Susann Schleiff macht mit Kinderspiel Karriere

Die Kindertagesstätten Elly & Stoffl von Susann Schleiff treffen den Nerv der Zeit.


02.05.2012 - Agnes Fazekas -6 MinutenArbeitswelt gestalten

Die Münchener Jungunternehmerin Susann Schleif fand ihre Lebensaufgabe im Gespräch mit Kolleginnen. Ihre Kindertagesstätten "Elly und Stoffl" treffen den Nerv der Zeit.

Fußmatte Eingang KiTa Elly & Stoffl
© Stephan Minx - 2007 gründet die damals 28 Jahre alte Susann Schleif die Kita-Kette Elly und Stoffl. Bereits während ihrer Zeit als Studentin an der FH Wiesbaden sammelte Schleif unternehmerische Erfahrungen: Sie war bei der Gründung von vier Hörakustik-Geschäften beteiligt. Nachdem sie ihr Studium International Business Administration 2001 abgeschlossen hatte, ging sie ein Jahr auf Weltreise.

Die internationale Kundschaft ist anspruchsvoll, sie hat Geld, nimmt gerne mal die hauseigene Sauna in Anspruch und manchmal bekommt sie einen Heulkrampf. Die jüngsten Gäste von Elly & Stoffl sind gerade einmal drei Monate alt. Ihre Eltern haben ihnen einen Platz in einer von sieben Nobel-Tagesstätten in München gebucht. Zum Beispiel in einem alleinstehenden Haus im Süden der Stadt mit der Anmutung einer Puppen-Villa: viel Pastell und gezimmerte Balustraden. Im eigenen Restaurant wartet ein Koch in schwarz-roter Livree, er kredenzt Nudeln mit Pilzsoße an geriebenen Karotten. Alles bio – müßig zu fragen.

Ein solcher Krippenplatz kann im Monat zehn Kindergelder kosten: für 40 Wochenstunden Rundumversorgung, Abholservice, Kneipp-Kuren und ein von der Unesco empfohlenes Frühförderungsprogramm. Nebenbei lernt das Kind Englisch oder Französisch, führt naturwissenschaftliche Experimente durch oder entspannt sich bei der Farbtherapie im kuschligen „Snoezelenraum“. Wer sich so ein Konzept ausdenkt, könnte man denken, hat selbst mit vergoldeten Lego-Steinen gespielt. Denn Klavierunterricht, Schauspielschule und Schwimmkurs – das braucht doch kein Kind. Oder?

Auf Vorurteile wie die von den vergoldeten Lego-Steinen reagiert Susann Schleif empfindlich. „Intensive Betreuung hat nichts mit Luxus zu tun, darauf sollte jedes Kind ein Anrecht haben.“ Natürlich: Dass bei Elly & Stoffl drei Erzieherinnen pro Gruppe arbeiten und nicht nur zwei, kostet Geld. Und auch Klavierunterricht, Schauspielschule und Schwimmkurs gibt es nicht umsonst. Doch zumindest von teurem Edel-Spielzeug und falschem Leistungsdruck hält die 32 Jahre alte Betriebswirtin und überzeugte Pädagogin gar nichts: „Es geht darum, jedes Angebot auf das Bedürfnis des einzelnen Kindes abzustimmen, und nicht darum, irgendeinem Ideal hinterherzujagen. Kinder müssen sich geborgen fühlen, das ist unser wichtigstes Ziel. Und ich bin froh, wenn wir dafür mehr tun können als andere.“ Bis es aber so weit war und sie ihren Traum von der Unabhängigkeit verwirklichen konnte, musste Susann Schleif hart kämpfen. Eineinhalb Jahre hat sie sich durchgebissen, „sich in verstaubte Behördenpapiere eingelesen“, Banken abgelaufen, nach geeigneten Häusern gesucht, bis die beste Freundin sagte: „Tu dir das doch nicht an, mach lieber was Leichtes, eröffne ein Restaurant oder so.“

Geduld und Ideenreichtum bei der Finanzierung

50.000 Euro Eigenkapital hatte sie sich durch eine „asketische Lebensweise“ zusammengespart. Toll fanden ihr Konzept alle, aber nur eine von 25 Banken wollte sich schließlich darauf einlassen. Falls Schleif es schaffe, einen Investor ins Boot zu holen. Aber sie wollte doch endlich ihre eigene Herrin sein! Sie verzichtete auf diese Option und bewarb sich stattdessen bei einem Gründerpreis. Glücklicherweise bekam sie auch dort Applaus für ihre Idee und obendrein 50.000 Euro. Sie war eine von den fünf Gewinnern. Als es an die Akquise ging, war das Haus an der Theresienhöhe noch eine Baustelle, es gab keine Kinder, nur ein Konzept: „Wir haben uns den Mund fusselig geredet, die Eltern ins Café eingeladen, oft acht Gespräche am Tag geführt.“ Zur Eröffnung war die Kita halb ausgebucht, drei Monate später gab es keinen freien Platz mehr.

„Anfangs mussten wir sparen, wo immer es ging“, erzählt Schleif. In der ersten Woche putzte sie jeden Abend fünf Stunden, ihr Mann kochte in der Kita und chauffierte die Kinder mit einem alten Bus. Eigentlich war geplant, dass ihr Mann Daniel einen „normalen“ Job behält, aber bald merkte sie, ohne seine Hilfe geht es nicht und ein zweites Gehalt war drin. „Elly“ und „Stoffl“, die Fantasie-Kinder aus dem Logo, sind seitdem allgegenwärtig, sitzen beim Abendessen dabei, beim Frühstück, und wenn Susann Schleif nachts aufwacht mit einer Idee, dann wird die eben besprochen. Schon während des „sehr zackig durchgezogenen“ BWL-Studiums in Wiesbaden hatte sie mit ihrem damaligen Freund eine Kette von Hörakustik-Läden aufgebaut. Als sie 2001 ihren Abschluss machte, warteten Headhunter auf sie. Die Zukunft sah so rosig aus, dass Schleif erst mal eine Weltreise machte. Als mit dem 11. September die Wirtschaft zusammenbrach, war sie in Indien und dachte: „Jetzt eilt es erst recht nicht.“

Kinderbetreuung statt Kosmetik

Nach ihrer Rückkehr kam sie trotzdem sofort unter, beim Kosmetik-Riesen L’Oréal begann sie einen Karrierejob in der Düsseldorfer Zentrale. Aber die Position als Angestellte widerstrebte ihr wie die Vorstellung, ein ganzes Leben Lippenstifte zu verkaufen. Fünf Jahre beobachtete sie, wie ihre Kolleginnen von Kindern sprachen, aber keine bekamen, weil sie Angst vor einem Karriereknick hatten oder keinen guten Kita-Platz fanden. „Das kann doch nicht sein, dass sich Frauen in unserer zivilisierten Welt so unter Druck gesetzt fühlen“, dachte sie bei sich.

Und da war sie endlich, die Idee: eine Kita, die Powerfrauen kein schlechtes Gewissen macht! Sie begann, sich viele Kindergärten anzuschauen. Sie machte sich in Frankreich und  Skandinavien schlau, las Bücher und besuchte Vorträge. Als „ganz steile Lernkurve“ bezeichnet Schleif die vergangenen Jahre. Sie wollte ein breites Kursprogramm und den Eltern möglichst viel Service bieten. Öffnungszeiten, die zu den Vollzeitjobs der Eltern passen, und sogar einen Abholservice für die Kleinen.

Die beste Werbung ist mittlerweile ihre zweijährige Tochter Sophia, natürlich Elly & Stoffl-Kundin – sie ist mit der Firma gewachsen. In den ersten fünf Jahren eröffneten fünf Häuser. Inzwischen hat Susann Schleif rund 600 Kinder in ihrer Obhut, sie beschäftigt über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und auf ihr Leben als Unternehmerin möchte sie um keinen Preis mehr verzichten: „Wenn ich jetzt pleite gehen würde, mache ich lieber eine Würstelbude auf, als mich anstellen zu lassen.“

Trotzdem fragt Susann Schleif sich selbst, wie sie das alles hinkriegt. „Ich versuche meinen Kindern viel qualitative Zeit zu widmen, aber da ist die Neueröffnung, die anderen Häuser brauchen noch ständig unsere Hilfe. Das ist echt anstrengend.“ Bank, Notar, Architekt, Baustelle, Steuerberater, wickeln und stillen.  Doch so ganz scheint ihr das immer noch nicht zu reichen. Was sie nur im Flüsterton erwähnt: Sie hat begonnen, ihre Doktorarbeit zu schreiben. „Meine Mutter bezeichnet mich als wahnwitzig.“ Das Thema ihrer Promotion: „Die Motivation von Mitarbeitern in einem sozialen Unternehmen.“

Fragebogen - Susann Schleif über…

Motivation
Durch persönlichen Kontakt, ehrlich gemeintes Lob, Hilfsbereitschaft, ein grandioses Team, aber auch durch betriebliche Altersvorsorge, Fitnessstudiozuschläge, Massagen, Weiterbildung und Teamevents motiviere ich meine Mitarbeiter zusätzlich.

Ihr unternehmerisches Vorbild
Das ist Senator Horst Rahe, Vater der Aida und Arosa-Resorts, ein begnadeter Unternehmer mit Herz und Verstand.

Herausforderungen am Arbeitsmarkt
Der Fachkräfte-Mangel beschäftigt leider auch Elly & Stoffl. Leider wird das Kindertagesstätten-Ausbauziel recht unabhängig vom Erziehermangel behandelt. Es wird zwar viel über das Fehlen von geeigneten Fachkräften berichtet, aber Maßnahmen hierzu gibt es leider nicht genug. Wenn sich eine Kinderpflegerin zur Erzieherin weiterbilden möchte, höre ich oft, dass sie auf einer frustrierend langen Warteliste gelandet ist. Ich selbst wollte auch schon eine Fachakademie gründen, damit mehr Erzieherinnen ausgebildet werden, doch das finanzielle Risiko ist abstrus hoch, da die öffentlichen Zuschüsse dafür erst im 4. Jahr gezahlt werden. Das macht kein privates Unternehmen. Schade, denn ich sähe darin nicht nur die Chance auf mehr Erzieher, sondern auch die Möglichkeit, durch geeignete Marketingmaßnahmen die Erzieherberufe in der äußeren Wahrnehmung weiter aufzuwerten. So bleibt es leider ein weiteres, unnötiges gegenseitiges Abwerben und Kämpfen um die besten Köpfe. Um unseren Fachkräftebedarf zu decken setzen wir auf Mitarbeiterbindung und interne wie externe Weiterbildung.

Bewerber
Ich stelle mir nach dem Gespräch die Frage: Würde ich mein Kind diesem Menschen gerne überlassen? Wenn ich das mit einem guten Gefühl bejahen kann, steht einer Einstellung nichts im Wege. Habe ich Zweifel, nehme ich sogar eine verzögerte Eröffnung in Kauf. Beim Personal kenne ich keine Kompromissbereitschaft, wir wollen die Besten.

Freizeit
Wenn ich nicht arbeite, schaue ich mit meinem Mann einen guten Film und schlafe spätestens nach einer halben Stunde ein. Ich gehe ich gerne mit Sophia zu den Orang Utans, backe mit ihr Kuchen oder tanze zu „Anne Kaffeekanne“. Außerdem liebe ich es, mit Alex plantschen zu gehen, die Zimmer der Kinder zusammen mit ihnen umzugestalten, Möbel für die Kinder zu restaurieren oder in ein Buch reinzulesen (komischerweise lese ich es, ungeduldig wie ich bin, nie ganz, eine schreckliche Angewohnheit).


Titelfoto: © Stephan Minx