Gründen in der Krise

Einen sicheren Job für die Gründung des eigenen Unternehmens aufgeben, und das auch noch in Zeiten von Corona. Franziska Turre erzählt, warum sie sich selbstständig gemacht und wie die Arbeitsagentur sie unterstützt hat.


28.04.2021 - Philipp Hertel -23 MinutenArbeitswelt gestalten
Frau und Mann - Franziska Turre und Mario Greiner
Franziska Turre und Mario Greiner

Franziska Turre hat im Corona-Sommer 2020 ihre sichere Stelle aufgegeben, um sich mit einem Coachingunternehmen selbstständig zu machen. Mario Greiner von der Bundesagentur für Arbeit hat sie dabei beraten, denn er meint: „Die richtige Zeit, um zu gründen, ist dann, wenn der Gründer sagt: ,Jetzt geht’s los.’" Im Podcast erzählen die beiden, welche Faktoren für einen erfolgreichen Start in die Laufbahn als Selbstständige oder Selbstständiger entscheidend sind.



 

Philipp Hertel: Ich habe heute eine junge Frau zu Gast, die ich zuerst für ein bisschen wahnsinnig hielt, als ich ihre Geschichte gehört habe. Sie selbst sieht das wenig überraschen anders. Sie hat im Sommer 2020, mitten in der Pandemie, ihren sicheren Job gekündigt und sich selbstständig gemacht, weil sie eine Idee hatte und sicher war: „Diese Idee, die krieg ich auf die Straße.“ Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Faktor A, dem Podcast für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Die Frau, die ich für ein bisschen irre hielt, heißt Franziska Turre und ich kann schon mal verraten, sie ist kein bisschen irre. Sie hat mit ihrem ehemaligen Kollegen Michael Kannegiesser die Beratungs Agentur Perspektivwechsel Erfurt gegründet. Turre ist Coach, Kannegiesser BWLer und zusammen helfen sie Menschen dabei, ihre Potenziale zu entfalten. Wer bei den beiden Kunde war, soll hinterher wissen, wie er das, was er kann, noch besser zur Geltung bringen kann. Es kommt jetzt noch ein Dritter ins Spiel. Mario Greiner heißt der Mann. Greiner ist Pressesprecher bei der Agentur für Arbeit in Gotha und wahnsinnig gut vernetzt. Dass Franziska Turre und Michael Kannegiesser den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt haben, das haben sie auch Mario Greiner zu verdanken. Ich bin gespannt, was die Gründerin Franziska Turre nach ihren ersten Monaten in der Selbstständigkeit zu erzählen hat und wie Mario Greiner die ganze Sache heute einschätzt. Liebe Frau Turre, Sie haben sich heute Zeit genommen für den Faktor Podcast. Vielen Dank. Wissen Sie noch genau, wann Sie Ihre Agentur gegründet haben?

Franziska Turre: Erstmal danke, dass ich dabei sein darf. Ich freue mich sehr. Ja, wir haben uns am 1. 10. 2020 gegründet. Offiziell.

Philipp Hertel: Ok. Das war so ungefähr vor oder nach dem Lockdown. Es verschwimmt ja so ein bisschen alles in der Erinnerung. Das heißt jedenfalls mitten in der Corona Krise. Können Sie ein bisschen erzählen: Was war Ihre Idee für die Gründung und was hat Sie dazu bewogen, es zu machen, obwohl wir mitten in einer Pandemie sind?

Franziska Turre: Ich hab mich zusammen mit meinem Geschäftspartner gegründet und wir waren vorher in einer Regionalleitung eines bundesweit bestehenden Bildungsträgern und haben eigentlich auch das gemacht, was wir jetzt auch machen. Und dann gab es aber durch die Krise mit der Geschäftsführung Probleme. Also da hat man einfach gemerkt, dass bestimmte Wertevorstellungen und Qualitätsansprüche nicht mehr zusammenpassen. Und dann ist irgendwann erst einmal aus einer Idee heraus entstanden, wir könnten das ja auch selber machen und aus der Idee ist dann relativ schnell ein Konzept entstanden und dann ging alles ganz schnell.

Philipp Hertel: Das heißt, die Entscheidung für die Gründung lief sogar in der Krise.

Franziska Turre: Genau die ist im Juni, Juli getroffen worden.

Philipp Hertel: Jetzt müssen Sie mir verraten: Was machen Sie denn genau? Also wir haben es schon im Eingang ein bisschen gehört. Aber wie sieht das Geschäftsmodell genau aus? Und was um alles in der Welt hat sie dazu gebracht zu glauben, dass es auch in der Krise eine Nachfrage dafür geben könnte?

Franziska Turre: Also wir haben verschiedene Bereiche. Unser Haupt Bereich ist eigentlich Coaching und Beratung. Das heißt, wir unterstützen unter anderem Leute dabei, die auf Jobsuche sind, vor allem Führungskräfte, Fachkräfte und Akademiker. Und mein Kollege macht Existenzgründung Coaching. Also unterstützt Menschen, die sich selbstständig machen wollen. Alles, was Thema Businessplan ist, Ertragsvorschau, Marketingkonzept und was so dazugehört, auch Unterstützung bei den bürokratischen Wegen. Und wir sind außerdem als Unternehmensberatung akkreditiert. Das heißt, wir können auch Unternehmen beraten, gefördert, die eben auch gerade jetzt in der Krise vor wirtschaftliche Probleme gestellt werden oder Probleme, die sie vielleicht vorher nicht kannten. Und dann geben wir auch noch Unternehmenseminare. Das ist natürlich etwas, was jetzt durch die Krise nicht so möglich ist, aber das wird dann hoffentlich bald wieder möglich sein.

Philipp Hertel: Sie gehen in Ihrer Selbstbeschreibung auch auf Ihrer Website ganz offen mit dem Thema um, dass Sie nicht mehr zufrieden waren mit dem, was Sie gemacht haben. Und ich denke mal, dass das für viele Menschen gilt. Da gibt es ja auch immer wieder Studien zu, die über Zufriedenheit im Job schreiben. Und da frage ich mich: Ist das eine bewusste Entscheidung, so konkret das auch zu thematisieren, auch die eigene Unzufriedenheit in die Gründung mit reinzubringen und hat sie das auch gewissermaßen unter Druck gesetzt, es dann auch durchzuziehen, auch oder obwohl diese Krise über uns hereingebrochen ist?

Franziska Turre: Also es ist ja so, dass ich viele Menschen dabei unterstütze, auch beruflich das für sich zu finden, was sie erfüllt und was sie ausfüllt und was sie machen wollen, auch in einer Umgebung, die ihnen gefällt. Also es geht ja nicht nur um die Tätigkeit, die man macht, sondern es hat ja auch immer mit dem Umfeld zu tun, indem man das tut. Und dann dachte ich mir Okay, ich kann ich sozusagen Wasser predigen und Wein trinken. Also wenn ich selber sage, ich möchte mich ausleben oder ich müsste das tun, was mir Spaß macht, dann brauche ich ein Umfeld, was das möglich macht. Und das ist natürlich, wenn man sich selber gründet, hat man ganz andere Möglichkeiten und kreativen Spielraum, als man es hat, wenn man noch eine Geschäftsführung über sich hat. Also von daher war das dann irgendwann die Entscheidung zu sagen Okay, ich möchte da ganz viel bewegen und tun und möchte das aber auch unter den Voraussetzungen tun, die mir wichtig sind.

Philipp Hertel: Ja, das kann ich nachvollziehen. Herr Greiner, Sie sind Pressesprecher bei der Bundesagentur für Arbeit und haben Frau Turre auch in diesem Prozess beraten und ich würde sagen, auch bestärkt. Hatten Sie da immer ein gutes Gefühl, das in dieser Pandemie Zeit zu machen; jemanden aus der sicheren Position heraus, ja ins kalte Wasser zu stoßen und ihn dabei zu begleiten?

Mario Greiner: Also wir haben uns auf einer Veranstaltung im Juni letzten Jahres kennengelernt und da kam die Idee auf, dass man sich gründen und selbstständig machen will. Für uns ist Krise immer so auch ein Zeichen eines Katalysators. Also Krise beschleunigt manchmal auch Prozesse, die man ansonsten gerne hinauszögert und hinausschiebt. Und wir stellen eigentlich fest, wenn wir Menschen beraten, die sich mit dem Gedanken der Selbstständigkeit tragen, dass sie die Entscheidung, sich selbstständig zu machen, in einer Krise viel konkreter und viel bewusster treffen als in sehr stabilen Zeiten. Dazu braucht man natürlich eine gute und tragfähige Idee und die habe ich bei Frau Turre und ihrem Partner Michael Kannegiesser gesehen. Die waren beide also von dem, was sie machen und wie sie es machen wollen, sehr stark überzeugt. Und wenn sowas vorherrscht, kann man eigentlich Menschen nur raten, diesen Weg weiterzugehen.

Philipp Hertel: Ja, das ist interessant an dieser Stelle. Und welche Rolle kann denn die Bundesagentur dann einnehmen, wenn man dieses Interesse auftritt? Und sie sagen Ja, das klingt spannend und es überzeugt sie auch persönlich. Aber was kann die Arbeitsagentur denn dann konkret machen?

Mario Greiner: Ja, ganz konkret können wir erstens auf dem Weg beraten. Zweitens können wir finanziell unterstützen mit dem sogenannten Gründungszuschuss, der also für eine begrenzte Zeit gezahlt wird und den Gründer in der Gründungsphase unterstützt, insbesondere finanziell. Darüber hinaus gibt es natürlich auch die Möglichkeit, dass wir die Gründer beraten und coachen lassen über einen sogenannten Vermittlungs-Gutschein. Das heißt, es gibt dann ein externes Existenzgründer Coaching und darüber hinaus sind wir in der Lage, unsere Netzwerkpartner zu aktivieren und den Gründungsinteressenten zu zeigen, wo Sie unbedingt nochmals sich hinwenden sollten, wo Sie weitere Unterstützungs und Beratungsangebote bekommen.

Philipp Hertel: Frau Turre, Sie sind ja selbst Coach. Sagt man eigentlich Coach oder Coachin?

Franziska Turre: Man kann beides sagen.

Philipp Hertel: Okay, was ist Ihnen lieber?

Franziska Turre: Coach. Coach ist völlig in Ordnung.

Philipp Hertel: Alles klar. Also Sie sind ja selbst ausgebildeter Coach und haben dann quasi selbst ein Coaching in Anspruch genommen. Wie fühlt sich das an? Wie ist das, wenn wenn man das, was man selbst tut, auch von anderen erlebt?

Franziska Turre: Also wir haben ja dadurch, dass mein Partner selber Existenzgründungs-Coaching macht, haben wir jetzt kein Coaching in Anspruch genommen, was die Existenzgründung angeht, weil er da einfach fit ist und weiß, was gibt’s für Möglichkeiten, wie muss man vorgehen, welche bürokratischen Wege, was für Versicherungen braucht man alles, was dazugehört. Das heißt, wir wurden jetzt in dem Bereich nicht selber gecoacht, aber dadurch, dass ich jetzt auch eine systemische Coaching Ausbildung gemacht habe, die ich jetzt im Januar abgeschlossen habe, ist das Thema natürlich sehr virulent und ganz wichtig. Und es ist auch als Coach selber wichtig, sowas wie Supervision zu machen und sich selber immer mal coachen zu lassen.

Philipp Hertel: In dieser Gründungsphase, wie muss ich mir das vorstellen? Sie haben dann gesagt Ja, wir machen das jetzt ist eine gute Sache. Und ist es der richtige Zeitpunkt? Wir wissen es nicht. Wir machen es aber trotzdem. Haben Sie da manchmal so Momente, wo Sie gedacht haben Was mache ich, wenn es nicht klappt? Was ist mein Plan B oder haben Sie einen Plan B komplett ausgeschlossen?

Franziska Turre: Ehrlich gesagt habe ich den komplett ausgeschlossen. Also ich glaube, wenn man die Entscheidungen trifft, dann sollte man komplett dahinter stehen. Und das Gute ist ja, dass wir eben Menschen unterstützen. Und gerade durch die Krise gibt es auch viele Leute, die Unterstützung brauchen. Ob das jetzt auf der Jobsuche ist, ob das auch in Unternehmen ist, wo es Probleme gibt, ob das auch im privaten Bereich ist. Also das systemische Coaching, das kann man ja auch im privaten Bereich anwenden. Das heißt, ich bin eigentlich immer davon ausgegangen, dass es mehr Bedarf gibt, als es den vorher gab und war komplett und bin immer noch komplett überzeugt von der Idee. Und ich glaube, das ist auch wichtig, dass man da wirklich komplett dahinter steht.

Philipp Hertel: Braucht man heute, um selbstständig zu sein oder unternehmerisch tätig zu sein, einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund oder ist das etwas, was man sich auch so trauen kann?

Franziska Turre: Ich denke es ist gut, wenn man gerade in der Gründungszeit jemanden an der Seite hat, der sich auskennt mit bestimmten betriebswirtschaftlichen Fragestellungen. Dafür sind ja solche Coachings unter anderem auch da. Und man kann ja auch im späteren Verlauf, indem man sich z.B. von einem Steuerberater beraten lässt usw.. Man kann nicht alles mitbringen, also man kann nicht alles wissen. Und es gibt ja auch Leute, die sich eher im kreativen Bereich selbstständig machen oder im handwerklichen Bereich. Das sind ja nicht unbedingt die Leute, die jetzt unbedingt eine Zahlenaffinität haben. Also von daher ist es glaube ich wichtig, dass man das richtige Umfeld hat und Unterstützung holt in dem Bereichen, indem man sich vielleicht selber nicht so gut auskennt.

Philipp Hertel: Ich habe gesehen, dass Sie auch einen akademischen Teil in Ihrer Karriere haben, dass Sie auch mal an der Uni gearbeitet haben. Gibt es etwas, was Sie aus dieser Welt gelernt haben, was Sie heute noch brauchen können?

Franziska Turre: Also ich habe da sehr viel über mich selbst vor allem gelernt, über meine Arbeitsweise, über das, was mir Spaß macht und das, was mir vielleicht auch nicht so viel Spaß macht. Dadurch, dass ein Bereich war, der jetzt so gar nichts mit dem zu tun hat, was ich heute mache, ist es nicht unbedingt so, dass es so die fachlichen Themen sind, sondern eigentlich eher so persönliche Themen oder persönliche Kompetenzen, die ich da ausbauen konnte, die mir heute auch noch helfen. Und ich habe natürlich auch viele Kunden, die selber im akademischen Bereich tätig sind oder sein wollen. Und da ist es natürlich auch gut, weil man selber den akademischen Bereich kennt und sich da auskennt und die Leute dann eben auch dementsprechend beraten kann.

Philipp Hertel: Ja, das kann ich mir vorstellen, dass man sich in dieser Lebenswelt einfach auskennt. Herr Greiner, Sie sind in Erfurt, beziehungsweise in Gotha ansässig, aber auch für den Bereich Erfurt zuständig und überhaupt für den für den Raum. Wie beobachten Sie den Markt in dieser Krise in diesem Jahr 2020, 2021? Wie haben Sie den wahrgenommen? Was waren da die Herausforderungen bei dem Thema Selbstständigkeit?

Mario Greiner: Also zuerst muss ich korrigieren Ich bin nicht für den Raum Erfurt zuständig, auch wenn wir sehr nah dran liegen, sondern nur für die Landkreise Gotha und den Unstrut-Heinig-Kreis, aber natürlich schauen wir auch über die Kreisgrenzen hinaus. Wie sind die Entwicklungen in Thüringen? Das Thüringer Landesverwaltungsamt hat erst letzte Woche oder diese Woche herausgebracht. Eine Studie, wie sich die Gewerbe-Neuanmeldung im letzten Jahr in Thüringen entwickelt haben und festgestellt, dass es einen Rückgang um 8,6 Prozent gab. Wir sehen eine ähnliche Entwicklung für Gesamtthüringen, was den Gründungszuschuss angeht. Wobei ich sagen muss bei uns in der Agentur für Arbeit in Gotha haben wir in derselben Größenordnung wie in den Vorjahren Neugründungen finanziell unterstützen können. Dort haben wir also keinen Einbruch gesehen. Das sind immer so um die 90 Gründungen und wir unterstützen die einfach mal, um eine Hausnummer zu nennen, mit rund einer Million Euro im Jahr.

Philipp Hertel: Das ist eine ganze Menge. Die Frage, die ich mir stelle an dieser Stelle, Herr Greiner, wenn Sie die Menschen kennenlernen, die das machen – und Sie machen das ja schon eine ganze Weile – jetzt werden Sie nicht jeden persönlich kennen. Aber stellen Sie da so Eigenschaften fest, an denen Sie schon früh festmachen können: „Das wird was“ oder „das könnte schwierig werden.“ Gibt es da so Anlagen, die Sie beobachten in den Menschen, die Sie betreuen, die Sie optimistisch stimmen?

Mario Greiner: Naja, es ist ja ein ganz buntes Gemengelage mit Ideen, die da auf uns einprasseln und auch auf unsere Vermittlungs Fachkräfte. Deshalb können wir zum Teil gar nicht beurteilen, was jemand tatsächlich machen will. Und das bedeutet dann für uns und das ist auch ganz wichtig beim Gründungszuschuss, dass der Gründer sich mit einem Existenzgründungsplan bei einer sachkundigen und fachkundigen Stelle vorstellen muss. Dazu gehört eine Kurzbeschreibung des Vorhabens, eine Auflistung des Kapital- und Finanzierungsbedarf und eine Umsatz-und Rentabilitätsvorschau. Und erst wenn diese fachkundige Stelle, das sind in der Regel die Kammern uns das Signal gibt, dass das Gründungs Konzept tragfähig ist, dürfen wir überhaupt den Gründungszuschuss auszahlen. Das heißt, wir bedienen uns da wirklich auch der Fachleute und der Fachkompetenz, die es in den Kammern und Verbänden gibt.

Philipp Hertel: Die ganzen Begriffe, die Sie gerade erwähnt haben, die machen mir fast ein bisschen Angst, wenn ich die so höre. Frau Turre, als Sie das gehört haben, Rentabilitätsvorschau. Das ist ja ein Wort, das man sich mal auf der Zunge zergehen lassen muss. Ich kann mir darunter etwas vorstellen, aber hat sie das erst einmal auch manchmal ein bisschen abgeschreckt? Oder was für ein Gefühl hat es bei Ihnen ausgelöst?

Franziska Turre: Also der ganze bürokratische Aufwand, den man tätigen muss, um sich selbstständig zu machen, schreckt grundsätzlich erst einmal ab, wenn man bisher nur in einem Angestelltenverhältnis war. Ich hatte das Glück, dass mein Geschäftspartner Michael Kannegiesser sich in dem Bereich sehr, sehr gut auskennt und dementsprechend einfach mit seiner Erfahrung, die er gemacht hat, uns da sehr unterstützen konnte oder beziehungsweise uns viel abgenommen hat. Also das heißt, ich musste mich einfach mit bestimmten Dingen nicht so intensiv beschäftigen wie das Gründer machen müssen, die das z.B. alleine machen oder einfach da die Vorkenntnis nicht haben.

Philipp Hertel: Das kann ich mir vorstellen. Jetzt machen Sie es ein paar Monate immerhin schon und es ist vielleicht noch ein bisschen zu früh für den ganz großen Rückblick. Aber die ersten hundert Tage sind rum und meine Frage wäre einfach: Gibt es schon was, was sie anders machen würden? Jetzt schon, heute?

Franziska Turre: Nein, das kann ich eigentlich nicht sagen. Ich glaube, wir haben wirklich unser Bestes getan und es ist auch besser angelaufen, als wir uns gewünscht haben. Also das, was Sie eben gesagt haben mit der Rentabilitätsvorschau ist ja wirklich so ein Glaskugel schauen. Ja, man macht dann so eine Erstragsvorschau für zwei oder drei Jahre. Und das ist natürlich auch ins Blaue hinein so ein bisschen gedacht. Aber ich kann auf jeden Fall sagen, dass wir die Ertragsvorschau, also die Umsätze, eigentlich überstiegen haben, die, die wir angegeben haben. Also wir sind sozusagen, wir stehen besser da, als wir es eigentlich erwartet hatten.

Mario Greiner: Genau dieses Phänomen beobachten wir eigentlich bei Existenzgründern, die eine sehr bewusste Entscheidung treffen. Und die sagen uns dann hinterher Ich bin da eher pessimistisch und zurückhaltend rangegangen. Tatsächlich sind meine Umsätze viel höher, als ich sie je erwartet hätte. Das zeigt aber auch, wie realistisch und wie bedacht diese Existenzgründer agieren.

Philipp Hertel: Ja, das klingt einleuchtend. Dennoch die Frage Wenn Sie jetzt auf das nächste Jahr blicken, Herr Greiner, sind Sie vorsichtig optimistisch. Wie schätzen Sie das ein oder rechnen Sie auch damit, was jetzt ja auch gerne erwähnt wird, dass wir mit so einer aufgestauten Insolvenz zu tun haben, die uns vielleicht 2021 erreicht. Was ist da Ihre persönliche Einschätzung?

Mario Greiner: Da geht es mir so ähnlich wie Frau Turre. Also eine Glaskugel habe ich auch nicht. Aber ich lese natürlich sehr intensiv die Sachen, die vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommen. Die Sachen, die von den Wirtschaftsweisen kommen und nach deren allgemeinen Einschätzung ist keine große Insolvenzwelle zu erwarten. Es ist im zweiten Halbjahr mit einer deutlichen Erholung der Wirtschaft zu rechnen. Und ich sag mal so: Für Existenzgründung ist immer dann der richtige Zeitpunkt, wenn der Gründer sagt: Jetzt geht’s los. Und aus den kleinsten Sachen entstehen dann teilweise die größten Dinge. Denken wir nur an Apple, in einer Garage gegründet. Irgendwann kam da ein Verrückter auf die Idee und hat gesagt Ich nehme dem Handy mal die Tasten weg. Und heute nicht mehr wegzudenken aus dem Markt. Also wenn die Idee einfach gut ist, wenn sie innovativ und wenn sie nachhaltig ist, glaube ich, dass sie auch erfolgreich sein wird.

Philipp Hertel: Frau Turre ganz kurz noch zu Ihnen und zu Ihrem Geschäftsmodell. Erklären Sie mir doch nochmal ein bisschen. Was wäre für Sie ein gelungenes 2021? Was ist das Angebot, das Sie gerne machen und was würden Sie gerne noch dazunehmen? Wie würden Sie sich gerne weiterentwickeln?

Franziska Turre: Inhaltlich also vor allem wäre mir wichtig, dass man wieder mehr Präsenz machen kann. Also zurzeit arbeiten wir komplett im Online Coaching Bereich und es ist auch super, dass es die Möglichkeit gibt. Aber es fehlt uns auch schon der direkte Kontakt mit den Kunden. Dann ist es natürlich so, dass alle Netzwerk-Veranstaltungen jetzt weggefallen sind und auch wo man sich selber ein bisschen präsentieren kann und wo man neue Kontakte knüpfen kann. All das hoffe ich, dass wir das jetzt ab dem Sommer spätestens wieder haben und dann auch das Thema Unternehmens Seminare. Also ich arbeite mit einem bestimmten Persönlichkeits Modell, was einfach dafür da ist, die Kommunikation zu verbessern, sich selbst und auch die Mitarbeiter besser kennenzulernen oder zu verstehen. Und das würde ich einfach so gerne vor Ort machen und nicht im Online-Bereich. Das ist etwas, was wir uns selbst dann, wenn es möglich ist, auf jeden Fall, was wir dann angehen wollen. Also bestimmte Themen, die einfach nicht möglich waren, wo jetzt vielleicht auch nicht die Zeit war, weil es natürlich immer noch, auch nach der Gründung, viel Administratives gibt, was man so zu tun hat, dass dann einfach für so etwas mehr Freiräume und Möglichkeiten bestehen.

Philipp Hertel: Nach so vielen Telefon und Videokonferenzen haben Sie einen Tipp. Haben Sie einen Trick, wie die besonders gut funktionieren? Gibt es eine Strategie, wie man da vielleicht doch ein bisschen Menschlichkeit und auch Wärme herstellen kann über die digitale Kommunikation?

Franziska Turre: Also ganz wichtig ist die Zeit. Also man muss sich da wirklich mehr Zeit nehmen, als man das braucht, wenn man in Präsenz ist, weil einfach die Leute sich schlechter öffnen, also länger brauchen, um sich zu öffnen. Es klappt aber am Ende doch viel besser, als ich das erwartet hatte. Also wir machen Coachings, die meistens mehrere Stunden am Stück gehen und da lernt man sich ja doch auch relativ gut kennen. Und man merkt, dass sich die Leute dann nach und nach auch mehr öffnen, auch für das Medium. Also für manche ist das ja im Berufsalltag völlig normal, für andere ist das eher noch ein bisschen etwas, was sie noch nicht so gut kennen und wo auch Vorbehalte bestehen. Also das heißt, mein Tipp ist wirklich da sich Zeit nehmen.

Philipp Hertel: Was haben Sie über sich als Teilnehmer in so vielen Videokonferenzen gelernt dieses Jahr und vergangenes Jahr?

Mario Greiner: Dass Videokonferenzen ein Teil unserer Arbeit bleiben werden. Aber dass ich viel lieber live und im Präsenz Modus mich mit Leuten unterhalte, weil das was in diesen Videokonferenzen komplett fehlt, sind die Gespräche in den Pausen und am Rande der Veranstaltung, wo man sich halt persönlich begegnet und näher kennenlernt. Und da kommen die tollsten Sachen eigentlich bei raus.

Philipp Hertel: Ja, das geht mir genauso, das kann ich nur bestätigen. Da gibt’s natürlich auch Möglichkeiten oder Versuche, irgendwie den Coffeebreak quasi virtuell zu machen. Aber nach meinem Gefühl bleibt das ein bisschen schal. Es fehlt eine gewisse Nähe dieses sich in die Augen gucken. Das geht dabei ein bisschen verloren. Aber vielleicht haben wir ja Glück und das geht an uns vorüber. Oder wir haben bald die Gelegenheit, uns wieder persönlich zu treffen. Vielleicht als letzte Frage, Frau Turre, wenn Sie sich etwas wünschen könnten für das Jahr 2021: Was wäre das? Wie soll es für Sie weitergehen? Was ist ein gelungenes erstes Jahr von Perspektivwechsel Erfurt?

Franziska Turre: Dass wir einfach die Angebote, die wir haben, also damit die Menschen gut unterstützen können. Das war für mich auch der Grund, mich zu gründen. Mir geht’s da wirklich um die Unterstützung von Menschen und Unternehmen. Einfach ein besseres Miteinander zu schaffen. Auch, dass die Menschen für sich herausfinden, was sie wirklich beruflich wollen. Was sie erfüllt. Und dass sich das dann natürlich auch auf das Privatleben auswirkt. Weil wir sind ja nicht zwei verschiedene Menschen, sondern das Private und das Berufliche gehört zusammen. Und einfach die Möglichkeit, an interessanten Projekten teilzunehmen, interessante Menschen kennenzulernen und viel für die Menschen tun zu können, das wäre für mich so ein gelungenes 2021.

Philipp Hertel: Herr Greiner, wie sieht das gelungene Jahr 2021 für Sie aus?

Mario Greiner: Das gelungene nächste Jahr ist, dass die Arbeitslosenzahlen sich stabilisieren und hoffentlich auch wieder sinken, sobald der Lockdown beendet ist. Dass die Menschen, die jetzt noch Kurzarbeitergeld beziehen, darauf verzichten können und wieder ihr volles Gehalt bekommen. Und dass wir Menschen dabei unterstützen können, ihre neue berufliche Herausforderungen zu finden, indem wir sie beruflich fit machen können für die vor uns stehenden Aufgaben. Ich sag mal als Schlagworte nur Digitalisierung und Arbeit 4.0. Das ganze Thema New Work. Das liegt uns als Agentur sehr am Herzen. Und da wollen wir viel stärker noch die Unternehmen und die Menschen begleiten.

Philipp Hertel: Frau Turre, letzte Frage Mit welchem Bild von der Arbeitsagentur sind Sie in den Prozess gestartet und hat es sich verändert im Laufe der Zusammenarbeit?

Franziska Turre: Also ich hatte vorher auch schon ein sehr gutes Bild von der Bundesagentur für Arbeit BA. Ich habe ja selbst dort auch schon gearbeitet, muss ich ja dazu sagen und hab natürlich auch in meiner vorigen Angestelltenposition viel mit Vermittlern zu tun gehabt und mit denen zusammengearbeitet und muss einfach sagen meine Erfahrungen waren immer sehr positiv. Also wirklich Leute, die andere Menschen unterstützen wollen und alles möglich machen, was irgendwie möglich zu machen geht. Und das Bild hat sich nur bestätigt, auch mit der Gründung. Das mit dem Gründungszuschuss, das hat alles ohne Probleme geklappt, und es gab wirklich super Unterstützung seitens der Agentur.

Philipp Hertel: Ja, dann sage ich erst mal Danke an dieser Stelle, dass Sie sich die Zeit genommen haben und wünsche Ihnen alles Gute.

Franziska Turre: Vielen Dank! Und es hat großen Spaß gemacht.

Mario Greiner: Vielen Dank.


Titelfoto: © iStock/H_Barth