26.09.2023 - Matthias Haft -10 MinutenZukunft der Arbeit
In den Reparaturwerkstätten herrscht Hochbetrieb, die Aufträge stapeln sich und Wartezeiten steigen, manchmal muss Kundschaft auch wieder weggeschickt werden: Das Interesse an Uhren ist ungebrochen hoch. Trotz Smartwatch und Co. liegen hochwertige mechanische Uhren im Trend und die Verkaufszahlen steigen.
Doch so positiv die Zukunftsaussichten aus vertrieblicher Perspektive sind, so angespannt ist die Lage in den Werk- und Produktionsstätten: Uhrmacherinnen und Uhrmacher der geburtenstarken Jahrgänge der Baby-Boomer verabschieden sich so langsam in den wohlverdienten Ruhestand, gleichzeitig beginnen zu wenige junge Menschen eine Ausbildung in diesem Handwerk. Und die wenigen, die eine Ausbildung abschließen, werden gern auch mal direkt ins Ausland abgeworben.
„Wir haben die Zeichen der Zeit schon vor Jahren erkannt“, sagt Albert Fischer, Präsident des Zentralverbands für Uhren, Schmuck und Zeitmesstechnik. „Deswegen haben wir eine Ausbildungsoffensive gestartet. Gemeinsam mit unseren Partnern fördern wir jeden Ausbildungsplatz mit bis zu 5.500 Euro.“ Innerhalb der letzten vier Jahre sind die betrieblichen Ausbildungsstellen trotzdem um fast 20 Prozent zurückgegangen. Das liege auch daran, dass immer weniger Betriebe ausbilden wollen. „Gerade sehr kleine Betriebe empfinden manchmal eine Ausbildung sowohl personell als auch finanziell als besonders belastend. Und auch die Suche nach passenden Bewerbern ist oftmals eine Herausforderung.“
Hin und wieder kommen Ausbildungen aber auch ganz spontan zustande, ohne dass ein Betrieb gerade aktiv nach Azubis sucht. „Da haben sie vielleicht mal einen begeisterten Praktikanten, oder eine junge Kundin im Geschäft interessiert sich für das Handwerk. Auch aus solchen Situationen heraus kann der Wunsch nach einem Ausbildungsplatz entstehen. Unsere Ausbildungsförderung hilft dem Betrieb, die finanziellen Risiken abzufedern. Außerdem stehen wir mit Rat und Tat an der Seite der Uhrmacherinnen und Uhrmacher.“
Drei Perspektiven auf das Uhrmacherhandwerk und seine Zukunft
Im Interview berichten drei Vertreter der Branche von den aktuellen Herausforderungen des Uhrmacherhandwerks. Außerdem wagen sie einen Blick in die Zukunft und erläutern, was es braucht, um attraktiv für Bewerberinnen und Bewerber zu bleiben.
„Die Branche kann sich nicht länger erlauben, am Gestern festzuhalten“
Uhrmachermeister und Restaurator Michael Manßhardt ist mit seinen beiden Werkstätten in Niedersachsen und Bayern vertreten.
Faktor A (FA): Vor welchen Herausforderungen steht das Uhrmacherhandwerk aktuell?
Michael Manßhardt (MM): Die Nachwuchsfrage ist zweifelsohne eine derer, die der Branche derzeit besonders unter den Nägeln brennt. Der Blick in die aktuellen Zahlen der Ausbildungszentren zeigt, dass es eindeutig zu wenig junge Menschen gibt, die diesen Beruf erlernen und ausüben wollen. Viele langjährige Kollegen und Kolleginnen müssen ihre Betriebe aufgeben, weil sie keine Nachfolger finden. Da drängt sich natürlich die Frage auf: Warum ist das so und vor allem, wie können wir dem begegnen?
FA: Wie begegnen Sie, wie begegnet die Branche dieser Herausforderung?
MM: Werbung ist das A und O. Und zwar richtige Werbung, gemacht von Menschen, die ihr Handwerk lieben und das auch nach außen hin sichtbar machen wollen. Viele traditionelle Handwerksberufe haben eins gemeinsam: Sie werkeln gemütlich im Hintergrund. Mediale Präsenz ist für den Großteil der Betriebe eine Begleiterscheinung der Neuzeit, etwas, das man zwar irgendwie mitmacht, aber tendenziell eher halbherzig. Das ist meiner Meinung nach vor allem ein strukturelles Problem, das sich darin begründet, dass geistige Arbeit in der Leistungsgesellschaft hoch gehandelt wird. In meiner Generation wurden die meisten jungen Leute zum Studieren angehalten – mit dem Ergebnis, dass wir jetzt akuten Fachkräftemangel haben, und zwar besonders im Handwerk. Jetzt also muss zügig frischer Wind rein – gerade in die Branchen, denen noch immer ein verstaubtes Image anhaftet. In diesem Sinne: Gute Arbeit machen und das dann auch zeigen!
FA: Welche Rolle spielen dabei Digitalisierung und Automatisierung im Berufsbild des Uhrmachers und in Ihrem Betrieb?
MM: Eine große, und das ist gut so! In meiner Werkstatt zeige ich, wie vielfältig die Uhrmacherei sein kann. Instagram ist dafür inzwischen zu einem der wichtigsten Werkzeuge geworden. Gutes Bildmaterial im Feed und in den Stories, anschauliche Reels, das richtige Maß an Infotainment, alles das ist wichtig, um auf das Handwerk aufmerksam zu machen. Sich dieser medialen Mittel zu bedienen, ist essenziell, um zeitgemäß zu bleiben. Natürlich muss sich das auch irgendwo in der Ausbildung und der Werbung für diesen Beruf niederschlagen. Potenziellen Nachwuchs beeindruckt man selten mit antiquierten Slidern auf einer Homepage, die seit 2003 nicht mehr aktualisiert wurde.
Ich glaube, man darf sich einfach nicht ausruhen, man muss am Ball bleiben und schauen, welche Form der Digitalisierung und Automatisierung sich für die eigene Arbeit richtig anfühlt. In meinem Betrieb wird neuerdings viel digital gezeichnet, beispielsweise für die Entwicklung neuer Uhrmacherwerkzeuge und Maschinen. Uhrmacherei bedeutet am Ende des Tages eben auch, Arbeitsprozesse im Sinne der Digitalisierung zu verschlanken und zu verbessern – ohne dabei Altbewährtes zu vergessen. Letztlich geht es immer um Ergänzung, um Fortschritt, und der lässt sich zum Glück nicht aufhalten.
FA: Was muss ein Ausbildungsbetrieb Ihrer Ansicht nach bieten, um attraktiv für angehende Azubis zu sein?
MM: Flexibilität und Stabilität. Klingt zunächst ambivalent, ist bei näherer Betrachtung aber durchaus vereinbar. Es geht, wie so oft, um die richtige Balance. Ein Betrieb ist immer nur so gut wie seine Leute und das schließt den Nachwuchs mit ein. Ich habe in meiner eigenen Laufbahn oft erlebt, dass man sich als Auszubildender den Gegebenheiten anzupassen hatte, und das bedeutet in der Regel wenig Spaß und kaum Spielraum für neue Ideen. In meinem Betrieb wird bewusst ganz viel in Eigenregie gearbeitet und bislang habe ich damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Natürlich muss man auch das ganze Drumherum betrachten. Die Arbeitswelt verändert sich, die Bedürfnisse der Arbeitenden gleichermaßen. Mir persönlich ist das Klima am Arbeitsplatz heilig. Das bedeutet: klare Kommunikation mit den Mitarbeitenden, ein faires Miteinander, aber auch Raum für Kritik und Veränderung. Man muss seinen Kurs finden und notfalls bereit sein, alles über den Haufen zu werfen. Das nennt man dann wohl Berufsrisiko.
FA: Wie schätzen Sie die Zukunftsaussichten Ihres Handwerks ein?
MM: Es wäre wünschenswert, wenn es mehr Betriebe als ihren Auftrag empfänden, für die Uhrmacherei zu werben und ihre Arbeit zu zeigen. Und zwar nicht im Sinne eines Wettstreits mit der Konkurrenz oder gar den Universitäten, sondern einfach aus dem Grund, weil sie ihr Handwerk lieben und erhalten wollen. Gleichzeitig ist es notwendig, mehr Berührungspunkte zu schaffen, an denen Schülerinnen und Schüler, bzw. junge Berufseinsteiger den Uhrmacher-Alltag kennenlernen. Die Uhrmacherei hat noch immer einen alchimistischen Touch, was sie einerseits interessant macht, andererseits aber leider auch dafür sorgt, dass sich das Handwerk selbst im goldenen Käfig hält und damit unter seinen Möglichkeiten bleibt. Die Branche kann sich nicht länger erlauben, am Gestern festzuhalten – wir müssen jetzt raushauen, was geht, um dem Nachwuchs das zu zeigen, was im Grunde kein Mysterium, sondern richtige gute Arbeit ist.
„Wir sind ein aussterbender Beruf mit Zukunft“
Uhrmachermeister und Betriebswirt Timo Boxberg führt die Uhrmacherei Boxberg im nordrhein-westfälischen Overath in zweiter Generation.
FA: Vor welchen Herausforderungen steht das Uhrmacherhandwerk aktuell?
Timo Boxberg (TB): Aktuell steht das Uhrmacherhandwerk vor nie dagewesenen Herausforderungen. Der Fachkräftemangel ist unser größtes und dramatischstes Problem. Vor Corona hatten wir in Deutschland ca. 5.500 Uhrmacher – während der Pandemie ist die Zahl auf ca. 4.800 geschrumpft. Die Tendenz geht weiter stark nach unten, da in den nächsten Jahren die letzten Baby-Boomer in Rente gehen und viele Einzelkämpfer keine Nachfolger finden. Auch die Ausbildungszahlen sinken stetig. Aktuell haben wir einen Schnitt von ca. 200 Auszubildenden im Uhrmacherhandwerk pro Jahr. Das Paradoxe ist eigentlich, dass die Nachfrage nach fachgerechten Uhrenreparaturen immer größer wird, das Angebot an ausgebildeten Uhrmachern aber immer weiter sinkt.
FA: Wie begegnen Sie, wie begegnet die Branche dieser Herausforderung?
TB: Wir arbeiten in unserem Uhrmacherverband an allen Fronten. Die Zahl der Uhrmacher können wir nur über die Ausbildung erhöhen. So versuchen wir den Beruf mit unserer Ausbildungsoffensive für junge Menschen und Ausbildungsbetriebe attraktiv zu gestalten – jeder Betrieb erhält pro geschaffenem Ausbildungsplatz bis zu 5.500 Euro Prämie sowohl in Sach- als auch Geldleistungen. Auch mit den Arbeitsagenturen sind wir im Kontakt. Leider wurde der Beruf des Uhrmachers in der Vergangenheit von den Berufsberatungen bereits totgesagt, und den jungen Menschen wurde abgeraten, diesen wunderschönen Beruf zu erlernen. Ja, ich sage auch immer, wir sind ein aussterbender Beruf mit Zukunft. Aber wir sterben nicht aus, weil wir nicht mehr gebraucht werden, sondern da wir immer weniger werden.
Ich kann nur jedem jungen Menschen raten, Uhrmacher zu werden, denn gerade in der jetzigen Situation, in der Uhrmacher händeringend gesucht werden, ist der Beruf attraktiv wie nie. Die Verdienst- und Karrierechancen sind so hoch wie nie.
FA: Welche Rolle spielen Digitalisierung und Automatisierung Ihrer Ansicht nach im Berufsbild des Uhrmachers und in Ihrem Betrieb?
TB: Das veraltete Bild des grauhaarigen tattrigen Uhrmachers im weißen Kittel am maroden Werktisch in einem kleinen Kämmerlein trifft es schon lange nicht mehr. Klar, das Handwerk kann man wie vor hundert Jahren nur mit den Händen ausüben, aber wir arbeiten an hochmodernen Werktischen, und die komplette Infrastruktur ist heute mittlerweile fast überall digitalisiert. Die komplette Auftragsverwaltung, die Kommunikation mit dem Kunden oder der Einkauf von Ersatzteilen bei den Herstellern und Großhändlern: Ohne EDV und Digitalisierung kann auch ein Uhrmacher heute kaum noch arbeiten.
FA: Was muss ein Ausbildungsbetrieb Ihrer Ansicht nach bieten, um attraktiv für angehende Azubis zu sein?
TB: Schwierige Frage, in erster Linie sollte es darum gehen, unser Handwerk generell attraktiv nach außen zu präsentieren. Das schaffen wir über Ausbildungsmessen und Praktika in unseren Werkstätten. Wir müssen mehr präsent sein. Die einzelnen Betriebe sollten sich modern zeigen und das verstaubte Bild des Uhrmachers beiseite wischen. Eine Uhrmacherwerkstatt sollte auf dem neusten Stand der Technik sein und die komplette Bandbreite unseres Berufes abbilden können. Neben Armbanduhren sollte der Fokus auch auf alten und antiken Großuhren liegen. Die heute üblichen Benefits lasse ich außen vor, die sind ja mittlerweile schon fast selbstverständlich.
FA: Wie schätzen Sie die Zukunftsaussichten Ihres Handwerks ein?
TB: Aus Sicht eines Arbeitnehmers gab es keine bessere Zeit als heute. Quasi jedes Unternehmen, ob kleiner Handwerksbetrieb, Juwelier oder großer Industriekonzern – alle suchen händeringend gut ausgebildete Uhrmacher. Die Chancen auf Führungspositionen und hohes Gehalt waren noch nie so gut wie heute.
Aus Arbeitgebersicht ist die Situation allerdings dramatisch. Es gibt aktuell kaum eine Chance, Uhrmacher einzustellen. Gerade die kleinen Betriebe tun sich da schwer, da es die Big Player der Branche alleine durch das vorhandene Kapital den kleinen Firmen schwer machen, da mitzuhalten. Dort werden mittlerweile Löhne und Gehälter gezahlt, die in kleinen Betrieben nur schwer erwirtschaftet werden können.
Gerade die Ausbildung der Uhrmacher übernehmen aktuell hauptsächlich die kleinen Betriebe. Nach wie vor bilden viele „Große“ nicht aus und fischen das Fachpersonal nach der Ausbildung bei den „Kleinen“ ab. Das ist eine ungesunde Gesamtsituation. Nur durch gemeinsame Ausbildungsanstrengung aller Marktteilnehmer können wir die Situation in den nächsten Jahren entspannen.
„Die Uhrmacherei heute verbindet traditionelles Handwerk mit modernsten Technologien“
Uhrmachermeisterin Elisabeth Gläser leitet das Ausbildungszentrum des Schmuckherstellers Wempe im sächsischen Glashütte.
FA: Vor welchen Herausforderungen steht das Uhrmacherhandwerk aktuell?
Elisabeth Gläser (EG): Die größte Herausforderung sehe ich in der Gewinnung von qualifizierten Fachkräften für unseren Service in den Geschäften und für unsere Werkstätten. Im Jahr 2022 haben in Deutschland 70 Auszubildende ihre Gesellenprüfung abgelegt. Im Gegensatz dazu haben 600 Uhrmacher:innen den Beruf verlassen.
FA: Wie begegnen Sie, wie begegnet die Branche dieser Herausforderung?
EG: Aktuell bauen wir ein neues Ausbildungszentrum in Glashütte und erhöhen unsere Ausbildungszahl von 18 auf 24 Auszubildende. Damit gehören wir zu den größten Ausbildern der Branche. Zusätzlich bieten wir für interessierte Schüler:innen im Rahmen eines Orientierungspraktikums Einblicke in den Beruf des Uhrmachers und die Ausbildung.
Neuen Uhrmacher:innen bieten wir ein umfassendes Onboardingprogramm und vielfältige Weiterbildungsmöglichkeiten im Rahmen der Wempe-Akademie. Wir ermöglichen unseren Uhrmacher:innen sowohl Wechsel innerhalb unserer deutschen Niederlassungen, als auch Einsätze in unseren internationalen Geschäften. Beispielsweise sind gerade drei unserer Uhrmacher:innen nach New York gewechselt.
Wir halten engen Kontakt zu den Uhrmacherschulen und engagieren uns mit einem Chronometerwettbewerb und Fachvorträgen an den Schulen vor Ort, um auch den Vollzeit-Auszubildenden die vielfältigen Perspektiven des Berufs aufzuzeigen.
FA: Welche Rolle spielen Digitalisierung und Automatisierung Ihrer Ansicht nach im Berufsbild des Uhrmachers und in Ihrem Betrieb?
EG: Die Uhrmacherei heute verbindet traditionelles Handwerk mit modernsten Technologien. Besonders in der Reparatur liegt aber nach wie vor der Schwerpunkt auf individuellen Arbeitsabläufen. Die Annahme von Reparaturen und weitere Kommunikation mit dem Kunden, Reparaturpläne und Ersatzteillisten werden heute meist digital umgesetzt.
FA: Was muss ein Ausbildungsbetrieb Ihrer Ansicht nach bieten, um attraktiv für angehende Azubis zu sein?
EG: Aus unserer Sicht ist neben einer hohen Ausbildungsqualität eine individuelle Förderung der Auszubildenden wichtig. Besonders stolz sind wir, dass wir mehrfach das wertvolle Siegel „Best Place to Learn“ erhalten haben.
Wir können nach der Ausbildung drei Wege bieten: eine Tätigkeit als Serviceuhrmacher:in in unseren Geschäften, als Uhrmacher:in in der Fertigung oder in der Uhrenwerkstatt. Diese Bereiche lernen die Auszubildenden bereits in der Ausbildung kennen. Das ist einzigartig in der Branche.
Weiterhin spielen die Möglichkeit der Arbeit mit unterschiedlichen Uhrenmarken und vielfältige Weiterbildungsmöglichkeiten nach der Ausbildung eine große Rolle. Wir erleichtern unseren Auszubildenden, die aus dem gesamten Bundesgebiet stammen, auch den Start in Glashütte, indem wir im ersten Ausbildungsjahr eine kostenlose Wohnmöglichkeit im Rahmen einer attraktiven WG zur Verfügung stellen.
FA: Wie schätzen Sie die Zukunftsaussichten Ihres Handwerks ein?
EG: In unseren Geschäften werden im Jahr über 40.000 hochwertige Uhren zur Reparatur abgegeben. Dafür ist die tiefe Fachkompetenz eines Uhrmachers unumgänglich, und das zeigt, dass Uhrmacherei ein absolut zukunftsfähiger Beruf ist. Zumal es leider nicht mehr viele Interessentinnen und Interessenten für diesen wichtigen und spannenden Beruf gibt, obwohl die Verkaufszahlen hochwertiger Uhren stetig steigen.