Mitarbeitern berufliche Perspektiven aufzeigen

Neue Technologien, Digitalisierung, Globalisierung: Die Arbeitswelt unterliegt einem rasanten Wandel. „Berufsberatung im Erwerbsleben“ heißt ein Angebot, mit dem die Bundesagentur für Arbeit Menschen hilft, sich auf dem Arbeitsmarkt neu zu orientieren.


29.09.2021 - Birte Schmidt -4 MinutenArbeitswelt gestalten

Mit „Berufsberatung im Erwerbsleben“ (BBiE) will die Bundesagentur für Arbeit Menschen unterstützen, die seit vielen Jahren im Berufsleben, aber gleichzeitig vor einer beruflichen Veränderung stehen. Unternehmen können diesen Service ihren Mitarbeitenden zugänglich machen und damit ihre Arbeitgebermarke stärken, wie das Beispiel Bayer zeigt.

Ein Unternehmen, das BBiE bereits wahrnimmt, ist die Bayer AG. Angelina Braun, Head of New Placement Center, erzählt im Interview, welche Vorteile das für das Unternehmen und die Mitarbeiter hat.

Faktor A: Die Bayer AG nimmt als Pilotunternehmen seit Ende vergangenen Jahres das neue Berufsberatungsangebot der Arbeitsagentur wahr. Warum haben Sie sich dafür entschieden?

Angelina Braun: Bei der Bayer AG bauen wir aktuell Stellen ab. Ein Teil dieser Mitarbeiter hat sich entschieden, in den Vorruhestand zu gehen, eine zweite Gruppe hat sich mit einer Abfindung bereits selbstständig etwas Neues gesucht. Auch den übrigen Mitarbeitern möchten wir zu einer guten Lösung verhelfen, indem wir sie bestmöglich dabei unterstützen, neue Jobs zu finden. Dazu gehört für uns auch, ihnen zu erklären, was sie alles können und wie der Arbeitsmarkt aktuell funktioniert. Dafür haben wir gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit zwei Pilotveranstaltungen ins Leben gerufen.

Welche Berufsgruppen sind denn von dem Abbau betroffen?

Angelina Braun
© Privat - Angelina Braun

Die Berufsberatung im Erwerbsleben richtet sich bei uns an die sogenannten Enabling functions, das sind klassische Overhead-Funktionen, zum Beispiel Controlling, IT und Personal. Darunter ist ein hoher Anteil akademisch ausgebildeter Mitarbeiter.

Die Zielgruppe besteht also aus sehr gut ausgebildeten Fachkräften. Warum ist für diese eine spezielle Berufsberatung überhaupt notwendig?

Ein Großteil der Mitarbeiter bleibt bei uns viele Jahre lang. Sie haben sich dadurch zum Teil jahrzehntelang nicht mehr am Arbeitsmarkt orientiert und bewegt. Das Durchschnittsalter der Mitarbeiter bei Bayer liegt bei 48 Jahren, und die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit beträgt rund 20 Jahre. Damit haben die Mitarbeiter eine extreme Binnensicht. Wir verstehen es deshalb als Teil unserer Aufgabe, den Betroffenen professionell Eindrücke zu vermitteln, was am Arbeitsmarkt jetzt und in Zukunft gebraucht wird. Dazu dient der Austausch mit den Experten der Bundesagentur für Arbeit, die unverbindliche Informationen dazu geben, welche Qualitäten in Zukunft arbeitsmarktrelevant sind und wie die persönlichen Chancen stehen.

 

Wie muss man sich das in der Praxis vorstellen?

Wir haben zunächst eine Gruppe von 50 Mitarbeitern ausgewählt und diesen das Angebot gemacht, an zwei Infoveranstaltungen mit einem Kreis von Experten der Bundesagentur für Arbeit teilzunehmen. Das geschah auf freiwilliger Basis. Die Experten der Bundesagentur für Arbeit haben in diesen Veranstaltungen die wichtigen Zukunftsthemen aufgezeigt und den Beschäftigten eine Orientierung gegeben. Gerade durch die Coronapandemie war bei vielen Mitarbeitern das Gefühl entstanden, dass der Arbeitsmarkt komplett zum Erliegen gekommen ist. Das stimmt aber nicht. Die Veranstaltungen wurden sehr gut angenommen. Jetzt im Anschluss haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, auf die Experten in ihrer lokalen Arbeitsagentur zuzugehen, um dort weitere Beratungen in Anspruch zu nehmen.

Werden zukünftig auch weitere Mitarbeiter das Berufsberatungsangebot nutzen können?

Grundsätzlich steht das Angebot der Bundesagentur für Arbeit natürlich allen Beschäftigten offen. Wir sammeln jetzt erste Erfahrungen, messen die Erfolge und werden anschließend entscheiden, wie wir das Angebot kommunizieren. Wichtig war uns, die Beratung zunächst zielgruppenspezifisch zu testen.

Berufsberatung im Erwerbsleben

Die Berufsberatung im Erwerbsleben (BBiE) wurde zum 1. Januar 2021 eingeführt und ist eine bundesweite Dienstleistung. Ziel des Beratungsangebotes ist die Absicht, Menschen in jeder Phase ihres Erwerbslebens bei beruflichen Veränderungen zu unterstützen. Dazu zählen sowohl Beschäftigte als auch Wiedereinsteigende und Arbeitslose mit (Neu)Orientierungsbedarf.

BBiE beinhaltet persönliche Beratung in Form von Einzelgesprächen, die zum Beispiel direkt in den Unternehmen stattfinden können. Auch Telefonate und Videotelefonie sind möglich, und – wie am Beispiel der Bayer AG gezeigt – auch themenspezifische Veranstaltungen werden angeboten. Das Pendant zur BBiE ist die Qualifizierungsberatung für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die dabei unterstützt, das Potenzial der eigenen Beschäftigten zu nutzen, z. B. für die Fachkräftesicherung. Erste Anlaufstelle für interessierte Unternehmen ist der Arbeitgeber-Service der Bundesagentur für Arbeit.

Abgerundet wird die Berufsberatung im Erwerbsleben durch digitale Angebote, zu denen auch das Selbsterkundungstool New Plan zählt, das sowohl unabhängig als auch in Verbindung mit einer persönlichen Beratung für die berufliche Orientierung von jeder und jedem Interessierten online durchgeführt werden kann. Nutzerinnen und Nutzer erhalten auf Basis von psychologischen Tests, Selbsteinschätzungsverfahren und Informationsangeboten Unterstützung bei der beruflichen Orientierung. Außerdem gibt es Antworten auf die Frage: Was haben andere mit meinem Beruf gemacht? New Plan hilft auch, die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung relevanter Lebensumstände einzugrenzen.


Titelfoto: © Stock/Mananya Kaewthawee