24.01.2024 - Katja Feuerstein -5 MinutenArbeitswelt gestalten
Für viele Menschen ist Sitzen die „Fortbewegungsart“ Nummer Eins. Ob am Arbeitsplatz oder in der Freizeit. Dabei ist Bewegungsmangel gefährlich, kann sogar tödlich sein.
Zitat:„Schätzelein – Entschuldijung, isch habe Rücken“
Während Horst Schlämmer damit einst für bundesweite Erheiterung sorgte, ist dieser Zustand längst trauriger Alltag. Denn Deutschland ist die Nation der „Sitzenbleiber“ – mit verheerenden Folgen für die Gesundheit. Die Deutschen sitzen zu viel und das immer länger: Laut DKV-Report 2023 sitzen wir 554 Minuten pro Werktag, also gut neun Stunden auf der Arbeit und in der Freizeit. In den vergangenen sieben Jahren hat sich die durchschnittliche Sitzzeit gar um knapp 1,5 Stunden verlängert. Dabei sind mehr Junge als Alte „Vielsitzer“: Mit 621 Minuten, also über 10 Stunden, halten sie den Negativrekord über alle Altersgruppen hinweg. Bei den Über-66-Jährigen waren es nur 38 Prozent mit einer so hohen täglichen Sitzdauer. Auch Männer sitzen länger als Frauen. Sie kommen auf rund 10 Stunden werktäglich, Frauen auf 8,6 Stunden. Weiter bedenklich: Je höher die Bildung, das Einkommen und der Anteil an Homeoffice, desto länger wird gesessen.
Mindestens so schädlich wie Passivrauchen
Kennen Sie das? Bequem mit dem Auto statt dem Fahrrad oder zu Fuß zur Arbeit. Lieber schnell den Aufzug anstatt der Treppe nehmen. Danach noch stundenlang am Arbeitsplatz sitzen. Und in der Pause sitzend am Handy daddeln. Was harmlos klingt, kann tödlich sein! Nicht nur in Fachkreisen gilt Sitzen schon länger als das „neue Rauchen“. Passivität ist pures Gift. Sitzen soll die Lebenserwartung sogar in stärkerem Ausmaß reduzieren als Rauchen. Laut einer 2008 in Australien durchgeführten Studie verringert jede Fernsehstunde die Lebenserwartung von über 25-Jährigen um 21,8 Minuten. Das Rauchen einer Zigarette kostet im Vergleich nur 11 Minuten – was selbstverständlich kein Plädoyer fürs Rauchen sein soll. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft körperliche Inaktivität inzwischen als viertgrößte vermeidbare Todesursache ein. Jährlich sind es weltweit 3,2 Millionen Menschen, die an mangelnder Bewegung sterben.
Was das mit unserer Gesundheit macht
„Viel Sitzfleisch haben“ ist längst nicht mehr erstrebenswert, sondern kann richtig krank machen. Doch warum ist langes Sitzen so problematisch? Langes Sitzen, so belegen zahlreiche Studien, erhöht das Risiko für die Entstehung zahlreicher Krankheiten.
Die Volkskrankheit Rückenschmerzen ist dabei nur eine von vielen. So steigt außerdem das Risiko für Diabetes Typ 2, Adipositas, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Langes Sitzen kann dadurch sogar unsere Lebenserwartung verkürzen. Eine bereits im Jahr 2012 veröffentlichte Studie hat ergeben, dass das Sterberisiko durch pausenloses Sitzen doppelt so hoch ist.
Neben unserem Körper leiden auch unser Gehirn und unsere Psyche: Der Hippocampus, eine Gehirnregion, die für Lernen und Erinnern verantwortlich ist, ist schlechter vernetzt. Um körperlich und geistig so fit wie möglich zu bleiben, ist es demnach wichtig, die sitzende Zeit zu reduzieren und möglichst mit geistig anregenden Tätigkeiten zu füllen – also nicht nur auf der Couch zu lümmeln und sich vom Fernseher berieseln zu lassen. Hinzu kommt, dass subjektives Wohlbefinden und Bewegung eng zusammenhängen.
Kurz: Wer mehr Pausen vom Sitzen macht und sich mehr bewegt, fühlt sich besser.
Wie Sie einfach in Bewegung kommen
Wir bewegen uns also weniger, als wir denken. Besonders die Bürotätigen unter uns bestreiten tägliche Sitzmarathons. In der Freizeit nimmt das Sitzen ebenfalls stetig zu. Das birgt große Gefahren für die körperliche und geistige Gesundheit. Zudem entsteht ein großer volkswirtschaftlicher Schaden: Rückenschmerzen verursachen die meisten Arbeitsunfähigkeitstage. Auch besteht die Gefahr einer Chronifizierung. Das schränkt nicht nur die Lebensqualität der Beschäftigten stark ein. Genauso müssen Unternehmen mit Einbußen bei Produktivität und Umsatz rechnen. Schlimmstenfalls fallen die Betroffenen ganz aus und müssen ersetzt werden – eine Herausforderung in Zeiten von Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel. Aber heißt das, wir müssen jetzt alle Langstreckensportlerinnen und -sportler werden? Nein, sagen Expertinnen und Experten.
Zitat:„Schon täglich vier bis fünf Minuten körperliche Aktivität senken die Sterblichkeit“.
Es reicht schon, kleine Bewegungseinheiten in den (Arbeits-)Alltag einzubauen. Je öfter und regelmäßiger, desto besser. Unsere folgenden Tipps helfen Ihnen als Arbeitgeber dabei, eine Arbeitsumgebung zu schaffen, in der Bewegung gefördert wird!
Tipps fürs Arbeiten am Arbeitsplatz
Sich selbst austricksen, ist mitunter am effektivsten. Das gelingt so:
- Außer Reichweite: Gestalten Sie Büros und andere Unternehmensräume so, dass Mitarbeitende motiviert werden, ein paar Schritte zu gehen – zum Drucker, Kopierer, Scanner oder einfach zum Mülleimer. Nur die wichtigsten Arbeitsmittel, die ständig gebraucht werden, sollten sich direkt am Arbeitsplatz befinden. Das gilt auch für Möbel. Speziell obere Schränke fördern das Strecken in die Höhe. Das sorgt für Bewegung und Ihre Beschäftigten dehnen nebenbei Ihre Rücken-, Arm- und Beinmuskulatur.
- Geselligkeit ist Trumpf: Fördern Sie den direkten persönlichen Austausch. Nicht alles muss per E-Mail und Telefon erledigt werden. Schaffen Sie dazu Begegnungsräume, in denen sich Kolleginnen und Kollegen treffen können. Das fördert die Bewegung und gleichzeitig den Zusammenhalt.
- Bewegte Pause: Lassen Sie Ihren Beschäftigten Raum und Zeit für Bewegung. Machen Sie diese zum festen Bestandteil Ihres Unternehmensleitbilds und betrieblichen Gesundheitsmanagements. Gewähren Sie feste Zeitblocker, in denen Beschäftigte kurze Übungen ausführen oder Sport treiben können. Entweder in der Mittagspause oder zum Beispiel vor internen Meetings. Stellen Sie, sofern möglich, Räume, Material und passende Übungen zur Verfügung. Informieren Sie regelmäßig über entsprechende in- und externe Angebote. Seien es Kurse für die Rückenschule, ergonomische Schulungen oder Maßnahmen zur Förderung der Selbstverantwortung.
- Bewegtes Meeting: Schon Sokrates wusste, dass Philosophieren bei einem gemeinsamen Spaziergang besonders gut funktioniert. Halten Sie kleinere Meetings daher gern auch mal bei einer Runde durch den nächsten Park ab. Oder gestalten Sie diese so, dass zumindest ein Gang ums Gebäude dabei drin ist.
- Rauf und runter: Niemand will festgenagelt werden. Lassen Sie Ihre Mitarbeitenden öfter mal aufstehen – bestenfalls über einen höhenverstellbaren Schreibtisch. Oder motivieren Sie diese, Standardtätigkeiten wie Telefonieren im Stehen zu erledigen. Halten Sie auch mal ganze Meetings im Stehen ab. Dabei gilt: die Abwechslung macht´s: Denn Stehtische helfen nur bedingt, weil sich Stillstehen und Stillsitzen nicht grundlegend unterscheiden.
- "Ja" zum Zappelphilipp: Was in der Schule noch verpönt war, hat im Arbeitsalltag einen positiven Effekt. Pochen Sie nicht auf Stillsitzen und Dauer-Präsentismus! Gönnen Sie Ihren Angestellten alle halbe bis eine Stunde einen kurzen „Spaziergang“. Einmal über den Gang, quer durchs Büro, ein paar Kniebeugen zwischendurch oder einfach mal gut durchschütteln. Was komisch anmuten mag, wirkt Wunder! Es senkt den Blutdruck und den Blutzuckerspiegel. Zudem verbessert es die Stimmung und verringert die Müdigkeit.
Tipps für den Weg ins Büro
Auch auf dem Weg zur Arbeit und zurück lassen sich gut Bewegungsanreize schaffen. Warum es dabei nicht gleich das Work-out im Fitness-Studio sein muss…
- Nutzen Sie kostenlose „Fitnesstrainer“: Ermuntern Sie Ihre Mitarbeitenden, anstatt des Aufzugs öfter die Treppe zu nehmen – im Büro und zuhause. Das hält fast so fit wie etwa Radfahren oder Schwimmen! Gehen Sie dafür als Führungskraft mit gutem Beispiel voran. Bringen Sie gerne auch motivierende Schilder an.
- Schaffen Sie Aufmerksamkeit und Belohnung: Der innere Schweinehund ist bekanntlich faul und stur. Machen Sie daher kontinuierlich auf die positiven Effekte einfacher Alltagsbewegungen aufmerksam – zum Beispiel im Rahmen einer Awareness-Kampagne. Denkbar sind hier coole Aktionen wie „Schritte zählen“ per Fitnessuhr, etwa nach dem Motto „Schaffen wir als Belegschaft 10.000 km im Februar?“ Regen Sie Laufgruppen-Treffs an. Oder machen Sie den Firmenparkplatz zum „Schrittzähler“ mit regelmäßigen Bewegungsaktionen. Das fördert die Bewegung und das „Wir-Gefühl“. Und vergessen Sie nicht, Ihr Team bei Fortschritten zu loben und zu belohnen.
- Kurbeln Sie den Kreislauf an: Dienstwagen war gestern. Bringen Sie Ihr Personal doch über ein Job-Rad in Schwung! Je nach Geldbeutel entweder kostenlos zum Ausleihen oder über ein Leasing-Angebot vom Arbeitgeber. Dienstrad-Leasing kann teils deutlich günstiger als ein Fahrradkauf sein. Außerdem hält Radfahren und E‑Biken fit, ist umweltfreundlich und bringt vor allem auf Kurzstrecken Zeitersparnis.
- Nutzen Sie kostenlose Muntermacher: Nein, damit ist nicht der Kaffee gemeint! Ein Jobticket ist ein Top-Benefit für Beschäftigte, um das Auto stehen zu lassen. Gerade Arbeitnehmende, die in der Nähe Ihrer Arbeitsstelle wohnen, sollten angeregt werden, öfter zu Fuß zu laufen. Was früher der Schulweg war, kann heute der gemeinsame Weg zur Arbeit sein. Wer mit dem Bus kommt, kann auch eine Haltestelle vorher aussteigen und das letzte Stück gehen. Wenn jemand mit dem Auto fahren muss, empfiehlt es sich, nicht ganz in der Nähe zu parken, sodass noch ein paar Schritte zum Arbeitsplatz zurückgelegt werden müssen. Binden Sie das gerne in Ihre Awareness-Kampagne ein. Die Kombination aus frischer Luft und Bewegung vertreibt die Müdigkeit am Morgen mindestens genauso gut wie die Tasse Kaffee, wenn nicht besser. (Das gilt natürlich auch für den Heimweg.)
Ein „Sitzstopp“ ist also mindestens so effektiv wie ein Rauchstopp! Auch in kleinen Schritten…