünsche der Beschäftigten und die spezifischen Anforderungen der Betriebe klug miteinander in Einklang gebracht werden“. Ein flexibles Arbeitszeitmodell ist aus ihrer Sicht geboten, da eine starre 4-Tage-Woche verschiedene Spannungsfelder für Arbeitnehmende, Unternehmen und die Gesamtwirtschaft in Deutschland erzeugen kann.

In ihrem Beitrag wünschen sich die Autor*innen auch mehr wissenschaftliche Forschung zum Thema. Passend dazu läuft seit Februar 2024 ein sechsmonatiges Experiment zur 4-Tage-Woche, an dem ca. 50 deutsche Unternehmen aller Größen und Branchen teilnehmen. Organisiert wird das Experiment von Intraprenör, einem Beratungsunternehmen für Arbeitgeber, in Kooperation mit 4 Day Week Global, den Initiatoren der weltweit größten Pilotstudien zum Thema in Großbritannien, Südafrika, Australien und Irland. Im Oktober sollen die Ergebnisse vorliegen. Wir sind gespannt und bringen die Erkenntnisse für Sie mit.


Headerbild: © Klinikum Fürth / Jonathan Kielkowski