Sebastian Keil: Unser heutiger Gast im Faktor A Podcast ist Professor Dr. Edmund Wascher. Er ist Leiter des Forschungsbereich Ergonomie am Leibniz-Institut für Arbeits Forschung an der Technischen Universität Dortmund. Sein Arbeitsgebiet sind die Grundlagen der menschlichen Informationsverarbeitung und seit zehn Jahren forscht er auf dem Gebiet der Neuroergonomie. Seine berufliche Reise führte ihn nach seinem Diplom in Graz durch die halbe Republik. Nach Stationen in München, Lübeck, Tübingen und abermals München ist er seit 2004 im Ruhrgebiet tätig. Im Gespräch mit unserem Podcast Gastgeber Jonas Rein verrät uns Prof. Dr. Wascher Insiders aus der kognitiven Ergonomie und welchen Beruf er eigentlich gerne ausgeübt hätte.
Jonas Rein: Herzlich willkommen im Faktor A Podcast, Herr Wascher, könnten Sie unseren Hörerinnen und Hörern zum Start vielleicht einmal kurz erklären, was Neuroergonomie ist?
Edmund Wascher: Neuroergonomie ist im Grunde genommen ein neuer Ansatz, um jetzt psychische Beanspruchung, mentale Beanspruchung im Arbeitsleben besser handhaben zu können. Es hat zwei Aspekte: Einerseits versuchen wir mit neurophysiologischen Methoden eben mentale Prozesse zu verfolgen und eben auch die Beanspruchung entsprechend abzubilden, und andererseits ist es so, dass wir versuchen, mit neurokognitiven Modellen eben auch die moderne Arbeitswelt etwas besser zu verstehen und besser zu erklären.
Jonas Rein: Fast die Hälfte aller Arbeitnehmer in Deutschland sitzt ja am PC. Wie können neuroergonomische Lösungsansätze vor Belastungen schützen?
Edmund Wascher: Ich sage jetzt mal einerseits: Wenn wir versuchen, die Arbeitsplätze besser zu gestalten, die Darstellung und eben auch die Software, die verwendet wird. Wir wollen hier Unterstützung liefern, damit es eben leichter verarbeitbar ist. Auf der anderen Seite ist es so, dass wir eben auch versuchen, gerade Situationen herauszufinden, die besonders belastend sind und das mit Hilfe eben objektivierbarer Methoden. Nicht einfach nur der Befragung, sondern auf Basis von EEG Messungen, um ihm dann entsprechend diese Situation in Zukunft zu vermeiden.
Jonas Rein: Was könnte ich jetzt als Arbeitgeber tun, um die Arbeitsplätze meiner Mitarbeiter optimal anzupassen?
Edmund Wascher: Ich glaube, das ist total vielfältig. Das ist in jeder Situation natürlich anders, aber wir haben unterschiedliche Projekte, zum Beispiel: Wir haben mit Einsatzkräften eine Untersuchung gemacht, welche die Situationen sind, die besonders belastend sind. Wir haben im Moment ein Projekt, wo Krankenpfleger und Pflegepersonal allgemein eben beobachtet wird, wie die Beanspruchung ist und wo wir dann versuchen, eben auch Instrumente zu entwickeln. Und zum Beispiel Phasen der Entspannung, Phasen des Herausnehmen des Arbeitnehmers aus der normalen Situation zu ermöglichen und die auch objektiv zu lenken. Aber grundsätzlich ist es so, dass diese Situationen heutzutage natürlich so vielfältig sind in den verschiedenen Situationen, dass man ja kein generelles Urteil abgeben kann.
Jonas Rein: Ist es dann eventuell sogar hilfreich, dass sich die Arbeit immer mehr ins Home-Office verlagert?
Edmund Wascher: An manchen Stellen ja. Es erleichtert natürlich für viele Leute auch den Alltag oder den Tagesablauf. Auf der anderen Seite ist es so, dass, sofern man kommunizieren muss, diese neuen Kommunikationsformen, die aufgekommen sind wie Zoom und Teams und ähnliche Geschichten, die Kommunikation schwieriger machen. Also emotionale Aspekte fehlen. Es sind ganz neue Formen der Interaktion entstanden, die eben auch belastend sein können aufgrund ihrer Grundstruktur. Und es fehlt natürlich auch extrem viel soziale Interaktion, die normalerweise in der Arbeit vorhanden sein kann.
Jonas Rein: Ich habe mal in einem Großraumbüro als Texter gearbeitet und wurde fast wahnsinnig, weil die Grafiker immer wieder die Musik laut aufdrehten. Ich dachte dann, dass ich eventuell zu alt bin, um in einer hippen Agentur zu arbeiten. Können Sie meine These widerlegen?
Edmund Wascher: Es hat natürlich mit dem Alter zu tun, das ist keine Frage. Das sind Aspekte, die im Alter immer schwieriger werden, Informationen auszublenden, die irrelevant sind. Das ist ein Kernaspekt des Älterwerdens und gerade akustische Reize, kann man nicht vollständig ausblenden. Man kann die Ohren nicht einfach zumachen. Aber grundsätzlich ist es so, dass Großraumbüros gerade in den kreativen Bereichen eine Katastrophe sind, weil einfach zu viel Information da ist, zu viel auf die Leute einprasseln und eben die Konzentration nicht gegeben sein kann. Und diese Entwicklung ist zum Teil katastrophal.
Jonas Rein: E-Mails, SMS, WhatsApp, Push, Nachrichten Was macht denn dieses ständige Reizüberflutung mit unserem Gehirn?
Edmund Wascher: Ach, sie unterbrechen uns die ganze Zeit. Also es ist. Es ist grundsätzlich: Es gibt ja diese These von Multitasking und ähnlichen Geschichten, was aber sicher schwer haltbar ist. All diese Information, die reinkommt, unterbricht unsere eigentliche Arbeit, je nachdem an was wir dran sind und macht es natürlich deutlich schwieriger, damit umzugehen. Es ist ja anspruchsvoll und es verbraucht sehr viele mentale Ressourcen, immer wieder die Aufgabe zu wechseln. Das erschöpft uns mittelfristig und führt natürlich auch zu Fehlern irgendwann mal bzw. eben zu Zuständen, wie wir sie heute durchaus auch kennen mit Burnout und ähnlichen Geschichten.
Jonas Rein: Braucht es aus Ihrer Sicht ein Recht auf nicht Erreichbarkeit?
Edmund Wascher: Definitiv. Definitiv. Ich glaube einerseits eben außerhalb der Arbeitszeit wird es wichtig, dass die Leute sich wirklich erholen können, dass sie rausgehen können aus dieser eigentlichen Arbeit und an ganz andere Dinge denken. Während der Arbeit glaube ich, dass es auch die Notwendigkeit der Nicht-Erreichbarkeit gibt, dass man eben bei gewissen Aufgaben nicht unterbrochen wird und eben nicht rausgerissen wird, weil das Wiederaufnehmen der Arbeit durchaus sehr viel Energie braucht und dadurch eben auch die Leistung deutlich geringer ist und eben auch die Zufriedenheit damit.
Jonas Rein: Heutzutage nehmen ja Apps auf dem Smartphone auch sehr viele Dinge im Gehirn ab. Sei es der Rechner, der Terminplaner. Wie kontraproduktiv ist das?
Edmund Wascher: Ach, ich weiß nicht, ob es kontraproduktiv ist. Ich persönlich finde es schon sehr gut, dass mir Hilfe geboten wird. Ich meine das ist ja auch die Entwicklung, das kommt ja nicht von ungefähr. Das waren ja Bedürfnisse des Menschen als solches. Und man kann sich dann dadurch, dass hier Dinge abgenommen werden, auf andere Sachen konzentrieren. Es ist natürlich auch so, dass durch diese Hilfestellungen zum Beispiel auch Navigation, wenn man fährt und Ähnliches, Leistungen verloren gehen oder auch Wissen verloren geht. Also quasi, wenn Sie eine Strecke drei oder viermal bewusst fahren mit einem Plan im Kopf, wie Sie es fahren wollen, dann kennen Sie die Strecke. Wenn Sie sie genauso oft mit einem Navigationssystem fahren, das Ihnen exakt vorgibt, wo Sie welche in welche Straße reinfahren sollen, dann werden Sie die Strecke sich nicht merken. Ähnliches ist natürlich mit anderen Unterstützungs-Apps, dass Sie eben die Informationen, die Sie ansonsten verarbeiten würden, eben dem Smartphone übergeben. Und das ist natürlich dann immer eine Balance dessen, was ist der Vorteil dadurch? Was ist die Hilfe, die entsteht durch diese Systeme und was geht eben dadurch verloren? Das ist schwierig zu beurteilen, was daran gut oder was daran schlecht ist. Ich glaube, das ist sehr individuell.
Jonas Rein: Wie viel Smartphone ist denn gesund für unser Gehirn?
Edmund Wascher: Das ist sicherlich nicht so toll, weil es natürlich auch für die Augen nicht so toll ist und generell, permanent diese Information, die herein kommt. Aber so feste Befunde wieviel Smartphone noch gut ist oder wieviel Computer noch gut ist, die hat man heutzutage noch nicht, sage ich mal.
Jonas Rein: Mit welchen Methoden kann man denn das Gehirn durch mentale Übungen trainieren, dass es effizienter arbeitet?
Edmund Wascher: Geben tut es vieles. Das ist natürlich ein Markt, der auch sehr stark aus vielen Bereichen bespielt wird. Dieser ganze Bereich des Coachings, Neuro-Coachings gibt es ja heutzutage auch. Wie gut letztendlich diese Methoden sind, um jetzt wirklich bessere Leistung zu erzeugen, ist schwer zu beurteilen. Es gibt relativ wenig gute und ausgedehnte kontrollierte Studien dazu. Definitiv ist es so, dass auch rein körperliche Betätigung das Gehirn relativ gut trainiert durch die Sauerstoffversorgung, durch grundsätzliche Aktivierung. Was spezifische Trainings anbelangt, kognitive Trainings ist die Grundlage etwas gespalten. Ob das wirklich spezifisch gelernt werden kann? Auch die Frage inwieweit werden diese dinge, die man lernt, wenn man so was trainiert, generalisiert, auch auf andere Aufgaben. Das ist etwas, was in den nächsten Jahren sicherlich noch deutlich verstärkt untersucht werden wird. Aber im Moment sieht es so aus, dass ganz einfache Dinge wie körperliche Bewegung möglicherweise mehr bringt als so manches Training, das ganz groß in den Medien angekündigt wird.
Jonas Rein: Da gibt es ja auch alle möglichen Arten von Apps, die Entspannung versprechen, aber auch wieder am Gerät stattfinden und Geld kosten. Da wäre ja eventuell ein Spaziergang im Wald erholsamer für Geist und Geldbeutel.
Edmund Wascher: Ja, das könnte durchaus so sein, dass das deutlich erholsamer ist, als dann wieder am Handy zu daddeln und hier wieder in dieser Medienschleife drin zu sein.
Jonas Rein: Was können Sie Arbeitgeber raten, um die Belegschaft vor Erschöpfung zu schützen?
Edmund Wascher: Mal genau hinzugucken, hinzuhören, auch was die Leute für Beschwerden, Bedürfnisse, was sie für Anregungen haben. Ich glaube, ein offener Dialog über sich, über die Arbeitssituation ist ein sehr, sehr guter Schritt, um die Arbeitnehmer besser zu verstehen, um die Situation besser zu verstehen. Auch glaube ich, darauf zu achten, dass jetzt nicht exzessiv an gewissen Stellen gearbeitet wird: Also bestimmte Berufe haben die Eigenschaft, dass sich die Leute dann so richtig reinfressen in den Flow reinfressen, das vielleicht einmal ganz gut schaffen, aber danach relativ viel Erschöpfung mit sich mit rumschleppen. Ich glaube, das Wichtigste für einen Arbeitgeber ist, achtsam zu sein, wie die Mitarbeiter agieren. Und ich glaube auch achtsam darauf zu sein, wenn irgendwann mal ein Fall eintritt, sich die Gesamtsituation noch mal anzusehen, um eben ein Gefühl dafür zu haben, wie wirklich die Belastungssituation ist.
Jonas Rein: Kommen wir nun zu unserer beliebten Rubrik Die berühmten letzten Worte. Das funktioniert wie folgt Ich starte einen Satz, den Sie beenden, Herr Wasser. Sind Sie bereit?
Edmund Wascher: Jepp.
Jonas Rein: Perfekt. An meinem Job mag ich am meisten, dass…
Edmund Wascher: ich kreativ sein kann und dass ich etwas erreichen kann, was schaffen kann, was neu ist.
Jonas Rein: Früher wollte ich eigentlich was ganz anderes werden, nämlich…
Edmund Wascher: Ich wollte Filmregisseur werden.
Jonas Rein: Wenn ich mal einen Motivationsloch habe, dann hilft es mir…
Edmund Wascher: wenn ich ans Meer fahre und aufs Wasser gucke und mir einfach nur stundenlang das Wasser anschau.
Jonas Rein: Herr Wascher! Herzlichen Dank für das Gespräch.
Edmund Wascher: Ich danke auch!
Jonas Rein: Liebe Hörerinnen und Hörer. Falls Sie uns Feedback zum Podcast geben möchten oder Themenvorschläge haben, können Sie uns entweder auf unserer Factor Facebook-Seite, auf der LinkedIn-Seite der Bundesagentur für Arbeit oder auf Twitter unter @Bundesagentur einen Kommentar hinterlassen. Sie können uns aber auch gerne eine E-Mail schreiben an Redaktion[at]faktor-a.info. Die nächste Folge gibt es im März und ich hoffe, dass Sie wieder reinhören. Bis dahin wünsche ich Ihnen eine gute Zeit.