15.05.2013 - Jochen Brenner -9 MinutenArbeitswelt gestalten
Das Büro – 17 Millionen Menschen in Deutschland verbringen dort ihr halbes Leben. Manche sehen ihre Kollegen am Schreibtisch öfter als die Familie. Deshalb ist es wichtig, seinen Mitarbeitern mehr zu bieten als einen Platz im Großraumbüro. Es gibt sie, die neuen Raumkonzepte - und sie lohnen sich: Der Platz wird besser genutzt, die Kommunikation gefördert – und ganz nebenbei lockt eine Firma mit modernen Räumen auch noch neue Mitarbeiter an. Am Ende steigt sogar die Leistungsfähigkeit. In zehn Schritten erklärt Faktor A den Weg zum effektiveren Büro.
1 – Am Anfang steht eine Strategie
Einfach die Wände einreißen, das geht nicht. „Ich muss mir als Erstes überlegen, wie in meiner Firma gearbeitet wird und was ich mit dem Umbau erreichen möchte“, sagt Stefan Rief vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation. Das häufigste Problem: Die Kommunikation zwischen den Mitarbeitern läuft schlecht, Abteilungen sind voneinander abgeschottet. Helfen kann ein Workplace-Consultant. „Bei Unternehmen ab einer Mitarbeiterzahl von 100 Leuten ergibt es Sinn, sich professionell beraten zu lassen“, so Rief. Gemeinsam werde analysiert, wie die einzelnen Abteilungen arbeiten, und ein Zukunftskonzept für die neuen Büros erstellt.
2 – Machen Sie Ihr Unternehmen zum Dorf
Neben den Personalkosten ist Fläche der zweitgrößte Kostenfaktor in einer Firma. Nicht jeder Mitarbeiter kann einen festen Platz in einem Einzelbüro haben, der im Schnitt nur zu 60 Prozent besetzt ist. Stattdessen sollte man den Mitarbeitern verschiedene Orte anbieten. Neben einigen Einzelbüros sind Teambüros, ein Open Space und eine Lounge sinnvoll. Die Boston Consulting Group setzt in München auf Büro-Dörfer: Sie haben „Häuptlinge“, die dafür sorgen, dass die je rund 30 Kollegen zu Dorfgemeinschaften zusammenwachsen. So kann ein soziales Gefüge und Vertrauen entstehen, auch wenn die Mitarbeiter sehr viel unterwegs sind. Andere Betriebe setzen auf „Hoteling“: Jeder Mitarbeiter bekommt täglich einen neuen Platz zugeteilt. Wichtig ist vor allem Vielfalt. „Schaffen Sie unterschiedliche Zonen für Privatheit und Rückzug, für Begegnung und Austausch, also attraktive Orte, an die die Leute gerne gehen“, sagt Stefan Rief. Außerdem rät er, sich zu überlegen, welcher Ort im Unternehmen eine Art Marktplatz sein könnte, an dem sich Menschen aus allen Abteilungen treffen können.
3 – Reden Sie Klartext
Je später die Mitarbeiter von einem bevorstehenden Umbau erfahren, desto geringer ist ihre Bereitschaft, sich auf die Veränderungen einzulassen. „Binden Sie Ihre Leute in den Prozess mit ein, und geben Sie Ihnen das Gefühl, mitbestimmen zu können“, sagt Professor Michael Kastner vom Mannheim Institute of Public Health der Universität Heidelberg. „Sobald Sie wissen, was Sie erreichen wollen, müssen Sie reden“, sagt Stefan Rief. Bei einem Umzug etwa sollte der Zeitpunkt früh kommuniziert werden. Expandiert die Firma? Soll durch den Umbau die Kommunikation gefördert werden? Claudia Hamm, Head of Workplace Strategy bei Jones Lang LaSalle, rät dazu, den Mitarbeitern in jedem Fall den Grund für die geplanten Änderungen zu nennen. „Auch wenn Sparen der Anlass für das neue Bürokonzept ist“, sagt sie. Hamm berät Firmen zum Thema moderne Arbeitsplatzstrategien und Change Management. Sie empfiehlt, auch auf Veränderungen hinzuweisen, von denen die Mitarbeiter profitieren – also etwa darauf, dass sie sich ihre Zeit in Zukunft freier einteilen können.
4 – Mischen Sie Ihren Betrieb auf
In den meisten Teams sind es immer die Gleichen, die den Ton angeben. Doch wer sagt eigentlich, dass es immer die gleiche Mannschaft sein muss, die sich um eine bestimmte Fragestellung kümmert? „Wenn Menschen aus unterschiedlichen Abteilungen zusammensitzen, entstehen neue Ideen, man kann sich besser absprechen und lernt voneinander“, sagt Stefan Rief. In einem gemischten Team verschwindet das Gefühl, wie früher in einer Firma am Fließband nur für ein winziges Teilchen zuständig zu sein. „Die Teamarbeit erreicht man, wenn man Zonen, Flächen und Räume für Teamarbeit anbietet – und Projektarbeit fördert“, sagt Rief.
5 – Halten Sie Ihre Mitarbeiter in Bewegung
Den ganzen Tag still am Schreibtisch zu sitzen ist ungesund. Bei der Planung neuer Büros sollte man versuchen, seine Mitarbeiter zum Aufstehen zu bewegen. Ihnen einen „Belastungswechsel ermöglichen“, nennt das Sascha Wischniewski von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. „Aus mancher Sitzung eine ,Stehung’ zu machen, ist nicht nur effizienter, sondern auch gesünder“, sagt Burkhard Remmers vom Büromöbelhersteller Wilkhahn. Er rät, Tische zu nutzen, die man in der Höhe verstellen kann. Wie sehr Bewegung, geistige Beweglichkeit und Kreativität zusammenhängen, zeige ein Blick in die Forschung: „Die größte Bereitschaft, Dinge infrage zu stellen und gewohnte Rollen- und Verhaltensmuster zu durchbrechen, entsteht beim Spazierengehen.“
6 – Fördern Sie den Flurfunk
Früher hatte das Wort einen negativen Beigeschmack. Mitarbeiter, die schnatternd auf dem Gang stehen, vernachlässigen ihre Arbeit, glaubte man. „Das ist überhaupt nicht wahr“, sagt Claudia Hamm. Gerade die Gespräche fernab der Konferenz können sehr effektiv sein. Man kann spontaner kommunizieren. „Bestenfalls entstehen durch den informellen Austausch neue Ideen – oder ein Kollege aus einer anderen Abteilung weiß die Lösung für mein Problem“, sagt Hamm. Aus der Innovationsforschung ist bekannt, dass über 80 Prozent aller Ideen in den persönlichen Interaktionen zwischen Menschen entstehen. Der Flurfunk spart also sogar Zeit, weil dadurch weniger Konferenzen nötig seien. „Ein Arbeitgeber sollte daher unbedingt versuchen, Zufallsbegegnungen zu fördern“, sagt Hamm. „Wichtig ist, dass die Führungskräfte den Leuten vorleben, wofür solche Flächen genutzt werden können, und dass es durchaus o.k. ist, wenn man da mal steht oder liegt.“
7 – Greifen Sie nach den Wolken
In fast jedem Betrieb gibt es Räume, in denen man lange kein Tageslicht sieht. Für sie kann ein „Virtual Sky“, also eine Art künstlicher Himmel, sinnvoll sein. „Studien sagen, dass es sehr aktivierend sein kann, unter den Wolken zu arbeiten“, sagt Stefan Rief. An seinem eigenen Arbeitsplatz – dem Fraunhofer Institut – gibt es einen solchen Virtual Sky längst. Und gearbeitet wird dank des angenehmen Wolkenzugs tatsächlich besser.
8 – Schaffen Sie Wohlfühlorte
Yahoo hat seine Mitarbeiter vom Homeoffice ins Büro zurückgerufen. Manchmal kann das sinnvoll sein. Eine Ideallösung aber gibt es nicht, es kommt auf den Einzelfall an. „Geben Sie den Beschäftigten auf keinen Fall das Gefühl, austauschbar zu sein“, sagt Sascha Wischniewski von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. „Von der Evolution her ist der Mensch ein Höhlentier, das bestrebt ist, sich in seinem Umfeld häuslich einzurichten“, sagt Michael Kastner vom Mannheim Institute. Wer einen Großteil seines Lebens im Büro verbringt, der müsse auch mal ein Familienfoto aufstellen können und sich so einrichten dürfen, dass er sich wohlfühlt. „Das kann die Motivation und die Identifikation mit dem Unternehmen fördern“, sagt Kastner. „Im Idealfall kommt man morgens ins Büro und freut sich schon drauf.“
9 – Sorgen Sie für eine lange Leitung
Ein Mitarbeiter, der mehrmals am Tag den Arbeitsplatz wechselt, vom ruhigen Einzelbüro immer wieder in Gemeinschaftszonen oder die Sofaecke zieht, braucht eine Telefonnummer, unter der er überall zu erreichen ist. „Es gibt mehrere Möglichkeiten, das Problem zu lösen: Entweder über ganz normale Tisch-Telefone, in die man jeweils seine PIN eingibt und die Nummer wird zu einem durchgeschaltet“, sagt Stefan Rief. Andere Systeme funktionieren über die Betriebskarte eines jeden Mitarbeiters. Manche Unternehmen entscheiden sich auch für tragbare Telefone, die jeder an seinen jeweiligen Arbeitsplatz mitnimmt.
10 – Geben Sie sich Zeit
Nicht jeder gewöhnt sich von heute auf morgen an das neue Büro. Klar ist, dass jede Art von Veränderung zunächst unbequem und fremd erscheint. Es braucht Zeit, bis die Menschen die neue Situation nicht mehr als schwierig empfinden, sondern bereit sind, sich umzugewöhnen. „Den Umgang mit so einem Büro muss man erst lernen“, sagt Claudia Hamm. „Das ist wie bei einem Computerprogramm.“ Je stärker sie in den Veränderungsprozess eingebunden wurden und mitreden durften, desto schneller kommen sie mit der neuen Raumsituation klar. Hamm rät, nach drei bis sechs Monaten eine Mitarbeiterbefragung zu machen, um herauszufinden, wie es wirklich läuft, und an welchen Stellen nachgerüstet werden muss. Sechs Monate sollte man damit auf jeden Fall warten. Hamm: „Wenn man privat umzieht, kann man schließlich auch nicht gleich am nächsten Tag sagen, wie einem das neue Haus gefällt.“