Burnout-Prävention im Nationalpark

Die Agentur für Arbeit in Gotha bietet ihren Mitarbeitern ein Burn-out-Prophylaxe-Seminar an. Veranstalter und Teilnehmer berichten über Ablauf und Sinn eines solchen Kurses.


05.12.2018 - Gunthild Kupitz -7 MinutenArbeitswelt gestalten

Die Agentur für Arbeit in Gotha bietet ihren Mitarbeitern ein Burn-out-Prophylaxe-Seminar an. Veranstalter und Teilnehmer berichten über Ablauf und Sinn eines solchen Kurses.

Was bringt ein Burn-Out-Seminar?

Faktor A: Die Agentur für Arbeit in Gotha hat ihren Mitarbeitern kürzlich zum zweiten Mal ein Seminar zur Burnout-Prävention im Waldresort am Rande des Nationalpark Hainich angeboten. Warum?

Mario Greiner: In den vergangenen Jahren ist die Zahl der psychischen Erkrankungen in Deutschland sprunghaft angestiegen, was in den Unternehmen lange Ausfallzeiten verursacht. Damit es allerdings erst gar nicht dazu kommt, möchten wir unseren Mitarbeitern Methoden an die Hand geben, mit denen sie sich selbst erden können – und sie  in die Lage versetzen, bei sich und anderen Anzeichen für eine Gefährdung zu erkennen. Unsere Mitarbeiter arbeiten ja mit und für Menschen. Deren Probleme nehmen sie manchmal auch mit nach Hause, was durchaus sehr belastend sein kann.

Wie sieht das Programm des zweitägigen Seminars aus?

Mario Greiner BA Gotha
© Agentur für Arbeit Gotha - Mario Greiner ist Pressesprecher der Agentur für Arbeit in Gotha.

Gestartet wird mit einer theoretischen Einführung, also: Was ist überhaupt ein Burnout? Wie kommt es dazu? Was unterscheidet ihn von anderen Stresssituationen? Und wie gelingt es, einen Burnout zu verhindern? Anschließend geht’s weiter mit dem praktischen Teil. Angeboten wird unter anderem Meditation, Yoga, Klangschalentherapie und Shinrin-yoku, das Waldbaden. Dabei geht es vor allem um das Rausgehen in die Natur, um das bewusste Wahrnehmen des Waldes und das Erlernen von entspannenden Atemtechniken. Abends wird dann gemeinsam gekocht und gegessen. Die Kolleginnen und Kollegen kamen beide Male mit leuchtenden Augen zurück und sagten, so ein tolles Seminar hätten sie noch nie erlebt. In der Regel bestehen unsere Fortbildungen ja aus frontal gehaltenen Fachvorträgen. Der Ansatz des Waldresorts ist ein ganz anderer: Statt nur passiv etwas aufzunehmen, geht es dort darum, etwas zu erleben, mitzumachen und sich einzulassen, vielleicht sogar auf Dinge, die man bis dahin noch nicht kannte.

Zitat:

„Würde nur einer der Teilnehmer an Burn-Out erkranken, fiele er möglicherweise für ein halbes Jahr aus.“

Die Agentur für Arbeit ist ein Arbeitgeber wie andere Unternehmen auch. Wollen Sie mit dem Präventionsseminar auch ein Vorbild sein?

Auf jeden Fall. Denn wir sind überzeugt davon, dass derartige Angebote viel stärker genutzt werden sollten. Vorbeugen ist wesentlich sinnvoller als später Arbeitsausfälle zu haben. In der Agentur für Arbeit haben wir es durchgerechnet: Lohnt es sich, abgesehen von den Ausgaben für Seminar und Hotel 14 Mitarbeiter für zwei Tage freizustellen? Unsere Antwort lautet: Ja, unbedingt! Es kostet zwar 28 Arbeitstage, aber würde nur einer der Teilnehmer sonst an einem Burn-out erkranken, fiele er mindestens für ein halbes Jahr aus. Das ist eine einfache betriebswirtschaftliche Rechnung.

Eine Teilnehmerin berichtet

Claudia Seitz, Berufsberaterin der Agentur für Arbeit in Gotha

„Warum ich mich für das Seminar beworben habe? Mich hatte das Thema angesprochen, obwohl ich mich nicht für Burnout-gefährdet halte. Zwei Tage lang komplett aus meinem Alltag als Berufsberaterin auszusteigen, um mich nur auf mich zu konzentrieren – das empfand ich als eine besondere Chance.

Seit 17 Jahren arbeite ich bei der Agentur für Arbeit. Ich betreue hauptsächlich Haupt- und Realschüler, aber auch Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss. Einige von ihnen leben in einem Kinderheim und schleppen zum Teil einen ziemlichen Rucksack an privaten Problemen mit sich herum. Mit ihnen gibt es durchaus auch mal schwierige und komplizierte Situationen, was sehr anstrengend sein kann.

Zu dem Seminar gab es vorab einen groben Ablaufplan, aber mit den Inhalten habe ich mich nicht intensiver beschäftigt; ich habe mich überraschen lassen. Mir hat alles gefallen, vor allem die Wanderung durch den Wald fand ich beeindruckend. Aber der absolute Höhepunkt war für mich die Klangschalenreise am Ende des zweiten Tages. Der Therapeut hatte unterschiedlich große Schalen mitgebracht. Deren Töne würden unsere Körper auf unterschiedlichen Ebenen erreichen, hatte er uns erklärt. Und das war tatsächlich so. Ich fühlte mich hinterher wie beflügelt und total leicht. Fast sphärisch. Dieser tiefenentspannte Zustand hielt sogar noch ein paar Tage an. Das Seminar war für mich ein Geschenk.

Inzwischen ist es eine Weile her, aber nach wie vor versuche ich bestimmte Atemübungen immer wieder mal zwischen Beratungsterminen zu machen. Ich gebe insgesamt mehr auf mich acht. Wenn es jetzt im Beruf oder in der Familie stressig wird, versuche ich mich aus der Situation rauszunehmen, und wenn es nur ein paar Minuten sind. Meinen Kollegen habe ich dringend empfohlen, sich für das Seminar zu bewerben, wann immer es angeboten wird.“

Claudia Seitz Gotha
© Agentur für Arbeit GothaClaudia Seitz, 45, ist Berufsberaterin der Agentur für Arbeit in Gotha und hat an einem Seminar für Burnout-Prävention teilgenommen.

Jürgen Dawo, Gründer des Waldresorts Hainich

Seminare zur Burn-Out-Prävention im Weltnaturerbe Hainich

Faktor A: 2014 sind Sie an einem Burnout erkrankt. Was ist passiert?

Jürgen Dawo: Ich konnte plötzlich nicht mehr einschlafen und irgendwann auch nicht mehr durchschlafen. Ich war gefangen in einem Gedankenkarussell: Entweder war ich in der Vergangenheit oder in der Zukunft, nur nie im Hier und Jetzt. Ich konnte mich auf nichts mehr konzentrieren. Wenn früher eine Liste mit zehn Punkten vor mir auf dem Schreibtisch gelegen hatte, war es mir nie schwer gefallen, sie abzuarbeiten. Doch zu dem Zeitpunkt bekam ich schon Atemnot, wenn ich sie nur sah. Es wurde für mich immer schwieriger, mein Tagesgeschäft zu erledigen. Und doch wollte ich nicht wahrhaben, dass es ein Tunnel war, in den ich gerade reinfuhr. Ich machte dann noch einen zweiwöchigen Urlaub, aber dabei hat es mir endgültig den Stecker gezogen. Nichts ging mehr. Eine befreundete Psychiaterin riet mir daraufhin dringend, mich in einer Klinik anzumelden. Drei Wochen waren geplant – sieben wurden es. Anschließend war ich weitere sieben Wochen zuhause: Ich war einfach nicht arbeitsfähig. Es hat dann insgesamt sechs Monate gedauert, bis ich meine Aufgaben wieder wie vor dem Burn-out erledigen konnte. Doch mittlerweile sind manche Projekte sogar größer als früher, weil ich ein paar Dinge verändert habe.

Was machen Sie heute anders?

Ich achte auf mich. Wenn ich merke, dass es mir nicht gut geht, lege ich eine Pause ein und verlasse das Büro. Ich gehe dann rüber in den Park, mache ganz bewusst meine Gehmediation sowie einige Atem- und Verwurzelungsübungen. Das erdet mich. Ich bin dann mit meinen Gedanken wieder in der Gegenwart und nehme alles um mich herum wahr. Während des Burnouts konnte ich nichts mehr genießen: das Wandern nicht, das Joggen nicht und auch nicht das Fotografieren. Ich hatte die Freude verloren. Weil andere das nicht erleben sollten, überlegte ich schon in der Klinik mit meinem Arzt, wie man bei den ersten Anzeichen frühzeitig gegensteuern könnte. So entstand die Idee für das Waldresort. Zusammen mit den Leitern des Nationalparks Hainich sowie Ärzten, Therapeuten und Trainern habe ich dann das Konzept entwickelt.

Was ist das Besondere an Ihren Seminaren?

Wie bieten verschiedene Kurse an, die entweder drei, fünf oder sieben Tage dauern. Um niemanden abzuschrecken heißen diese Auszeiten bei uns „natürliche Stressbewältigung“ und „Shirin-yoku Waldbaden“, sind aber inhaltlich nichts anderes als Burnout-Prophylaxe. Die Teilnehmer lernen unter Anleitung von erfahrenen Therapeuten, Psychologen und Heilpraktikern zu meditieren, Yoga zu üben und der Wirkung von Klangschalen nachzuspüren. Das wirklich Besondere sind die Wanderungen durch den Nationalpark, die ich gelegentlich selbst führe. Dann liegen wir über eine halbe Stunde lang still im Laub, hören und riechen den Wald, um anschließend darüber zu sprechen, wie wir uns dabei gefühlt haben. Wenn sie wieder abreisen, wissen die Teilnehmer, was ihnen gut tut. Und dass sie sich jede Woche kleine Auszeiten gönnen sollten. Es kommt allerdings auch immer wieder vor, dass ein Therapeut jemanden zur Seite nimmt, weil er ihn für gefährdet hält, in den Burn-out abzurutschen.

Sie selbst gehen ganz offen mit Ihrer Erkrankung um.

Ja, weil es wichtig ist. Und weil ich authentisch davon erzählen kann. So gelingt es mir hoffentlich, andere zu überzeugen, wie notwendig es ist, auf sich zu achten. Denn viele trinken abends noch eine Flasche Wein, um schlafen zu können. Oder lassen sich vom Hausarzt Stimmungsaufheller verschreiben. Etwa die Hälfte der Menschen in meiner Klinik hatte zuvor einen Entzug machen müssen. Meiner Erfahrung nach sind es vor allem die Machertypen, die gefährdet sind. Die, die sich für unersetzlich halten. Die zu wenig Zeit mit der Familie verbringen und zu wenig Urlaub machen. Die landen oft für Wochen in einer Klinik.

Zitat:

„Leute, ihr jammert alle, dass ihr keine Fachkräfte habt. Dann haltet doch wenigstens die, die ihr habt.“

Deshalb halte ich heute auch weniger Vorträge über Strategie und Verkaufstechnik, sondern darüber, wie Menschen gesund bleiben können. Den Personalverantwortlichen und Unternehmern sage ich dann immer: „Leute, ihr jammert alle, dass ihr keine Fachkräfte habt. Dann haltet doch wenigstens die, die Ihr habt. Gebt ihnen bei den ersten Warnhinweisen Hilfen an die Hand und zeigt ihnen damit, dass sie Euch wichtig sind.“

Burnout-Prävention als Mitarbeitermotivation – zahlt sich diese Investition wirklich aus?

Ich bin fest davon überzeugt. Denn zum einen wird dadurch die Bindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gestärkt. Zum anderen erhält man so auch die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter. Ganz wichtig ist allerdings, dass sie für die Auszeit nicht ihr Wochenende opfern müssen, sondern selbstverständlich freigestellt werden. Alles andere wäre nicht sinnvoll.

Weltnaturerbe

Nationalpark Hainich

Jahrzehntelang war der Hainich militärisches Sperrgebiet: Erst wurde er von der Wehrmacht genutzt, dann von der NVA. Weil aber große Bereiche des 160 Quadratkilometer umfassenden Gebiets sich selbst überlassen blieben, entwickelt sich dort ein Urwald. Ein Teil des Nationalparks wurde deshalb zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt. An dessen östlichen Rand liegt das Waldresort Hainich. Von Hannover ist es knapp 200 Kilometer entfernt, von Frankfurt etwa 240 Kilometer.


Titelfoto: © Davide Illini/Stocksy