Qualifizierte Fachkräfte sind heutzutage ein Erfolgskriterium - und sehr oft weiblich.
24.11.2014 - Redaktion Faktor A -9 MinutenArbeitswelt gestalten
Qualifizierte Fachkräfte sind heutzutage ein Erfolgskriterium - und sehr oft weiblich. Wenn Unternehmen Frauen Karriere und Familie ermöglichen, können sie mit motivierten, gut ausgebildeten und loyalen Mitarbeiterinnen rechnen.
Als Patricia Rezic die ersten Preise für chancengerechte Personalpolitik entgegennahm, griff sie zum Lexikon: „Ich musste nachschauen, was Diversity in diesem Zusammenhang überhaupt bedeutet“, sagt die 40 Jahre alte Wirtschaftsinformatikerin. Seit fünf Jahren arbeitet sie für Projektron, einen Berliner Spezialisten für webbasierte Projektmanagement-Software. Neben dem Controlling hat sie die Personalabteilung mit aufgebaut. „Wir machen hier nichts, nur weil es modern klingt, sondern das, was unsere Mitarbeiter brauchen.“ Ganz oben auf der Wunschliste: flexible Arbeitszeiten und Verständnis für die Bedürfnisse von Eltern.
Teilzeit und Führungskraft – kein Widerspruch
Davon profitiert etwa Janice Kwiatkowski. Über eine Stunde braucht sie für den Weg ins Büro. Um ihre dreijährige Tochter trotzdem nachmittags rechtzeitig aus der Kita abholen zu können, arbeitet sie in Teilzeit – ein Standardmodell für die Mehrheit der berufstätigen Mütter in Deutschland –, egal, ob sie in einer festen Partnerschaft leben oder alleinerziehend sind, wie Janice Kwiatkowski. Während viele Frauen nach der Geburt eines Kindes die Karriere zurückstellen, führt die IT-Fachfrau ein 18-köpfiges Team – in Teilzeit. Bei Projektron leitet sie die Abteilung Technische Beratung & Support. Die beiden Geschäftsführer Maik Dorl und Marten Huisinga reagierten 2011 entspannt auf ihre Familiengründung. „Wenn hier jemand ein Baby bekommt, freuen sich alle ehrlich mit“, sagt Kwiatkowski.
Anstatt die Teamleiterin durch eine Vollzeitkraft zu ersetzen, wie es in vielen anderen Betrieben Usus ist, wurden ihre Aufgaben auf drei Teammitglieder verteilt. Einer übernahm den technischen Part, einer die Prozessverantwortung und ein dritter Kollege Personalaufgaben. Kwiatkowski beantragte ein Jahr Elternzeit, übernahm aber bereits nach rund neun Monaten von zu Hause aus freiwillig kleinere Arbeitspakete. „Mich hat niemand gedrängt. Das war einfach ideal, um wieder reinzukommen und den Kontakt zu den Kollegen zu halten“, sagt sie. An vier Tagen pro Woche kommt sie inzwischen für jeweils fünf Stunden ins Büro, freitags arbeitet sie von zu Hause aus.
Ersatzspieler stehen bereit
Die Teilzeit-Führungskraft ist bei Projektron keine Ausnahmeerscheinung. Mehr als 40 Prozent der jungen Belegschaft arbeiten mit reduzierter Stundenzahl – Mütter und Väter, aber auch kinderlose Kollegen, die berufsbegleitend studieren oder private Projekte verfolgen. Auch Personalverantwortliche dürfen kürzertreten: „Wir haben festgestellt, dass Führen in Teilzeit bei uns gut funktioniert“, sagt Geschäftsführer Maik Dorl. Aktuell haben fünf von neun der Führungskräfte ihre Arbeitszeit auf 24 bis 34 Wochenstunden verkürzt, darunter auch Personalleiterin Patricia Rezic. „Ohne die Option auf Teilzeit hätte ich die Stelle gar nicht angetreten“, sagt sie. Derzeit arbeitet sie 24 Wochenstunden, um Zeit für ihren 11-jährigen Sohn zu haben. Ihr Mann arbeitet als System-Engineer bei einem Berliner Internetunternehmen.
Damit der Betrieb trotz hoher Teilzeitquote reibungslos läuft, hat Projektron interne Abläufe darauf ausgerichtet: So hat grundsätzlich jeder Beschäftigte mindestens eine Vertretung, mit der er sich regelmäßig abstimmt. Fällt Janice Kwiatkowski einmal aus, können ihre Ersatzspieler aus der Elternzeit einspringen. Die freuen sich im Gegenzug über die Chance, Führungserfahrung zu sammeln. In die firmeneigene Projektmanagement-Software trägt jeder berufliche und private Termine gleichberechtigt in den Kalender ein. Termine werden realistisch geplant. Wird das Meeting überzogen, obwohl man um 15 Uhr sein Kind abholen muss, darf man gehen. Ohnehin finden nach drei keine Besprechungen mehr statt. Auch für Arbeitseinsätze während einer Freistellung hat das Unternehmen eine pragmatische Lösung gefunden: Die Stunden werden dem persönlichen Zeitkonto angerechnet und können später bei Bedarf wieder verbraucht werden.
Flexible Arbeitgeber bekommen die besseren Bewerber
Der organisatorische Zusatzaufwand lohnt sich. „Bei Projektron kehren die Kolleginnen im Schnitt schon nach neun bis zehn Monaten aus der Elternzeit zurück“, sagt Personalleiterin Rezic. Zum Vergleich: Bundesweit stehen nur rund 30 Prozent aller Mütter mit einem Kind unter drei Jahren aktiv im Erwerbsleben, viele steigen erst nach zwei bis drei Jahren wieder ein. Eine schnellere Rückkehr zahlt sich nicht nur auf dem Gehalts- und Rentenkonto der Frauen aus, sondern bringt auch dem Unternehmen Vorteile. Mütter (und Väter) bleiben technisch und fachlich auf der Höhe der Zeit, die Kosten für die Wiedereingliederung fallen nach einer kurzen Auszeit geringer aus. Nach einer dreijährigen Elternzeit kostet die Wiedereingliederung dagegen fast so viel wie das Einarbeiten eines neuen Angestellten. Auch die aufwendige Suche nach einer befristet beschäftigten Vertretung erübrigt sich. Personalberatern zufolge summieren sich die Kosten für die Neubesetzung einer Stelle, angefangen von der Suchanzeige bis zur Einarbeitung der neuen Kraft, schnell auf ein halbes Jahresgehalt oder mehr.
Weiterer Pluspunkt: „Durch die Möglichkeit, die Arbeitszeiten an persönliche Bedürfnisse anzupassen, sind unsere Beschäftigten motivierter“, sagt Maik Dorl. Ein Effekt, den die Arbeitszeitforschung bestätigt und der bei Projektron auch an hoher Arbeitsqualität, wenig Krankheitstagen und einer geringen Fluktuation abzulesen ist. Weil Familiensituation oder Teilzeitwünsche bereits im Vorstellungsgespräch angesprochen werden, geben zudem gerade ambitionierte Frauen, die Kind und Karriere kombinieren wollen, dem Mittelständler eher den Vorzug vor renommierteren Adressen. Mehr als 40 Prozent der Belegschaft sind weiblich – in der IT-Branche ein weit überdurchschnittlicher Wert. „Mit flexiblen Arbeitszeitmodellen ermöglichen wir es hoch qualifizierten Frauen mit Kindern, bei uns Verantwortung zu übernehmen und sich beruflich zu entwickeln“, sagt Dorl. Nebenbei sichert er sich so eine größere Auswahl an exzellenten Bewerberinnen und Bewerbern. Denn die werden aufgrund des demografischen Wandels immer seltener. Wer als Unternehmen weniger oder eher regional bekannt ist, muss daher noch mehr Anstrengungen unternehmen als andere Arbeitgeber, um beispielsweise gut ausgebildete Frauen für sich zu gewinnen und anschließend auch im Betrieb zu halten.
Wie Krippe und Karriere zusammenhängen
Neben entsprechenden Arbeitszeitmodellen und einer elternfreundlichen Unternehmenskultur ist die betriebliche Unterstützung bei der Kinderbetreuung wichtig. Immer noch haben Eltern von Kleinkindern Probleme, einen geeigneten Platz zu finden. Von den unter Dreijährigen besuchen bundesweit nur rund 30 Prozent eine Krippe. Im Westen liegt der Anteil sogar unter 25 Prozent, im Osten immerhin bei knapp 50 Prozent.
Die Politik allein kann hier nicht helfen, wie Jutta Allmendinger findet. Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) fordert, Familienpolitik und Unternehmen stärker zu verzahnen, da beide das Ziel hätten, eine familienfreundliche Beschäftigung zu erreichen. Wenn die Politik beispielsweise mit Vätermonaten beim Elterngeld Männer ermutige, ihren Job zu unterbrechen und ihr Kind zu betreuen, müsse die Wirtschaft nachziehen. Denn auch Väter möchten sich heute oft mehr einbringen. Nach einer Studie des Familienforschers Wassilios Fthenakis wünschen sich zwei Drittel, die Entwicklung ihrer Kinder intensiver mitzuerleben und zu prägen.
Zitat:
„Führen in Teilzeit funktioniert gut bei uns." Maik Dorl, Geschäftsführer Projektron
In vielen Unternehmen herrscht jedoch noch Nachholbedarf. Nur rund jede zehnte Frau mit Kind oder Kinderwunsch fühlt sich ausreichend von ihrem Unternehmen unterstützt. Jede zweite wünscht sich betriebliche Betreuungsangebote für Notfälle und für die Ferien. Und mehr Vorbilder: Nur ein Viertel der Befragten fand, dass die Führungskräfte in puncto Vereinbarkeit mit gutem Beispiel vorangehen.
Solche Probleme kennt Alexandra Schäfers nicht. Die 34 Jahre alte Wirtschaftsjuristin leitet die Abteilung Qualitätswesen und Recht beim Büroproduktehersteller Durable in Iserlohn. Die Vollzeitkraft arbeitet zwar überwiegend im Büro, hat aber die Möglichkeit auch von zu Hause aus für die Firma tätig zu sein. Bevor sie ins Home Office wechselt, holt sie täglich ihre zwei Kinder aus der betriebseigenen Tagesbetreuung – „satt und glücklich“, sagt sie. Vor einem Jahr hat das Familienunternehmen auf dem Firmengelände eine eigene Tagespflege für Kinder unter drei Jahren eingerichtet – um die Karriereplanung der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erleichtern, wie Geschäftsführer Horst-Werner Maier-Hunke erklärt. Drei Tagesmütter kümmern sich bis 16 Uhr um maximal neun Kinder, nach Absprache auch darüber hinaus. Von rund 130 Beschäftigten am Stammsitz Iserlohn haben derzeit fünf ein Kind dort untergebracht. Die Firma beteiligt sich an den Betreuungskosten.
Bundesweit haben rund 600 Unternehmen Betriebskindergärten eingerichtet: Konzerne wie BASF, Bayer, Henkel oder Carl Zeiss, aber auch Mittelständler wie Durable mit bundesweit etwa 450 Beschäftigten. Unternehmen, die keine eigenen Kapazitäten binden können, buchen alternativ oft Belegplätze in nahegelegenen Betreuungseinrichtungen. Aber auch Unterstützung bei der Suche nach einem geeigneten Platz für ihr Kind, finanzielle Zuschüsse und gute Informationsangebote wissen viele berufstätige Mütter und Väter zu schätzen.
Traditionelle Rollenbilder aufbrechen
So gibt es in der Zentrale der Edeka Minden-Hannover seit Anfang des Jahres eine neu geschaffene Planstelle für die „Vereinbarkeit von Beruf & Familie und Frauenförderung“. Passend zum Thema teilen sich zwei Kolleginnen die Position. Neben dem Aufbau eines Online-Informationsportals beraten sie persönlich zu Themen wie Pflege von Angehörigen, Kinderbetreuung, Elternzeit und Wiedereinstieg. Die Handelsgruppe hat sich zum Ziel gesetzt, den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen. Zwei Jahre lang hat dazu ein Arbeitskreis, besetzt mit 17 Frauen aus allen Unternehmensbereichen, unternehmensinterne Hemmnisse für Frauen analysiert. Entstanden ist die Idee zu dem Projektkreis 2012 während der Frauenfußball-WM, als in den Märkten Marketingaktionen unter dem Motto Frauen-Power liefen: „Wir wollten mehr machen als eine Werbeaktion und haben uns gefragt, wie sieht es eigentlich bei uns selbst aus“, sagt Heike Rohlfing-Bolte, Geschäftsbereichsleiterin Controlling und Mitbegründerin des Frauenforums. Denn obwohl im Einzelhandel der Frauenanteil bei rund 80 Prozent liegt, sind weibliche Führungskräfte im höheren Management auch bei Edeka deutlich unterrepräsentiert. Mit den Erkenntnissen aus dem Arbeitskreis will man jetzt den Kulturwandel schrittweise vorantreiben und beispielsweise mehr Stellen in Teilzeit anbieten sowie Maßnahmen zur Frauenförderung zum Bestandteil von Zielvereinbarungen machen.
Eine sinnvolle Maßnahme, findet Carsten Wippermann. Im Auftrag des Bundesfamilienministeriums hat er untersucht, warum nach wie vor nur wenige Frauen in Führungspositionen gelangen. Ergebnis: Traditionelle Rollenbilder und Vorurteile gegenüber der Frau – sie sei ein fleißiges Arbeitsbienchen, das nicht delegieren kann, oder eine Karrieristin, die härter vorgeht als jeder Mann – lassen sich ohne sanften Druck von außen kaum aufbrechen. Als hilfreiche Instrumente nannten die befragten männlichen und weiblichen Führungskräfte hierbei insbesondere betriebsinterne Mentoring-Programme, betriebliche Zielvereinbarungen bis hin zur Aufnahme von Gleichstellungsaspekten in den Geschäftsbericht, außerdem ein modernes Personalmanagement, das unterschiedliche Bedürfnisse von Männern und Frauen berücksichtigt, Quereinstiege fördert und Frauen gezielt zu Karrieresprüngen ermutigt. Umsetzen lassen sich diese Maßnahmen in kleinen wie großen Betrieben quer durch alle Branchen. „Strategische Klugheit verlangt heute und in Zukunft Diversität“, so Studienleiter Wippermann. Gemischte Führungsteams tragen zur Vielfalt der Perspektiven im Management bei und helfen, Chancen zu erkennen und Risiken zu vermeiden. Männliche Monokulturen gelten dagegen als kaum noch überlebensfähig.