Intro
Der Begriff New Work ist für Bjarne Siems nicht neu. Nachdem der studierte Diplom-Kaufmann ein paar Jahre als Berater im Finanzumfeld gearbeitet hat, wechselte er zu einer Versicherung und begann sich mit Organisationsentwicklung und Digitalisierung von Prozessen zu beschäftigen.
Seit 2011 ist Siems bei Union Investment, angesiedelt in der IT-Abteilung als Projektmanager mit den Immobilienfonds als Kunden. Seit sieben Jahren gehört New Work zu Bjarne Siems’ Daily Business. Er geht in seinen Rollen als Scrum Master, Product Owner und Agile Coach total auf. Er sorgt für Qualität und den Flow in der Zusammenarbeit.
Heute wollen wir mit ihm über New-Work-Methoden sprechen – herzlich willkommen, Bjarne Siems.
Fangen wir mal vorn an, was ist gemeint, wenn wir über “New Work Methoden” sprechen?
New Work beschreibt den Umgang von Unternehmen mit den Herausforderungen der aktuellen Welt. Und die ist aktuell geprägt von ganz viel Wandel. New Work wird heutzutage häufig mit „Arbeit im Wandel“ übersetzt. Es geht um den stetigen Wandel durch neue Arbeitsformen, den Ansprüchen der Arbeitnehmenden und den Wandel von Kundenanforderungen und Märkten. Einer der für mich spannendsten Aspekte von New Work ist in dem Zusammenhang die Organisation von Arbeitsabläufen, die auch unter dem Begriff Agilität bekannt ist. Agiles Arbeiten bedeutet, bisherige Mechanismen zu hinterfragen und neu zu gestalten. Dies beinhaltet oft eine komplette Neustrukturierung der Arbeitsabläufe innerhalb eines Unternehmens. Damit ist “agil Arbeiten” kein Zustand, sondern ein Prozess, eine Bewegung. Wenn Unternehmen sich für agiles Arbeiten entscheiden, bedarf es einer tiefschürfenden Transformation, auch und vor allem im Management.
Was genau meinst du?
Es geht nicht mehr nur darum, was wir arbeiten, sondern auch darum, warum wir arbeiten und wie wir miteinander arbeiten. Es geht darum, dass sich die Menschen weiter entwickeln bzw. sich selbst verwirklichen wollen. Sie wollen einer sinnstiftenden Arbeit nachgehen. Sie wollen sich selbst bei der Arbeit verwirklichen. Das heißt, wir benötigen ein neues bewegliches bzw. flexibles Konzept.
Was bedeutet das für Arbeitgeber?
Man geht heutzutage von intrinsisch motivierten Mitarbeitern aus, die für das richtige Ziel wissen, was und wie zu tun ist. Mit Freiheit und Vertrauensvorschuss wachsen sie über sich hinaus. Enge ich sie hingegen mit Kontrollen und strikten Regelwerken ein, verlieren sie ihr Engagement und werden unflexibel. In sich stetig verändernden Zeiten, benötigt man als Unternehmen aber eben Flexibilität und mitunter auch mutige Entscheidungen. A propos Mut. Arbeitgeber werden heute mit einer mutigen Generation konfrontiert, die traditionelles Arbeiten hinterfragt und teilweise für sich ablehnt. In Zeiten des Fachkräftemangels muss ich als Arbeitgeber lernen, die neue Generation zu verstehen.
Was braucht denn diese neue Generation?
Freiheit, selbständiges Arbeiten, sinnstiftend … das kann für jeden etwas anderes bedeuten. Aber es gilt grundsätzlich: Maximale Handlungsfreiheit in einem sinnstiftenden Kontext. Stell Dir vor, als junger Mensch bist du es von zu Hause, von der Schule und natürlich auch von der Uni her gewohnt selbstorganisiert zu arbeiten und dann kommst Du hoch motiviert in ein Unternehmen, in dem der Chef Dir vorschreibt wie, wann und wo Du zu arbeiten hast. Für manche Menschen passt es, aber bei ganz vielen erzeugen strikte Anweisungen Frust und Unzufriedenheit. Im schlimmsten Fall findet man gar keine neuen Mitarbeiter mehr.
Und wie deckt sich das mit den unternehmerischen Zielen?
Das eine schließt das andere nicht aus. Im Gegenteil: Wenn Führungskräfte es schaffen, ihre Mitarbeiter zu motivieren und sich als Mannschaft zu verstehen und alle das gleiche Ziel verfolgen, dann ist es legitim, wenn jeder über das WIE selbst entscheidet. Die Vision muss klar sein und am Ende das Ergebnis. Dazwischen darf jeder selbstbestimmt arbeiten: wann und wo und wie – das Team entscheidet, wie es passt. Das entspricht dem norwegischen Führungsprinzip „tight loose tight“: Die Führungskraft gibt den Mitarbeitern den Rahmen und die Ziele vor und das Team entscheidet dann selbst, wie es am Besten das Ziel erreichen kann. Wichtig ist aber, dass die Mitarbeiter auf dem Weg nicht alleine gelassen werden, sondern die Führungskraft nah dran bleibt und regelmäßig in das Team reinhört und fragt „Wie kann ich helfen?“. Das ist für viele Führungskräfte sehr schwierig, nicht Lösungen vorzugeben, sondern auf dem Weg “nur” zu unterstützen.
Hast du ein Beispiel dafür, wie so ein “Reinhören” aussehen kann?
Der Klassiker beim agilen Arbeiten ist die Retrospektive – kurz Retro. Wir machen das bei Union Investment mittlerweile sehr regelmäßig in unterschiedlichen Arbeitskontexten, nicht erst ganz am Ende eines Projektes, sondern auch während des Weges nach vorab definierten Etappen. Die Führungskraft kann dabei die Rolle des Moderators übernehmen. Noch besser ist es natürlich, wenn man einen externen neutralen Moderator hat.
Was sollte denn bei einer Retrospektive beachtet werden?
Es sollte in einer Retro immer mit der Abfrage von positiven Aspekten begonnen werden: Was läuft gut? Was macht mir Spaß? Und dann kann in der Retro auf Punkte eingegangen werden, die nicht so gut laufen. Ich finde es dann immer am wertvollsten zu überlegen, wie man es besser machen könnte und diesen Verbesserungsvorschlag dann als „Experiment“ zu vereinbaren. Und dabei meine ich dann auch wirklich Experiment im engeren Sinne. Das Team vereinbart etwas zu ändern für einen bestimmten Zeitraum. Nach Ablauf der Zeit wird gemeinsam geprüft, ob das Problem gelöst wurde oder vielleicht doch noch schlimmer geworden ist. Und je nach Bewertung wird es beibehalten oder wieder verworfen und ggf. ein neues Experiment gestartet. Das Fehlermachen wird dadurch legitimiert, wodurch mutigere Schritte gegangen werden können.
Hast du ein Beispiel für so ein Experiment und warum ist es so gut?
Wir haben bei uns im Team nach Corona das Problem gehabt, dass einzelne Mitarbeiter gerne wieder ins Büro wollten und sich “in echt” treffen wollten und andere Kollegen lieber im Home Office bleiben wollten. Das führte dazu, dass diejenigen, die ins Büro gefahren sind, frustriert waren, weil niemand da war. Teilweise haben dann aber auch Termine in Kleingruppen stattgefunden und die Kollegen im Home Office waren nicht dabei. Es stieg also kontinuierlich die Unzufriedenheit, so dass wir als Experiment den Office Tag im Team vereinbart haben. Es war dann für alle erstmal OK und alle haben sich darauf eingelassen. Hätte die Führungskraft es per Dekret verordnet, dass ab sofort wieder alle immer im Büro sind, hätte es zu viel Unmut geführt.
Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Wir waren vorhin beim Tight-Loose-Tight Modell. Du sagtest die Tights werden von der Führungskraft vorgegeben und im Loose-Bereich organisiert sich das Team selbst. Welche Methoden kommen dann ins Spiel?
Richtig, hier entscheidet das Team selber, wie es sich und seine Arbeit organisiert. Häufig hört man in diesem Kontext Begriffe wie SCRUM oder Kanban. Beides sind methodische Frameworks, an denen man sich orientieren kann.
Kannst Du die beiden Frameworks kurz für unsere Hörer skizzieren?
SCRUM zeichnet sich dadurch aus, dass immer in festgelegten Zeiträumen an vorher vereinbarten Zielen gearbeitet wird. Diese Etappen nennt man Sprints. Die Arbeitsziele für jeden Sprint werden vorher mit dem Auftraggeber, dem sog. Product Owner vereinbart. Im Sprint arbeitet das Team selbstorganisiert an der Lösung. Nach dem Sprint werden die Ergebnisse dem Product Owner präsentiert, der dann die Ergebnisse abnimmt oder Nachbesserungen für den nächsten Sprint einplant. Bei der Kanban Methode wird hingegen die Arbeit in Arbeitspaketen eingeteilt, aber ohne zeitliche und personelle Zuordnung. Jeder im Team zieht sich neue Aufgaben aus dem sogenannten Backlog, wenn die aktuelle Arbeit beendet ist. Dadurch soll ein steter Arbeitsfluss gewährleistet werden.
Das klingt dynamisch und plausibel. Lässt sich dieses neue Arbeiten auf alle Unternehmen übertragen? Also, wer ist die Zielgruppe?
Alle Unternehmen, die dem steten Wandel unterliegen und bereit sind für die Transformation. In jedem Unternehmen gibt es Bereiche, in denen es möglich ist agile Methoden anzuwenden. Die agilen Methoden kommen ja ursprünglich aus der Software-Entwicklung, die Anwendung muss aber nicht darauf beschränkt bleiben. Ich habe beispielsweise gerade ein Strategie-Projekt in Anlehnung an SCRUM organisiert: Zunächst haben wir unsere Kunden und Stakeholder (Fachbereich, Geschäftsführung, Mitarbeiter, Führungskräfte) befragt, was ihnen wichtig ist und haben dann daraus unsere Änderungsanforderungen (Spiegelung eigenes Geschäftsmodell) abgeleitet. Diese bilden nun unser Backlog an Themen, die wir iterativ in definierten Etappen in mehreren Teams umsetzen – selbstorganisiert und selbstbestimmt. Und natürlich Hinterfragen wir dabei auch regelmäßig unsere Arbeitsweisen im den jeweiligen Teams.
Dein Schlusswort?
Es ist wichtig, in bewegten Zeiten beweglich zu bleiben. Ich hoffe, ich konnte den ein oder anderen Hörer inspirieren und ermutigen, sich den neuen, agilen Methoden zu öffnen, um sich zukunftssicher in unsicheren Zeiten aufzustellen. Es geht nicht mehr nur darum, was wir arbeiten, sondern auch darum, warum wir arbeiten und wie wir miteinander arbeiten. Es geht darum, dass sich die Menschen weiter entwickeln bzw. sich selbst verwirklichen wollen. Sie wollen einer sinnstiftenden Arbeit nachgehen. Sie wollen sich selbst bei der Arbeit verwirklichen. Das heißt, wir benötigen ein neues bewegliches bzw. flexibles Konzept.