Radikale Änderungen bei Frosta
Hätten Felix Ahlers und seine Schwester Friederike das Ruder nicht rechtzeitig herumgerissen, stünden sie heute wohl vor dem Nichts. Seit 1978 hatte ihr Familienunternehmen erfolgreich die Eistruhen des Landes gefüllt, doch 2002 drohte das Aus. Die Kinder des Firmengründers mussten ihr Geschäftsmodell völlig neu erfinden. Der Innovationsprozess, der seinen Namen kaum verdiente, war bis dahin immer gleich abgelaufen: Wenn die Controller meldeten, dass sich das Unternehmenswachstum verringerte, stellten sich die Lebensmitteltechniker von Frosta ins Labor und kombinierten so lange bekannte Zusatzstoffe, bis ein neues Gericht marktreif war.
Die steigende Zahl von Singles machte Tiefkühlkost zu einem Selbstläufer. Dann brachen die Umsätze ein. Durchschnittliche Speisen zu durchschnittlichen Preisen zogen nicht mehr. Vor allem die Stammkundschaft, junge Städter, legte Wert auf gesündere Kost. Den Ahlers-Geschwistern ging es genauso. Ihr eigenes Essen schmeckte ihnen nicht mehr.
Ideenwettbewerb zur Rettung der Marke
Was dann passierte, gilt inzwischen als beispielhaft für nachhaltige Innovationen. Um das Jahr 2002 startete Frosta einen internen Ideenwettbewerb zur Rettung der im Sinkflug begriffenen Marke. Felix Ahlers, der Firmenchef, muss sich noch heute immer wieder die Frage gefallen lassen, welcher geniale Markenexperte sich das Ergebnis dieses Innovationsprozesses denn wirklich ausgedacht habe. Doch die Antwort bleibt immer die gleiche: Den Geistesblitz, der Frosta retten sollte, hatten die Mitarbeiter selbst.
Zitat:„Innovativ sein heißt für mich, für den Verbraucher einen Nutzen zu schaffen."
Felix Ahlers, Vorstandsvorsitzender Frosta AG
Sie waren es, die die Schwächen der eigenen Frosta-Menüs am besten kannten: Gleichförmigkeit im Geschmack, Künstlichkeit, wenig ansprechende Farben. Ahlers ging durch sein Unternehmen, hörte sich an, was seine Angestellten zu sagen hatten, und handelte. „Wir wären wohl heute nicht mehr am Markt, wenn wir diesen Schwenk damals nicht vollzogen hätten“, sagt der Firmenchef heute über das, was dann folgte.
Zum 1. Januar 2003 warf Ahlers die Hälfte der Gerichte aus dem Sortiment und führte ein Reinheitsgebot ein. „Ich wollte innovativ sein“, sagt er, „und innovativ heißt für mich, für den Verbraucher einen Nutzen zu schaffen, eindeutig und differenzierend zu sein.“
Frosta bot unter seinem Logo nur noch Produkte an, die ganz ohne Zusatzstoffe auskommen. Frische Vollmilch statt Milchpulver, Butter statt Margarine. Verbannt wurden alle rund 3.000 in Deutschland zugelassenen Aromen, Emulgatoren, Stabilisatoren sowie chemisch modifizierte Stärke. Für jedes der 50 Produkte lässt sich auf der Frosta-Webseite der CO2-Fußabdruck einsehen. Das macht sonst keiner im Tiefkühlgeschäft. Fisch lässt sich mithilfe des auf der Packung aufgedruckten QR-Codes bis auf den Kutter zurückverfolgen.
Das Reinheitsgebot zog aber auch umfangreiche Prozessinnovationen nach sich: Alles musste auf den Prüfstand — vom Einkauf bis zur Frage, wie frische Schlagsahne statt Milchpulver zu verarbeiten war. Dazu kam, dass die Idee mit dem Reinheitsgebot bei ihrer Einführung bei den Kunden floppte.
Frosta schickt Zusatzstoffe ins Museum
Trotz einer millionenteuren Werbekampagne für die neuen Produkte, die sich wegen des neuen Qualitätsanspruchs um 30 bis 60 Cent pro Packung verteuerten, verlor Frosta in der Folge fast ein Drittel des Gesamtumsatzes, musste ein Zehntel seiner Mitarbeiter entlassen und dann auch noch zusehen, wie Konkurrent Iglo auf die Position des Marktführers vorrückte.
Es begann die zweite, wesentlich schmerzhaftere Phase des Innovationsprozesses: Frosta musste an der einmal getroffenen Linie festhalten und sie weiter definieren. Trotz der anfänglichen Niederlage holte Firmenchef Ahlers weiterhin die Meinung seiner Mitarbeiter ein und leistete sich einen langen Atem, um dem Kunden die neue Qualität lange und aufwendig nahezubringen. Ein wichtiger Schritt dabei war das 2008 in Hamburg auf Frostas Initiative hin eröffnete Zusatzstoffmuseum. Die positive Aufmerksamkeit war groß und Geschäftsführer Ahlers konnte den Satz sagen, auf den er lange hingearbeitet hatte: „Zusatzstoffe gehören ins Museum.“
Aus den Startschwierigkeiten hat Ahlers gelernt, dass es gerade bei Produktinnovationen langsam vorwärtsgeht. Heute landen nur vier oder fünf Neuheiten aus seiner Entwicklungsabteilung pro Jahr im Kühlregal — aufwendig vorbereitet: Wenn seine Köche den Bestseller Paella verbessern wollen, schickt Ahlers sie nach Spanien. Geht es um Bami Goreng, fliegen sie nach Fernost.
Ahlers lernte, dass in seiner Branche die Weiterentwicklung von Produkten ohne die Meinung des Kunden nicht mehr funktioniert. Inzwischen gehört der 2008 gestartete „Frosta Blog“ zu den erfolgreichsten und meistgelesenen deutschen Unternehmensblogs. Über 30 Mitarbeiter schreiben auf der Plattform, sie stammen aus den Abteilungen Forschung und Entwicklung, Produktion, Einkauf, Marketing, Verbraucherservice bis hin zur obersten Geschäftsleitung. Die Leser werden auf der Seite oft nach ihren ganz persönlichen Meinungen zu Frosta-Produkten gefragt, die sie dann zahlreich in den Kommentaren äußern.