19.06.2019 - Antonia Kemper -5 MinutenZukunft der Arbeit
90 Prozent der Internetnutzer sind in sozialen Netzwerken unterwegs. Aber nur 43 Prozent der KMU tummeln sich dort. Agenturchef Jan Honsel erklärt, warum und wie diese Unternehmen das schleunigst ändern sollten.
Faktor A: Fast jeder Deutsche, der im Internet unterwegs ist, nutzt soziale Medien – von Facebook über Xing bis hin zu Instagram und Snapchat. Doch gerade mal 43 Prozent der kleinen und mittelständischen Betriebe sind auf diesen Plattformen präsent, und von den großen sind es auch nur 72 Prozent. Ist das ein Fehler?
Jan Honsel: Ja, denn die sozialen Netzwerke bzw. digitalen Plattformen sind für nahezu alle Unternehmen und Selbständigen relevant. Für den Schreiner mit ein paar Angestellten genau so wie für den mittelständischen Produkthersteller mit 500.
Warum? Was kann eine Plattform wie Facebook den beiden bieten?
Facebook ist mit Abstand das größte Netzwerk; mehr als 32 Millionen Deutsche aller Altersstufen sind dort unterwegs. Trotzdem muss nicht jedes Unternehmen bei Facebook vertreten sein. Die Frage ist ja: Wo erreiche ich die Menschen, die sich für meine Produkte und Dienstleistungen interessieren könnten? Wenn es eher jüngere Menschen sind, die ich ansprechen möchte, passt möglicherweise Snapchat oder Instagram besser. Wer dagegen eine Zielgruppe mittleren Alters im Auge hat, die nach visueller Inspiration sucht, ist vermutlich mit Pinterest gut bedient. Viele ganz Jungen sind wiederum auf dem Newcomer Tiktok zu finden. Und neue Mitarbeiter und potentielle Geschäftspartner lassen sich auf Businessportalen wie Xing und LinkedIn gut ansprechen.
Und dann …?
… lässt sich jedes klassische Marketingziel über Social Media-Kanäle erreichen – je nach Zielgruppe sogar besser als über andere Werbekanäle. Egal, ob ich Aufmerksamkeit erzeugen möchte oder Newsletter-Abonnenten generieren will, ob es mir um mehr Traffic auf meiner Webseite geht, um Datensätze oder um Abverkäufe. Und schon mit einem kleinen Budget, durchaus auch schon mit 100 Euro, lässt sich durch gezieltes Targeting relevante Reichweite erzielen – je nach Produkt, Ziel und Zielgruppe auch mehr als durch das Schalten von Anzeigen in diversen Regionalzeitungen. Anschließend kann man mit gutem und vor allem relevanten Content die eigene Sichtbarkeit auch weiter erhöhen. Das Landwirtschaftsmagazin „Top Agrar“ ist dafür ein Super-Beispiel. Schon vor einigen Jahren hatte es auf seiner Facebookseite unerwartet hohe Videozahlen. Der Social Media-Manager hatte nämlich erkannt, wie stark sich seine Leser und Zielgruppe mit dem Berufsfeld identifiziert haben – und die richtigen Inhalte für sie bereitgestellt.
Das klingt aber auch so, als benötige man dafür zusätzlich Mitarbeiter.
Wenn man nicht seine komplette Marketingstrategie auf Social Media setzt, genügt anfangs sicherlich eine Person. Früher hätte man eine solche Aufgabe wahrscheinlich einem Praktikanten übertragen oder von irgendjemanden aus der Marketingabteilung mitmachen lassen. Inzwischen haben jedoch viele Unternehmen – und auch viele Behörden und Institutionen – erkannt, wie wichtig es ist, dass ein Mitarbeiter wirkliches Interesse und Spaß an der Arbeit mit und auf den Social Media Kanälen hat – und bildet ihn oder sie entsprechend weiter. Ohnehin bieten alle großen Platt-formen gute und verständliche e-Learning-Möglichkeiten zur eigenen Weiterqualifizierung an. Soziale Medien fungieren im Marketing letztendlich wie eine Brücke zwischen einer Marke und den Menschen. Dabei muss einem klar sein: Wer über einen solchen Kanal Aufmerksamkeit generiert, wird irgendwann darüber auch Rückfragen oder Kommentare erhalten. Diesen Dialog zu nutzen, ist nicht nur schlau, sondern entspricht ja dem „Social“ im Namen. Denn ich lerne dabei nicht nur einiges über meine Zielgruppe, sondern vor allem auch von ihr. Ich kann vieles ausprobieren und bekomme sofort Feedback. Entwickelt sich das alles gut, lohnt es sich natürlich, weitere Mitarbeiter für die Bespielung von Social Media-Kanälen einzustellen.
Zitat:"Soziale Netzwerke sind für nahezu alle Unternehmen interessant - egal ob es fünf Mitarbeiter hat oder 50."
Ganz ohne Strategie funktioniert das allerdings nicht, oder?
Nein. Ich muss mir vorab darüber klar werden, was ich erreichen will. Suche ich Auszubildende für meine Bäckerei? Möchte ich mehr Kunden gewinnen? Ein bestimmtes Image aufbauen? Und dann muss man einfach probieren – und am besten auch schauen, wie es andere machen. Vielleicht erkennt man Muster, die gut funktionieren und auch für einen selbst sinnvoll sein könnten. Dafür braucht man Mut, und – ganz wichtig – man darf keine Angst vor Misserfolg haben. Im Zweifelsfall stellt man einen Kanal wieder ein.
Also Learning by Doing?
Natürlich kann man zu dem Thema eine Menge Bücher kaufen und Magazine oder Blogs lesen. Aber generalistische Botschaften haben den Nachteil, dass sie in meinem speziellen Fall möglicherweise nicht gelten. Deshalb ist das eigene Testen wichtig und sinnvoll. Auch um herauszufinden, welche Geschichten und Arten des Erzählens zum Unternehmen passen. Wenn ich heutzutage als Bäcker junge Menschen für eine Ausbildung begeistern will, sollte ich das vermutlich entweder über meine Person tun oder über meine besondere Form der Brotherstellung – um so die Menschen zu erreichen, die sich genau dafür interessieren.
Heißt das, dass sich doch auch immer der Chef um den Unternehmensauftritt bei Instagram & Co. kümmern sollte?
Nein. Er sollte die Zielen und den Rahmen setzen und natürlich die Mittel dafür bereitstellen, sollte sich aber ansonsten zurückhalten, wenn er zu weit von den verschiedenen Plattformen entfernt ist. Firmenlenker gehen meist mit einem Sendungsbewusstsein an das Thema heran, das in den Sozialen Medien nicht unbedingt funktioniert.
Lässt sich denn überhaupt messen, ob Postings funktionieren? Gibt es dafür Tools?
Die gibt es. Aber ich kann nur etwas sinnvoll messen, wenn ich mir vorher überlegt habe, was und warum ich es erreichen will. Und das ist ja das Gute, dass ich über die digitalen Kommunikationskanäle Menschen erreiche, die ich vielleicht woanders gar nicht mehr erreichen kann – oder sogar noch besser erreichen kann. Und das zu messen, ist unumgänglich. Es macht schliesslich keinen Sinn, aktiv zu sein und nicht zu kontrollieren, ob es überhaupt etwas bringt. Das wäre verschwendete Zeit. Die meisten Plattformen bieten eigene Analyticsbereiche, mit denen man starten kann. Wird das Social Media-Thema im Unternehmen irgendwann richtig groß, sollte man sich vermutlich über weitere Tools Gedanken machen. Aber erst mal lautet die Devise: ausprobieren, messen, verbessern.